Türkei:Allein in Ankara

Die islamisch-konservative AKP hat die Wahl gewonnen, doch das allein reicht nicht. Sie sucht jetzt einen Koalitionspartner, mit schlechten Perspektiven. Deshalb denken mehrere Parteien bereits über Neuwahlen nach.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Die Lage der islamisch-konservativen AKP in der Türkei wird nach der verlorenen Wahl immer misslicher. Die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte am Sonntag die absolute Mehrheit verloren und braucht erstmals seit 2002 einen Koalitionspartner. Während die prokurdische HDP, neu im Parlament, ein Bündnis mit der AKP weiterhin kategorisch ausschließt, stellen die Ultranationalisten von der MHP und die säkulare CHP aus Perspektive der AKP kaum annehmbare Bedingungen.

Einig sind sich diese beiden Oppositionsparteien darin, die 2014 eingestellten Ermittlungen gegen führende AKP-Politiker wegen eines Korruptionsskandals aus dem Jahr 2013 wieder aufzunehmen. Die liberale Tageszeitung Taraf berichtete zudem, die CHP würde im Falle einer Regierungsbeteiligung zudem das Innen- und das Justizressort beanspruchen. Gerade diese beiden Ressorts waren in den vergangenen beiden Jahren immer stärker von der AKP für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert und gegen Regierungskritiker eingesetzt worden. Diese Vorgänge könnten die AKP wieder einholen, wenn sie diese Ressorts nicht mehr unter ihrer Kontrolle hat.

Einig sind sich CHP und MHP auch darin, dass sich Staatspräsident Erdoğan künftig aus der Tagespolitik heraushalten muss, so wie es die Verfassung vorsieht. Bisher hatte er sich darüber hinweggesetzt und direkt in die Regierungsgeschäfte eingegriffen.

Die Ultranationalisten verlangen zudem von der AKP, die Verhandlungen mit den Kurden über mehr Rechte und Freiheiten ein für alle Mal zu beenden. Die AKP würde dadurch allerdings ihren Charakter als Volkspartei aufs Spiel setzen. Unter anderem weil sie die Lösung des Konflikts im Wahlkampf vernachlässigt hatte, Erdoğan zwischendurch sogar leugnete, dass es ein Kurdenproblem gibt, verlor die AKP im Osten des Landes deutlich an Zustimmung. In fünf Provinzen des Landes stellt sie seit dem vergangenen Wahlsonntag keinen einzigen Abgeordneten mehr.

Die MHP, so teilte es ihr Vorsitzender Devlet Bahçeli mit, habe auch keine Angst vor Neuwahlen. Ein Szenario, das auch in der AKP durchgespielt wird. Allerdings wächst in Parteikreisen die Sorge, die AKP könnte dann noch weiter abstürzen.

CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu plant auch schon ganz ohne die AKP. Alle drei Oppositionsparteien zusammen könnten die Erdoğan-Partei rechnerisch aus der Regierung drängen. Kılıçdaroğlu sagte: "Es ist an der Zeit, Vernunft walten zu lassen. Die Wahl habe der Opposition eine besondere Verantwortung gegeben. Es wäre respektlos, das Land ohne Regierung zu lassen." Ein Bündnis aus CHP, MHP und HDP ist aber sehr unwahrscheinlich. In der Kurdenfrage vertreten MHP und HDP unverträgliche Positionen.

Premierminister und AKP-Chef Ahmet Davutoğlu traf sich am Dienstag mit der Parteispitze, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Für den Abend war ein Treffen mit Erdoğan vorgesehen. Die AKP hatte am Sonntag etwa neun Prozentpunkte verloren. Mit 258 Sitzen fehlen ihr 18 zur absoluten Mehrheit.

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