Protektionismus im Welthandel:Jeder für sich

Der Protektionismus ist in die Weltwirtschaft zurückgekehrt - und Deutschland marschiert dabei mit voran: Die Rettung Opels etwa wird als ur-nationales Projekt durchgezogen.

Marc Beise

Ausgerechnet die Deutschen. Ausgerechnet jenes Land, das mit seiner starken Exportwirtschaft in guten Zeiten wie kaum ein anderes von offenen Grenzen und weltumspannenden Wirtschaftsbeziehungen profitiert hat.

Ausgerechnet eine unionsgeführte Bundesregierung, deren Minister in den Parlamentsreden regelmäßig vor Protektionismus warnen: Sie alle kennen jetzt nichts anderes mehr als die eigenen Interessen. Die Rettung des hochverschuldeten Autokonzerns Opel betreiben die Deutschen als ur-nationales Projekt und ohne Rücksicht auf die europäischen Nachbarn. Mag doch jeder selbst sehen, wie er seine Arbeitsplätze rettet.

Hinter den Verhandlungen mit dem Mutterkonzern GM stand die nicht ausgesprochene Bedingung: Wenn Opel gesundgeschrumpft werden muss, dann bitte so wenig wie möglich zu Lasten deutscher Arbeitsplätze - schließlich finanzieren ja auch deutsche Steuergelder das Rettungspaket.

Jetzt ist die Rede davon, dass das Opel-Werk in Antwerpen geschlossen werden könnte, obwohl es moderner ist als der deutsche Konkurrenzstandort Bochum. Auch das spanische Werk ist gefährdet, während die Arbeiter in Eisenach durchatmen können. Es lautet das Motto: Was schert uns Brüssel, was Spanien, wenn es um deutsche Interessen geht, zumal in Wahlkampfzeiten.

Staatliche Intervention zugunsten der eigenen Industrie und der eigenen Arbeitsplätze nennt man Protektionismus. Protektionismus aber, das ist wissenschaftlich erwiesen und eigentlich von verantwortlichen Politikern auch akzeptiert, bringt allenfalls kurzfristig Erfolg.

Schon auf mittlere Sicht schadet er nicht nur der Weltwirtschaft, sondern auch dem eigenbrötlerischen Land selbst.Die Abschottung des Marktes gaukelt eine Lösung vor, tatsächlich aber werden die Probleme immer größer. Ohne Protektionismus wären weder die amerikanische Stahl- noch die Autoindustrie in jene Existenzkrise geraten, aus der sie jetzt der US-Steuerzahler retten muss.

Abschottung provoziert zudem Gegenreaktionen; das Ganze mündet dann möglicherweise gar in Handelskriege. Es wurde eigens eine internationale Institution gegründet, die Welthandelsorganisation (WTO), um der Machtpolitik Einhalt zu gebieten. Eben diese WTO registriert bereits seit einiger Zeit einen wachsenden Protektionismus.

Die aktuellen Fälle verstärken den Trend: Die Regierung des Reformpräsidenten Barack Obama knöpft sich wie eh und je die erstarkende Volksrepublik China vor und belegt deren Autoreifen mit einem 35-prozentigen Einfuhrzoll; zuvor schon war das große Konjunkturpaket mit einer "Buy American"- Klausel versehen worden: Infrastrukturprojekte werden grundsätzlich nur dann gefördert, wenn heimischer Stahl verwendet wird. Peking verhält sich nicht besser und vergibt Aufträge aus seinem Konjunkturpaket bevorzugt an chinesische Firmen. Russland hat den Importzollsatz für Autos auf 30 Prozent erhöht; die Liste wird immer länger.

Dabei hatten sich die Regierungen doch im ersten Schock der großen Finanzkrise gegenseitige Hilfe und Unterstützung versprochen. Aus der traditionellen Gruppe der acht wichtigen Industriestaaten wurden die G20, um die Probleme der Weltwirtschaft gemeinsam anzugehen. Jetzt hält nicht einmal der unmittelbar bevorstehenden G-20-Gipfel im amerikanischen Pittsburgh Obama von seinen Handelssanktionen ab.

In der EU wächst der Unmut über Deutschland, das Europäische Parlament debattiert, und die Kommission ist beunruhigt. Weil Brüssel es sich mit den mächtigen Deutschen nicht verscherzen will, wird man sich wohl bis nach der Bundestagswahl ruhig halten, und die Deutschen können sich weiter im Bewusstsein ihrer Unantastbarkeit sonnen. Doch heute wird das Fundament gelegt für einen neuen Egoismus in der Gemeinschaft, der am Ende der deutschen Wirtschaft am meisten schaden wird.

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