Türkei:Ankara stoppt Wahlkampf in Deutschland

Regierungspartei: Bis zum Verfassungsreferendum im April werden keine türkischen Minister mehr in der Bundesrepublik auftreten. Erdoğan nennt die EU "faschistisch" und kündigt Konsequenzen an.

Von Nico Fried, Matthias Drobinski, Mike Szymanski und Stefan Braun, München/Ankara/Berlin

Im Streit mit Deutschland wegen der Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hat Ankara ein Signal der Entspannung ausgesandt - gleichzeitig aber den Ton gegenüber der EU verschärft. Die Koordinierungsstelle der türkischen Regierungspartei AKP in Köln erklärte, bis zur Abstimmung am 16. April soll es keine weiteren Auftritte von Regierungsvertretern in Deutschland geben. "Alle Veranstaltungen, die geplant waren, sind abgesagt", sagte eine Sprecherin der Stelle der Nachrichtenagentur AFP; dies sei in Ankara entschieden worden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kündigte unterdessen eine Neuausrichtung der Beziehungen seines Landes zur Europäischen Union an. Die EU sei "faschistisch" und "grausam", die Lage in Europa erinnere ihn an die vor dem Zweiten Weltkrieg.

Die AKP-nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten erklärte, es gebe keine weiteren Auftritte mit türkischen Ministern in Deutschland. Der Verein hatte mehrere solcher Veranstaltungen organisiert; einige hatten die deutschen Behörden aus Sicherheitsgründen untersagt. Erdoğan hatte daraufhin die Bundesrepublik mit der Nazi-Diktatur verglichen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatten Erdoğan aufgefordert, diese Vergleiche zu unterlassen.

Unklar ist, welche Folgen die Ankündigungen haben werden. In Regierungskreisen in Berlin verweist man darauf, dass den dort vorliegenden Informationen zufolge gar kein türkischer Minister mehr nach Deutschland reisen wollte, um für die neue Verfassung zu werben, in der Kritiker die Errichtung eines autokratischen Systems sehen. Man müsse abwarten, ob nun alle Veranstaltungen mit AKP-Politikern abgesagt würden. Mustafa Yeneroğlu, der Beauftragte für den Auslandswahlkampf, sagte der Süddeutschen Zeitung, es gebe "keine Entscheidung diesbezüglich".

Sollte es tatsächlich keine AKP-Wahlkampfveranstaltungen mit türkischen Politikern mehr geben, könnte dies am gestiegenen Druck aus Deutschland liegen. Kanzlerin Merkel hatte am Montag erklärt, solche Auftritte seien nur auf der "Grundlage der Prinzipien des Grundgesetzes" möglich. Die deutschen Behörden könnten die Einreise türkischer Politiker verhindern. Sie könnten auch untersagen, dass die Türkei Wahlurnen in Deutschland aufstellt. SZ-Informationen zufolge ist dies intern schon diskutiert worden. Die 1,4 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken müssten dann in der Türkei abstimmen - eine Briefwahl gibt es nicht. Ein weiterer Grund für ein Ende der Wahlkampfauftritte könnte das türkische Recht sein: Es verbietet sie unmittelbar vor Wahlen. Die in Deutschland lebenden Türken können bereits von 27. März an abstimmen.

Einige deutsche Politiker zeigten sich am Dienstag erleichtert. Er sei froh, "dass die Türkei jetzt davon absieht, ihre Minister hier nach Deutschland zu schicken", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die Konflikte hätten "dem deutsch-türkischen Verhältnis geschadet". Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder zeigte sich "erleichtert", kritisierte aber erneut die Nazi-Vergleiche von Erdoğan. Diese seien inakzeptabel und hätten die Türkei "doch weit von Europa entfernt".

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