Triest:Die Zukunft hat schon angelegt

Die Schöne an der Adria ist aufgewacht: Triest rüstet sich für seine Wiedergeburt als Umschlagplatz der Container und Kulturen.

Von Christiane Kohl

Unkraut wuchert auf den Balkonen, die gusseisernen Säulen haben Rost angesetzt, über den klassizistischen Zierrat der Fassaden klettert wilder Wein. Bleich und bröckelnd stehen die Magazinhäuser am Kai, ein stilles Stück Niemandsland, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, gleich um die Ecke einer lärmenden Innenstadt.

Triest: Vor der Küste von Triest starten rund 1900 Segler zur Barcolana-Regatta. Die italienische Hafenstadt hofft, die Expo ausrichten zu dürfen.

Vor der Küste von Triest starten rund 1900 Segler zur Barcolana-Regatta. Die italienische Hafenstadt hofft, die Expo ausrichten zu dürfen.

(Foto: Foto: dpa)

Der alte Hafen von Triest wirkt verwunschen wie ein Dornröschenschloss, das auf den Prinzen wartet. Und es scheint, als hätten ein paar Vorkommandos des ersehnten Retters das Gelände schon erreicht.

Walter Gostisas Karosse ist ein silbrig glänzender Kleinbus. "Hier", erklärt der Hafenangestellte seinen Gästen, während er auf ein mächtiges Gebäude mit schütteren Fassaden zeigt, "das könnte ein Hotel werden".

Nebenan steht ein altes Dampfkraftwerk, das - einzigartig in Europa - noch vollständig erhalten ist mit seinen schwarzglänzenden Rohrleitungen - "daraus würde natürlich ein Museum gemacht", meint der Führer.

Eine Brachfläche aus Beton, auf der ein paar herrenlose Katzen herumstreunen, soll als Fundament für ein neues Kongresszentrum dienen, und die riesigen Lagerhäuser mit den schief aus den Angeln hängenden Fensterläden sind auch schon verplant.

Walter Gostisa steht jetzt mitten in einer der Hallen, deren Deckengewölbe im Schachbrettmuster von meterdicken Säulen getragen wird. "Schauen Sie", sagt er und lehnt sich mit seinem schicken schwarzen Anzug unbekümmert an eine der staubigen Säulen, "die Abstände sind geradezu maßgeschneidert für die Ausstellungsstände."

Der erlösende Prinzenkuss, auf den sie alle warten, könnte durch die Expo geschehen, jene legendäre Weltausstellung, der Paris den Eiffelturm verdankt, Lissabon eine neue Touristenattraktion und Hannover einen Haufen Schulden. Triest hat sich für 2008 um die Ausrichtung der internationalen Schau beworben.

Bürgermeister sieht eine Zukunft auf Rosen

Jetzt steht die Hafenstadt an der Adria neben Zaragoza in Spanien und dem griechischen Saloniki in der Endausscheidung, und wie durch ein Wunder ziehen die sonst so skeptischen Triestiner plötzlich alle an einem Strang, gleich, welcher Partei, Konfession oder Volksgruppe sie angehören.

"Die Expo ist eine Riesenchance für Triest", sagt etwa der Regionalpräsident Riccardo Illy, Spross einer Dynastie von Kaffeeröstern, der acht Jahre lang als Bürgermeister einer Mitte-Links-Koalition die Hafenstadt regierte. Sein konservativer Nachfolger im Rathaus, Roberto Dipiazza, sieht für Triest bereits "eine Zukunft auf Rosen" - mit steigenden Beschäftigungszahlen, anschwellenden Touristenströmen und neuer Prosperität.

Und selbst Bianca Cuderi, die Leiterin der Stadtbibliothek, der wirtschaftliche Wachstumszahlen normalerweise herzlich wenig bedeuten, glaubt, dass die Expo der Stadt ganz neuen Schwung geben werde: "Wir haben einen unglaublichen kulturellen Reichtum hier", sagt Bianca Cuderi, "der würde vielleicht endlich mal wahrgenommen in der Welt."

Die Zukunft hat schon angelegt

Vor lauter Zuversicht ist das Rathaus schon von oben bis unten mit Tricolore-Fahnen dekoriert, wie Konfetti kleben die rot, grün und weiß leuchtenden Banner an den Fenstern des prächtigen Zuckerbäckerbaus. Denn in diesen Tagen kommt für die noch bis vor kurzem so verschlafen wirkende Stadt an der Adria plötzlich alles auf einen Schlag.

Da wird erst einmal mit glanzvollen Paraden am nächsten Dienstag der 50. Jahrestag der italienischen Rückeroberung gefeiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Triest zunächst in die Hand der jugoslawischen Partisanen gefallen, dann bildeten die Alliierten eine Militärregierung für den Adriaraum - bis zu jener Nacht zum 26. Oktober 1954, als italienische Soldaten in Triest einmarschierten.

"Es war kalt und regnerisch", erzählt Gualberto Nicolini, ein Journalist und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, der damals 13 war, "aber keiner hat ein Auge zugedrückt, die ganze Stadt war in Bewegung."

Morgens versammelten sich dann alle auf der Piazza dell' Unità, jenem zum Meer geöffneten, von Prachtbauten aus der k.u.k.-Zeit gesäumten Platz, der zu den schönsten Italiens gehört.

Dieser Mittwoch ist ebenfalls ein Regentag, und über die Piazza schiebt sich eine recht seltsam anmutende Menge: Frauen in langen Kleidern mit einem Körbchen über dem Arm, Männer in schwarzen Bratenröcken, mit Zylinder. Es scheint Streit zu geben, weshalb ein paar altertümlich wirkende Polizisten in Aktion treten. Sie nehmen keinen geringeren als den Schriftstellergenius James Joyce in Gewahrsam - oder jedenfalls seinen Darsteller.

Besitz ergreifen vom kulturellen Erbe

Zum 100. Jahrestag der Ankunft von Joyce in Triest am 20. Oktober 1904 hat eine private Theatergesellschaft die seinerzeit turbulent verlaufene Anreise des noch unbekannten Schriftstellers in Szene gesetzt, der an der örtlichen Berlitz-Schule eine Stelle als Sprachlehrer hatte antreten wollen. Eine Hand voll Schauspieler hat die tragenden Rollen übernommen, 50 Komparsen machen in alten Kostümen mit, und einige hundert Triestiner verfolgen das Spiel.

Auch diese Veranstaltung ist ein Stück Wiedergeburt der Stadt: "Die Bürger sollen Besitz ergreifen können von ihrem kulturellen Erbe", sagt Bianca Cuderi aus der städtischen Bibliothek. Und dazu gehöre auch Joyce, der in Triest zunächst verhaftet wurde, ehe er hier später Teile des Ulysses schrieb. Triests Kulturschaffende haben sich noch allerlei andere Spektakel ausgedacht, mit denen sie an große Schriftsteller in der Stadt erinnern wollen - ob Joyce, Italo Svevo oder Umberto Saba.

"Hier ist eine riesige Bewegung im Gang", schwärmt Bianca Cuderi, "um das kulturelle und wissenschaftliche Potential der Stadt wieder zu aktivieren". Im Rathaus, hinter den Tricolore-Fahnen sitzt Bürgermeister Dipiazza und hält einen rotblinkenden Zeigestab in der Hand. Der Lichtstrahl hüpft über ein Panoramafoto von Triest, das auf eine Sperrholzplatte gezogen ist.

Heiße Köpfe im Kaffeehaus

"Sehen Sie, hier ist die slowenische Grenze und da drüben Kroatien", erklärt Dipiazza. Mit Inkrafttreten der Osterweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 hat Triest sein Hinterland zurückbekommen. "Wir sind vom europäischen Rand wieder in die Mitte gerückt", sagt der Rathauschef mit donnernder Stimme, "deshalb ist die Expo nicht nur eine Gelegenheit für Triest, sondern eine Chance für ganz Mitteleuropa."

Ein epochaler Impuls für eine Region, die jahrzehntelang im stillen Winkel lag. Wie einst Berlin, so habe Triest ein Inseldasein geführt an der Nahtstelle zwischen Ost und West. "Die Geschichte hat uns viel genommen, aber nun wird sie es uns zurückgeben", ist der Bürgermeister fest überzeugt: "Jetzt kehren die goldenen Zeiten von Maria Teresia zurück."

Jahrhundertelang galt die Hafenstadt am nördlichsten Adriazipfel als Schmelztiegel der Völker, Sprachen und Kulturen. Triest war bereits ein "global village", als den Begriff noch keiner kannte.

Hier wohnten die drei großen europäischen Völkerfamilien Tür an Tür: Tagtäglich trafen romanische, slawische und germanische Sprachen aufeinander, weshalb nicht wenige Bewohner mehrsprachig parlierten. Es gab zahllose Gotteshäuser, in denen bis zu 21 verschiedene Religionsriten praktiziert wurden, ob jüdisch oder katholisch, serbo-orthodox oder methodistisch.

Die Zukunft hat schon angelegt

Als Freihafen der Habsburgermonarchie war Triest ein Umschlagsplatz für Waren aus aller Welt und zugleich ein Knotenpunkt der Kulturen, wo Schriftsteller unterschiedlichster Nationen sich in den Kaffeehäusern die Köpfe heiß redeten.

Reedereien und Handelshäuser prosperierten, binnen kurzem hatte sich die Einwohnerzahl verzehnfacht, und dort, wo jetzt herrenlose Katzen streunen, wurde ein repräsentatives Hafengelände angelegt mit Kaffee- und Getreidelagern, Schuhwerkstätten und einer Brandy-Destillerie.

Dann begann der Niedergang. Ende des Ersten Weltkriegs, als das k.u.k.-Regime zusammengebrochen war, kam Triest zu Italien und verlor seine Rolle als zentraler Hafen der mitteleuropäischen Welt. Im Zweiten Weltkrieg besetzten deutsche Truppen die Stadt mit dem Ziel, sie als "Adriatisches Küstenland" dem NS-Reich einzuverleiben.

In einer alten Reisfabrik, der "Risiera di San Saba", richteten sie ein Konzentrationslager ein, das einzige auf italienischem Boden mit Krematorium. Am 30. April 1945 marschierte schließlich der Kommunist Tito mit seinen Partisanentruppen ein und errichtete ein Schreckensregime, das 45 Tage währte.

Schon unter der faschistischen Diktatur Mussolinis waren slowenische Bewohner Triests zwangsitalianisiert worden, dann gingen die Nazis gegen Widerstandskämpfer und jüdische Bewohner vor, und jetzt ließ Tito Italiener, die er für Faschisten hielt, verfolgen. Viele hundert Menschen verschwanden, teils wurden sie lebend in den engen Schluchten der karstigen Berglandschaft begraben, die Triest von der Landseite her umgibt.

Die Wunden aus jenen Zeiten seien bis heute nicht vernarbt, stellt der in Triest lebende deutsche Schriftsteller Veit Heinichen fest. Bei den jährlichen Gedenkfeiern, ob in "San Saba" oder bei den in Italien "Foibe" genannten Gräben im Karst, kommt es regelmäßig zu gegenseitigen Beschimpfungen. Heinichen hat einen Kriminalroman über die immer wieder aufwallenden ethnischen Konflikte geschrieben.

Unterdessen arbeitete Riccardo Illy in seiner Zeit als Bürgermeister engagiert daran, die Spannungen zwischen Slawen und Italienern zu glätten. Viel sei geschehen in den letzten zehn Jahren, meint der heutige Regionalpräsident Illy.

Mit dem Eintritt Sloweniens in die EU habe sich die Stimmung noch einmal bedeutend verändert. Dass im neuen Hafenteil eine slowenische Firma die Regie über das Ein- und Ausladegeschäft an der wichtigsten Mole übernahm, wurde in Triest freilich nicht so gern gesehen.

"Wir haben uns zurückziehen müssen", erklärte dieser Tage Bruno Korelic, Generaldirektor der Containerfirma Luka Koper, "weil uns eindeutig klar gemacht worden ist, dass Slowenen nicht das Herz des Hafens von Triest dirigieren können."

Ein Plan für Korridor 5

Der Hafen ist der Dreh- und Angelpunkt in Triest. Wenn hier das Geschäft nicht auf die Beine kommt, sind alle Hoffnungen auf eine Wiederkehr goldener Zeiten nur Schall und Rauch. In den vergangenen Jahren war das Container-Geschäft erheblich zurückgegangen, und dies gerade wegen der Grenzöffnungen und des Zusammenbruchs des Kommunismus.

Binnen weniger Jahre hatte sich Capodistria, eine kleine slowenische Hafenstadt in sechs Kilometer Entfernung, zur scharfen Konkurrenz entwickelt: Die Lohnkosten dort machten nur ein Drittel der Auslagen aus, welche die Schiffseigner für dieselbe Arbeit in Italien zu zahlen hatten.

Inzwischen verzeichnet Triest wieder wachsende Zahlen und die Triestiner schauen voll Optimismus nach vorn: "Wenn wir uns hier mit den anderen Häfen zusammenschließen", meint etwa der Ex-Parlamentarier Nicolini, "dann können wir sogar Hamburg Konkurrenz machen."

Voraussetzung ist allerdings, dass nicht nur der Seeweg funktioniert, sondern auch die Transporte zu Lande weiterkommen. Triest liegt auf einem Verkehrsknotenpunkt, wo sich Linien in alle Richtungen treffen, doch die müssen erst mal aktiviert werden. Vorhaben gibt es viele, etwa den "Korridor 5", eine Verkehrs- und Energieschneise, die von Paris bis Kiew führen soll.

Derzeit aber sind schon die 70 Kilometer nach Ljubljana eine drei Stunden dauernde Eisenbahn-Odyssee, weil es noch immer auf den alten k.uk.-Linien geht. Und so fällt der Blick wieder auf den alten Hafen und die Expo.

"Sie gibt uns die Möglichkeit, dieses einmalige Gelände so schnell wie möglich zu sanieren", sagt Illy, "und sie schafft einen nützlichen Zeitdruck, zur Modernisierung der Infrastrukturen." Vertreter aus 92 Ländern wählen die Expo-Stadt aus, am 16. Dezember wird die Entscheidung fallen.

Im alten Hafen ist Walter Gostisa jetzt vor einem mit rotem Weinlaub bewachsenen Gebäude stehen geblieben. Hier habe ein bekannter spanischer Regisseur kürzlich einen Film gedreht, sagt er. "Die sind mit 20 Arbeitern gekommen, ruck zuck war das Haus hergerichtet." Genauso, meint er, könnte man das mit den anderen Gebäuden machen - "am Tag nach der Entscheidung rollen hier die Baumaschinen an." Wenn sie denn so ausgeht, wie die Triestiner hoffen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: