Tschechien:Flexible Maßstäbe für den Multimilliardär

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Der Chef der populistischen Partei ANO, Andrej Babiš (links), und der Staatspräsident Miloš Zeman (rechts), kennen sich seit Jahrzehnten.

(Foto: Michal Cizek/AFP)

Andrej Babiš wird des Betrugs beschuldigt, doch Präsident Miloš Zeman hat kein Problem damit, ihn zum Premier zu machen.

Von Florian Hassel, Warschau

Miloš Zeman hatte eine eindeutige Meinung, als er zur möglichen Korruption eines tschechischen Politikers befragt wurde. Für Politiker gälten nun einmal besonders hohe Maßstäbe, sagte Zeman. "Wenn ein Politiker unter irgendeinem Verdacht steht, dann, so denke ich, ist es seine Pflicht zurückzutreten, wenn der Verdacht ernsthaft ist." Der Verdacht, unter dem der tschechische Multimilliardär und Sieger der Parlamentswahl, Andrej Babiš, steht, ist überaus ernsthaft: Babiš wird nicht nur verdächtigt, im Kommunismus Geheimdienst-Spitzel gewesen zu sein - was die Übernahme eines hohen Staatsamtes eigentlich ausschließt. Auch hat die tschechische Justiz Babiš wegen des Verdachts auf millionenschweren Subventionsbetrug angeklagt. Als Besitzer des Mischkonzerns Agrofert soll Babiš seine Firma nur scheinbar anderen Eigentümern übertragen haben: Nur so konnte die Firma EU-Fördergeld für kleine Unternehmensgründer beim Bau des Luxusressorts "Storchennest" in der Nähe von Prag einstreichen. Nachdem knapp zwei Millionen Euro aus Brüssel in der Kasse waren, wurde die Firma wieder zum Teil von Babiš' Konzern.

Doch Miloš Zeman, heute tschechischer Präsident, will von den hohen Maßstäben für Politiker, die er als Regierungschef im April 1998 im tschechischen Radio angelegt hatte, nichts mehr wissen. Am Montag traf Zeman den angeklagten Babiš und gab ihm offiziell den Auftrag zur Regierungsbildung. Die Anklage gegen den Milliardär tat der Präsident als "Provokation der Polizei" ab. Tatsächlich ist die Anklage Folge einer Anfrage der EU-Kommission, die 2016 wegen Merkwürdigkeiten bei der "Storchennest"-Subvention in Prag nachfragte.

Fast alle anderen größeren Parteien Tschechiens schließen eine Koalition unter Babiš bis zur Klärung der Vorwürfe aus. Dass Präsident Zeman ihn trotzdem regieren lassen will, wundert Analysten nicht: Im Januar 2018 tritt Zeman selbst zur Wiederwahl an. "Ein Ano-Präsidentschaftskandidat wäre angesichts der heutigen Popularität von Babiš und seiner Partei automatisch ein starker Konkurrent", sagt Petr Just von der Prager Metropolitan-Universität. "Zeman will vermeiden, dass Babiš und seine Ano-Partei einen eigenen Kandidaten aufstellen." Tatsächlich verkündete Babiš nach dem Treffen mit Zeman am Dienstag, seine Partei verzichte auf einen eigenen Präsidentschaftskandidaten.

Zeman und Babiš kennen sich seit Jahrzehnten. Zwischen 1998 und 2001, in Zemans Zeit als Regierungschef, wurde ein enger Mitarbeiter Babiš' Manager der staatlichen Ölfirma Unipetrol. Die wurde, obwohl hoch profitabel, später privatisiert. Die Regierung Zeman gab dabei 2001 Babiš' Agrofert-Konzern den Zuschlag, obwohl eine englische Firma ein 100 Millionen Euro höheres Angebot vorgelegt hatte. Später wurde Unipetrol an den polnischen Staatskonzern PKN Orlen verkauft. Vorwürfe eines ehemaligen hohen Orlen-Managers, in Tschechien und Polen sei Bestechungsgeld von mehr als 40 Millionen Euro geflossen, blieben unaufgeklärt.

2016 wurden die Vorwürfe um die "Storchennest"-Subventionen bekannt. Zeman, nun Präsident, besuchte das umstrittene Ressort Ende April 2016 dennoch demonstrativ. Und als Ministerpräsident Bohuslav Sobotka Babiš wegen der Ermittlungen gegen ihn im Mai 2017 als Finanzminister und Vize-Regierungschef entlassen wollte, weigerte sich Zeman zunächst, den Ministerpräsidenten zu empfangen.

Tschechiens Parlament hob die parlamentarische Immunität von Andrej Babiš am 6. September auf. Doch nach seiner neuerlichen Wahl ins Parlament ist Babiš zunächst immun gegen Strafverfolgung. Zwar wird auch die europäische Anti-Betrugsbehörde Olaf einen Bericht zum "Storchennest" abliefern: Doch Olaf kann nicht selbst anklagen, sondern einem EU-Land nur empfehlen, einen Betrug strafrechtlich zu verfolgen. "Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die notwendigen Handlungen vorzunehmen", teilte die Behörde auf Anfrage mit.

Tschechiens neu gewähltes Parlament müsste die Immunität Babiš' abermals aufheben, damit die Anklagen gegen ihn verhandelt werden können. Andernfalls wären der Justiz bis zum Ausscheiden von Babiš aus dem Parlament die Hände gebunden. Präsident Zeman kommentierte nach Babiš' Wahlsieg, säße er im Parlament, würde er gegen die Aufhebung der Immunität von Babiš stimmen. Tschechiens Präsident kann zudem Strafverfahren stoppen oder Begnadigungen aussprechen.

"Zeman könnte Babiš zum Regierungschef ernennen, ihn begnadigen und Babiš könnte diesen Beschluss gegenzeichnen - dies wäre das Ende der Storchennest-Anklage", sagt der Analyst Jiří Pehe. Bei etlichen Tschechen würde der wegen seines Populismus und seiner Nähe zu Moskau umstrittene Präsident an Popularität weiter verlieren - nicht aber bei Babiš-Anhängern: Neun von zehn seiner Wähler können einer neuen Umfrage zufolge auch gut mit einem von der Justiz verfolgten Regierungschef Babiš leben.

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