Triumph des Präsidenten:Durchgeboxt

Namenslisten, Beweisfotos und Schläge ins Gesicht: Ein Tag mit Wahlbeobachtern in Südrussland zeigt, wie der hohe Wahlsieg Wladimir Putins zustande gekommen ist.

Von Julian Hans

Triumph des Präsidenten: Offiziell haben sich drei von vier Wählern für Wladimir Putin entschieden: der Präsident und seine Fans bei der Siegesfeier in Moskau.

Offiziell haben sich drei von vier Wählern für Wladimir Putin entschieden: der Präsident und seine Fans bei der Siegesfeier in Moskau.

(Foto: Mladen Antonov/AFP)

Der Tag ist noch jung, und die Stimmung im Wahllokal Nummer 1074 ist gut. Ein Büfett ist aufgebaut, Musik spielt. Die Urne steht gut sichtbar unter dem Basketballkorb in der Turnhalle der "Schule 27" von Machatschkala im Kaukasus. Das Wahllokal 1074 wird nicht zu denen gehören, die am Abend skandalöse Bekanntheit erlangen. Das mag daran liegen, dass es keine Zwischenfälle gab. Oder daran, dass keine registriert wurden, weil auf den Plätzen der Wahlbeobachter nur Vertreter kremltreuer Parteien sitzen. Außerdem steht hier eine elektronische Urne, die die Stimmzettel automatisch liest und am Ende des Tages das Ergebnis ausspuckt.

Eine Frau von der Wahlkommission steht bereit, falls jemand mit der Technik nicht zurechtkommt. Sie hilft einer Großmutter mit Kopftuch. Gemeinsam schieben sie in den Schlitz: einen Stimmzettel, noch einen und noch einen. "Ich habe drei Stimmzettel abgegeben", gesteht die Dame munter. Ihr Mann sei krank und ihre Tochter versorge ihn zu Hause. Die Wahlbeobachterin des Kandidaten Wladimir Putin hat alles mit angehört. Ist das denn erlaubt, für andere abzustimmen? Es werden doch mobile Urnen zu Alten und Kranken nach Hause gebracht. Putins Gewährsfrau im Wahllokal Nummer 1074 zuckt mit den Schultern und schaut zu Boden.

Arsen Magomedow lacht. Mit ein paar Kollegen hat er in diesem Jahr erstmals eine Gruppe unabhängiger Wahlbeobachter für die Kaukasus-Republik Dagestan auf die Beine gestellt. Hier gab es bei der letzten Wahl massive Fälschungsvorwürfe und eine merkwürdig hohe Zustimmung für Putin. Beobachter der OSZE kommen nicht in die Kaukasus-Republiken, zu gefährlich, es gibt immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und Islamisten. 35 von 158 Wahllokalen in der Gebietshauptstadt Machatschkala können Magomedow und seine Freunde abdecken.

Dass jemand für seine Verwandten abstimme, sei zwar ein klarer Verstoß, sagt Magomedow. Aber für ihn ist das noch kein Grund, einzuschreiten und einen Streit zu riskieren. Die Leute verstünden oft gar nicht, was falschlaufe, sagt er. "Seit Sowjetzeiten wurden Wahlen immer so abgehalten. Vor allem für die Älteren ist das normal." 1500 Kilometer südlich von Moskau sind die Ansätze einer Zivilgesellschaft noch schwach. Magomedow muss sich seine Kräfte einteilen. In jedem Wahllokal, das Magomedow an diesem Sonntag besucht, entdeckt er Verstöße. Die meisten nehmen das aber als normal hin. Im Lokal 1083 hängt ein Putin-Porträt direkt hinter der Urne. Ein Mann bittet, ihn zu fotografieren, wie er den Stimmzettel einwirft: "Das ist für meinen Chef." Viele Betriebe haben ihren Angestellten zu verstehen gegeben, dass eine Teilnahme an der Wahl erwartet wird. Und dass sie das auch belegen.

Weiter in die "Schule 48". Dort sitzt die Wahlkommission unter einem riesigen Putin-Zitat: "Bildung, Kreativität, körperliche und geistige Gesundheit sind die Stärke Russlands in den kommenden Jahrhunderten." Etwas am Rande sitzen drei Lehrerinnen, vor ihnen auf dem Tisch liegen Klassenlisten. Sie haken ab, wer gewählt hat. Nein, das sei überhaupt kein Zwang, sagen sie: "Uns interessiert einfach, wie aktiv die Eltern unserer Schule ihre Bürgerrechte wahrnehmen."

Das bürgerschaftliche Engagement ihrer Studenten liegt offenbar auch der Leitung der Pädagogischen Hochschule von Machatschkala am Herzen. Im dortigen Wahllokal 1065 halten einige Studenten Listen in der Hand und haken Namen ab. Naira Abdurasakowa studiert Mathematik auf Lehramt. Als Gruppenälteste hat sie die Aufgabe, ihre Kommilitonen zu mobilisieren und ihr Erscheinen zu dokumentieren. Niemand habe ihnen gesagt, wen sie wählen sollten, sagt sie, aber Wählen sei Pflicht: "Ohne wichtigen Grund sollte niemand zu Hause bleiben." Die größte Sorge des Kremls war, dass die Bürger sich nicht beteiligen. "Bei uns stimmen fast alle für Putin", sagt die Studentin Abdurasakowa.

Trotzdem will sich die Führung von Dagestan offenbar nicht allein darauf verlassen, dass das Volk aus eigenem Antrieb Ergebnisse liefert, mit denen schwächere Resultate in anderen Regionen ausgeglichen werden können. So funktionierte das in der Vergangenheit: In Moskau und einzelnen Städten Zentralrusslands, wo es eine vergleichsweise aktive Bürgergesellschaft gibt, viele unabhängige Beobachter und Journalisten, dort sind die Ergebnisse einigermaßen glaubhaft. Dafür müssen andere Regionen besonders viele Stimmen für den Kreml in die Waagschale werfen, darunter die benachbarten Republiken Tschetschenien und Dagestan.

An diesem Sonntag treffen in Machatschkala beide Welten aufeinander. Es ist gegen halb vier Uhr nachmittags, als Magomedow in das Wahllokal 1126 gerufen wird. Zwei Wahlbeobachter, die der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny nach Dagestan geschickt hat, wurden überfallen. "Ach, das war nur ein etwas emotionales Gespräch", sagt einer der schwer bewaffneten Polizisten, die den Eingang bewachen. Kaukasisches Temperament. Einer der Beobachter hat von dem temperamentvollen Gespräch eine geschwollene Augenbraue, ein anderer Prellungen im Gesicht. Auf der Aufnahme der Überwachungskamera ist zu hören, wie er mehrmals nach der Polizei ruft, als zwei Dutzend schwarz gekleidete Männer das Wahllokal stürmen. Während sie die Beobachter abdrängen, wirft einer von ihnen Packen von Stimmzetteln in die Urne. Ein Mitglied der Wahlkommission legt nach. Vorher waren die Schläger im benachbarten Wahllokal 1125, ein Beobachter hat eine zerrissene Hose und Prellungen am Arm. Die Polizei interessiert sich jetzt, ob der schmächtige Mann die Wahlkommission vielleicht provoziert habe.

Am Montag erklärt die Zentrale Wahlkommission in Moskau, es seien keine ernsthaften Verstöße festgestellt worden. Putin habe 76,7 Prozent bekommen, das beste Ergebnis in der Geschichte. Der unabhängigen Wahlbeobachter-Organisation Golos wurden fast 3000 Zwischenfälle gemeldet. In fünf Wahllokalen werden die Ergebnisse annulliert, darunter das Wahllokal 1126 in Machatschkala.

Gegen Wettrüsten

Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach seinem klaren Wahlsieg gemäßigte Töne gegenüber dem Westen angeschlagen. "Wir werden alles daransetzen, um Streitigkeiten mit unseren Partnern über politische und diplomatische Kanäle zu lösen", sagte er am Montag. Putin erklärte auch, dass er sich nicht in einen Rüstungswettlauf hineinziehen lassen wolle. Die Verteidigungsausgaben würden geringfügig reduziert, ohne dass dies jedoch die Verteidigungsfähigkeit Russlands beeinträchtigen werde. Es seien noch ausreichend Mittel vorhanden, um neue Waffenprojekte zu finanzieren. Putin hatte erst kurz vor der Präsidentenwahl bei seiner Rede zur Lage der Nation neue Atomwaffen vorgestellt. Dies hatte im Westen die Sorge verstärkt, es drohe ein internationales Wettrüsten.

Reuters, AFP

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