Trump trifft Kim:Ein weltpolitisches Abenteuer

U.S. President Donald Trump steps off his plane as he arrives at Paya Lebar Air Base in Singapore

Ankunft in Singapur: Donald Trump steigt am Sonntagabend aus der Air Force One.

(Foto: REUTERS)

Das Treffen zwischen dem US-Präsidenten und Nordkoreas Machthaber entspringt vor allem Donald Trumps Launen. Chronologie einer fast unmöglichen Annäherung.

Von Christoph Giesen, Peking, und Stefan Kornelius

Manchmal erlaubt Donald Trump tiefe Einblicke in seine Welt: "Wäre es nicht wunderbar", so der US-Präsident vor ein paar Tagen in Washington, "wenn wir da rauskämen und alles wäre plötzlich geregelt, nur weil wir uns für ein paar Stunden zusammengesetzt haben?" Ja, so gehen Märchen: Treffen sich der Präsident des mächtigsten Landes der Erde und der despotische Anführer des in vieler Hinsicht übelsten Landes der Erde, setzen sich für ein paar Stunden zusammen und alles ist geregelt.

Die Faszination dieses Bildes ist so enorm, dass es bei Trump doch einige Sekunden dauerte, ehe er dann jenen Satz hinterher schickte, der die Traumblase zum Platzen brachte: "Nein, so sehe ich es nicht kommen. Und ehrlicherweise habe ich gesagt: Nehmt euch Zeit."

Den Unterhändlern der USA bleibt gar keine andere Möglichkeit, als sich die Zeit zu nehmen. Zeit war nämlich nicht gerade im Überfluss vorhanden, als vor nicht mal sieben Monaten ein politisches Abenteuer begann, wie es die Welt seit den Achtzigerjahren nicht mehr gesehen hat: Die Annäherung zweier zutiefst verfeindeter Staaten, die Öffnung eines abgeschotteten Systems, eine geopolitische Kräfteverschiebung mit unplanbarem Ausgang, der Versuch der Bändigung der gefährlichsten Waffen, die die Menschheit kennt.

Die Geschichte der Annäherung zwischen den USA und Nordkorea lässt sich nicht wirklich schreiben, weil zu wenig bekannt ist über Motive und Absichten der wichtigsten Akteure, über geschickt gelenkte Manöver und Zufälligkeiten im Twitter-Zeitalter. Was bekannt ist, reicht freilich aus, um den Glauben an die Gesetze der diplomatischen Schwerkraft zu verlieren: Denn entweder hat hier ein außenpolitisch unbeleckter US-Präsident einen Coup gelandet, oder dieser Präsident wurde Opfer seines Größenwahns und verspielt gerade zentrale strategische Interessen seines Landes in Ostasien.

Als gesichert darf gelten, dass der erste Schritt in diesem Paartanz am ersten Tag dieses Jahres in Pjöngjang getan wurde, als Machthaber Kim Jong-un seine Neujahrsansprache verlas, die als "Atomknopf-Rede" in Erinnerung bleiben könnte. Der US-Präsident zögerte nicht, in einen Wettbewerb um die Größe dieses Knopfes einzutreten. Vergessen wird hingegen, dass Kim in der Rede wegen der Olympischen Spiele vorbedingungsfreie Gespräche mit Südkorea anbot.

Trump sagte den ersten geplanten Gipfel ab, öffnete aber auch die Hintertür

Dieses Angebot griff Südkoreas Präsident Moon Jae-in beherzt auf, und es setzte sich ein diplomatischer Eilzug in Gang, der seitdem immer nur an Fahrt gewonnen hat: Telefon-Hotline am 3. Januar, direkte Gespräche am 9. Januar, ein Monat später Eröffnung der Olympischen Spiele unter nordkoreanischer Beteiligung.

Die zweite Phase der Annäherung begann Anfang März, als Südkoreas Sicherheitsberater einen Gesprächswunsch Kims nach Washington überbrachte. Was niemand auch nur im Traum gedacht hätte. Der unberechenbare Präsident akzeptierte bereits nach wenigen Minuten und schickte den Gast vor die Tür, wo er die Sensation der Welt verkünden sollte: Trump wolle sich mit Kim treffen. Die Berater im Weißen Haus und vor allem die Korea-Experten waren geschockt: Ein Treffen mit dem Präsidenten ohne Vorbereitung, ohne Bedingungen? Niemals zuvor hatte ein so mächtiger Mensch wie der US-Präsident einem Diktator vom Schlage Kims derart die Aufwartung gemacht und ihn damit legitimiert. Aus Sicht der Verhandlungstaktiker, der Strategen, der Sicherheitsberater: unerhört.

Trumps Tabubruch entsprang einem Instinkt

Es spricht viel dafür, dass Trumps Tabubruch einem Instinkt entsprang. Bisher jedenfalls fand sich kein Mitarbeiter in dem zu Durchstechereien neigenden Apparat in Washington, der Trumps Korea-Wende auf tiefschürfende strategische Überlegungen zurückführen wollte. Im Gegenteil: Noch Mitte Mai, als Nordkorea wegen der alljährlichen Flugmanöver im Süden die Annäherung in Frage stellte und anschließend nach einer nur mühsam verdeckten Regimewechsel-Drohung vom neuen Sicherheitsberater John Bolton den Gipfel ganz kündigen wollte, war es Trump, der quasi schwarz auf weiß nach dem Gipfel lechzte: Zwar sagte er Kim in einem Brief den Gipfel ab, öffnete aber Zeilen später eine Hintertür und ließ den Machthaber wissen, er stehe weiter für Gespräche bereit. Kim verstand und bat erneut um das Treffen. Der Präsident hatte die Bedenken seiner Berater geschickt ausgekontert und seinen Willen bekommen.

Ob diese Choreografie tatsächlich auf dem Schreibtisch im Oval Office entstanden ist, oder ob Trump einem geschickten Öffnungsplan Kims bereitwillig folgt, lässt sich daraus nicht ablesen. Zumal noch neben dem stets unermüdlichen Südkoreaner Moon ein vierter Spieler nicht zu unterschätzen ist: Chinas Präsident Xi Jinping.

Lange Zeit hat man in Peking Kim Jong-un nicht sonderlich ernst genommen. Ansprechpartner nach dem Tod von Kims Vater war zunächst dessen Onkel Jang Song-thaek. Den ließ Kim Jong-un Ende 2013 hinrichten. Die Konsequenz: Chinas Missachtung. Ein Treffen mit Xi Jinping auf Augenhöhe, die internationale Anerkennung, nach der Kim gierte - aussichtslos. Bis Donald Trump Anfang März verkündete, Kim tatsächlich treffen zu wollen. Seitdem ist vieles anders.

Peking kann sich nicht mehr auf rationales Handeln im Weißen Haus verlassen

Ende März passierte ein schwer bewachter Zug die chinesisch-nordkoreanische Grenze. 21 gepanzerte Waggons. So reist in Nordkorea nur einer: Kim Jong-un. Als Kim wieder auf dem Heimweg war, strahlte das chinesische Staatsfernsehen in den Hauptnachrichten einen fast zehnminütigen Bericht aus. Nicht nur Xi Jinping hatte plötzlich für ihn Zeit, auch Vizepräsident Wang Qishan und der halbe Ständige Ausschuss des Politbüros waren angerückt. Mehr Aufwartung geht nicht. Die Fernsehbilder zeigten zudem, wie Kim mit seinem extra langen Mercedes durch die abgeriegelten Straßen fuhr. Das chinesische Protokoll ist sonst streng: Staatsgäste werden gewöhnlich mit einer Karosse aus chinesischer Fertigung durch Peking gefahren.

Der Grund für den Sinneswandel in Peking: Die Sache drohte außer Kontrolle zu geraten. In der Vergangenheit hatte sich die chinesische Führung zwar immer wieder für direkte Gespräche zwischen Pjöngjang und Washington eingesetzt. Doch die Voraussetzungen waren andere: Bislang entschied der Mann im Weißen Haus halbwegs rational. Die Chinesen mussten nicht fürchten, dass sie nicht am Tisch sitzen würden. Doch genau das passiert jetzt. Also nahm Xi Kim ins Gebet - erfolgreich.

Die Furcht vieler chinesischer Beamter hat jedenfalls in den vergangenen Wochen deutlich abgenommen. Zeit gewinnen, im Gespräch bleiben, ja keinen Krieg riskieren - darum geht es Peking in der Korea-Frage. Das Szenario: Ein möglichst langfristiger Prozess, mit weiteren Gipfeln und im Gegenzug der Abbau der Sanktionen. Ob Kim wirklich seine Atomwaffen verschrottet, ist für die chinesische Führung zweitrangig. China will den Status quo auf der Halbinsel halten: Zwei Koreas und Kim Jong-un noch einige Jahrzehnte im Amt.

Wie zuversichtlich man in Peking ist, zeigt eine winzige Spitze, die sich das chinesische Fernsehen erlaubte. Wo immer Kim in Nordkorea auftaucht, gibt er sogenannte Vorortanweisungen. Alles, was er sagt, wird von Höflingen eilfertig in Notizbüchern festgehalten, danach ist es Gesetz. Wer etwas mitschreibt, der gehorcht - das kapiert in Nordkorea jedes Kind. Während Xi Jinping in Peking den Gast aus Nordkorea begrüßte, schwenkte die Kamera auf Kim Jong-un. In der Hand einen Stift, vor sich einen Block. Der Diktator machte sich Notizen. Zum Gipfel nach Singapur reiste er dann in einem Jumbojet - geliehen von der Regierung in Peking.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: