Trump:Die Schieflage der Nation

Zwei gemäßigte Reden - und schon wird der US-Präsident als gezähmt, ja präsidentiell wahrgenommen. Dabei verwechselt er weiter Wunsch und Wirklichkeit, unterschlägt die Verdienste seines Vorgängers Obama und kaschiert sein Versagen in der Außenpolitik.

Von Stefan Kornelius

Kaum hält Donald Trump zwei manierliche Reden, da wird er schon als gebändigt, gezähmt, gar präsidentiell beschrieben. Eine taktische Schläue wird ihm unterstellt, weil sich nach all dem Getöse seiner Amtsführung nun ein Wunder abzeichne. Nach einer gewaltigen Steuersenkung sei zu beobachten: Amerikas Wiederauferstehung, die Neuentdeckung von Mut, Tatkraft und Wirtschaftswachstum. Identitäre und rechtskonservative Zirkel jubeln unverhohlen. The Donald trete jetzt ein in die Erwachsenenphase seiner Amtszeit, der "amerikanische Augenblick" sei gekommen, wie vom Präsidenten versprochen.

Allein, Wunsch und Wirklichkeit könnten gegensätzlicher nicht sein. Zunächst: Manierlich heißt bei diesem Präsidenten, dass er vom Teleprompter abliest und niemanden beleidigt. Aber nur, weil Trump ein bisschen Etikette bewahrt und seinen Twitter-Ausstoß reduziert, entsteht nicht automatisch gute Politik.

Man muss sich selbst gar nicht zum Trumpelstilzchen aufblasen, um die Dürftigkeit der Darbietung in seiner Rede zur Lage der Nation zu entlarven. Wie schon auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos versteht sich der US-Präsident als oberster Cheerleader seines Landes und proklamiert ein Zeitalter neuer Stärke. Im Zentrum der Beweisführung steht die Wirtschaftskraft.

Trump sei unbenommen, dass er (beziehungsweise der Kongress) mit dem gewaltigen Steuergeschenk von 1,5 Billionen Dollar einen riesigen Konjunkturschub auslösen wird - über das Staatsdefizit wird dann der Nachfolger zu reden haben. Aber: Die zur Beweisführung zitierten Wachstumszahlen sind nicht das Werk der Trump-Regierung. Hier setzt sich ein Trend fort, der bei seinem Vorgänger längst begonnen hatte.

Halbe Wahrheiten und jede Menge Auslassungen. Dieser Präsident bleibt sich treu

Die US-Wirtschaft ist 2017 um 2,3 Prozent gewachsen, und ja, das war leicht mehr als im Jahr 2016 - aber auch weniger als in den Obama-Jahren 2014 und 2015. Amerika hat sich von der globalen Finanzkrise erholt, wie übrigens alle westlichen Demokratien. Und die zwei Millionen neue Arbeitsplätze im ersten Amtsjahr fallen ebenfalls nicht unter die Kategorie Meisterleistung. Obama hatte die Marge zuvor in sechs aufeinanderfolgenden Jahren übertroffen.

Trumps Selbstbeweihräucherung fußt in der Regel auf einer unredlichen Darstellung der Fakten. Es gibt immer nur die halbe Wahrheit. Der zweite Marketing-Trick ist ebenfalls leicht zu durchschauen: Derart brutal hat Trump das Produkt Amerika schlechtgemacht, dass er nun ein paar positive Nachrichten als sein Werk verkaufen kann. Die zerschmetterte Nation ist dankbar. Schlechtreden und dann gesundbeten - so etwas erlaubt das Kurzzeitgedächtnis einer von Trump erschöpften Öffentlichkeit.

Zynisch wird die Rede, wenn der Präsident sich als Brückenbauer und Versöhner darstellt. Wie verträgt sich das mit seiner spalterischen Art allein schon in der Außenpolitik, in Europa, Nahost, in Handelsfragen und bei elementaren Großproblemen wie der Nuklearrüstung? Wie steht es im Inneren um Rassismus und Sexismus, den Umgang mit der Wahrheit und den Medien?

Im Urteil zur Lage der Nation hätte es ehrlicherweise heißen müssen: Es steht nicht gut um Amerika. Trumps Rede lenkt lediglich ab vom wahren Zustand des Landes - und trägt noch ein bisschen mehr zur Spaltung bei.

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