Griechenland:Griechenlands unterschätzter Krisenmanager

Greek Prime Minister Alexis Tsipras sits next to Deputy Prime Minister Giannis Dragasakis (R) before his speech at the ruling Syriza party central committee in Athens, Greece

Griechenlands Premier Alexis Tsipras sitzt trotz Mehrfachkrise fest im Sattel - dabei hatten ihn viele Beobachter vorzeitig abgeschrieben.

(Foto: REUTERS)

Beobachter schrieben Alexis Tsipras und seine Rechts-Links-Koalition schon kurz nach Regierungsantritt ab. Doch bis heute vollstreckt er in Griechenland eine schmerzhafte Reform nach der anderen.

Kommentar von Mike Szymanski

Als Meisterin im Durchstehen von Krisen ist Kanzlerin Merkel in Europa keineswegs ohne Konkurrenz. Für Alexis Tsipras kam in nur zweieinhalb Jahren ebenfalls viel zusammen. Die Vertrauenskrise im politischen System hat der griechische Premier durch seinen hemmungslosen Populismus maßgeblich mitverschuldet. Die Schuldenkrise hat er geerbt. Die Flüchtlingskrise brach über ihn herein. Tatsächlich lösen konnte er bislang keine dieser Krisen. Aber er hat das Land stabilisiert. Das dritte Hilfsprogramm für das hochverschuldete Griechenland startet in sein letztes Jahr.

Bemerkenswert daran ist, dass der Vollstrecker der rigorosen Sparpolitik heute immer noch derselbe Politiker ist, der auch seine Unterschrift 2015 unter das Dokument gesetzt hat: Tsipras. In der Geschichte der Rettungsversuche hatte bisher noch jedes Programm früher oder später den Premier aus dem Amt gehebelt: Giorgos Papandreou von den Pasok-Sozialisten stürzte 2011 über das erste Hilfspaket, der konservative Antonis Samaras 2015 über das zweite. Aber Tsipras hält sich. Das ist nicht ohne Ironie. Schließlich war der 43-jährige Linkspolitiker nach Samaras mit dem Versprechen an die Macht gekommen, die "barbarische" Sparpolitik zu beenden. Kein anderer vor ihm war so schnell wortbrüchig geworden. Sonst bedeutet ein derart eklatanter Wortbruch das Ende der Karriere. Aber Tsipras hatte die Enttäuschung an den Anfang seiner Amtszeit gesetzt. Er konnte nicht weiter enttäuschen. Er hätte nur hinwerfen können. Das tat der Machtmensch nicht.

Ausgerechnet der vehementeste Spargegner setzt die Reformen durch

Nach zwei Jahren Sparpolitik unter Tsipras geben die jüngsten Meldungen aus Athen Anlass zu Zuversicht. Die Wirtschaft wächst, das zweite Quartal in Folge. 2017 könnte zum Rekordjahr für den Tourismus werden. Athen holt sich erstmals seit 2014 Geld am Kapitalmarkt. Das registriert man auch in Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der Tsipras am liebsten hätte scheitern sehen, ist den Griechen nicht losgeworden. Auch die nächste Bundesregierung wird sich mit ihm auseinandersetzen müssen.

Aus Sicht der internationalen Geldgeber bleibt Tsipras ein unbequemer Partner. Nichts läuft einfach mal von alleine, immer gilt es, Widerstände in Athen zu überwinden. Tsipras glaubt nicht daran, dass sein Land wieder auf die Beine kommt, wenn er Renten kürzt und Steuern erhöht, wie es von ihm verlangt wird. Andererseits: Tsipras hat am Ende dann doch immer geliefert, was die Kreditgeber von seinen Vorgängern nicht behaupten konnten. Dass ausgerechnet der vehementeste Spargegner so vorgeht, dürfte die Bürger überzeugt haben, dass es keinen leichteren Weg gibt. Unter Tsipras wird eine schmerzhafte Reform nach der anderen Gesetz. Der Frust entlädt sich - leise und schleichend - an ihm und seiner Partei. Sein Linksbündnis Syriza ist in den Umfragen abgestürzt. Noch vor wenigen Jahren hatten die Bürger ihre Wut auf die Straße getragen, es kam zu Ausschreitungen, die das Land lahmgelegt hatten. Jetzt muss Tsipras den Kopf hinhalten. Menschen, die ihn einst gewählt haben, hassen ihn heute für seine Politik.

Zum Wohlstand führen kann Tsipras Griechenland nicht

In der Rückschau zeigt sich, wie mutig und vorausschauend 2015 sein Schritt war, nicht die große Koalition der Reformwilligen zu suchen. Er wählte den Alleingang mit der kleinen rechtspopulistischen Partei Anel, die ihn weitgehend seine Politik machen lässt. Damit trug er mehr oder weniger alleine die Last der Entscheidungen. Kaum einer hatte daran geglaubt, dass diese merkwürdige Rechts-links-Koalition, die nur über eine dünne Mehrheit von drei Stimmen verfügt, hält. Eine große Koalition hätte ihm niemals die Freiheit gegeben, die er gebraucht hätte. Sie hätte sich nur zerstritten.

Es gibt in Griechenland niemanden mehr, der den Bürgern eine grundsätzlich andere Politik versprechen würde und damit auch Aussicht auf Erfolg hätte. Die Drachme-Nostalgiker sind verstummt, sie hatten nur Vergangenheit zu bieten. Die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, kann politisch keine wirkliche Alternative aufzeigen, solange das Rettungsprogramm alles vorschreibt. Auch der Populist Tsipras, der im Januar 2015 an die Macht gekommen ist, existiert nicht mehr. Es ist müßig, Prognosen über die Zukunft des Realpolitikers Tsipras zu wagen. Fest steht: Er war in den vergangenen zweieinhalb Jahren schon oft voreilig abgeschrieben worden.

Dieser Politiker wird Griechenland sicher nicht zu Wohlstand führen können. Die Staatsverschuldung ist so gigantisch hoch, dass Griechenland auch nach dem Rettungsprogramm auf Jahrzehnte hinaus ein armes Land bleiben wird. Es wird aber darum gehen, dieser Zeit mit Anstand und Würde zu begegnen. Da kann auch Tsipras noch viel leisten.

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