Tribunal in Kambodscha:Rote-Khmer-Führung endlich wegen Völkermord vor Gericht

In nicht einmal vier Jahren hatten die Roten Khmer fast zwei Millionen Menschen in Kambodscha getötet. Dreißig Jahre hat es gedauert, bis den vier ranghöchsten noch lebenden Anführern der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht wird.

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Combination photo shows four former Khmer Rouge leaders during their trial at the ECCC on the outskirts of Phnom Penh

Quelle: Reuters

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Sie sehen alt und gebrechlich aus, doch ihre Gesichter stehen für eine schreckliche Geschichte: Khieu Samphan, Ieng Sary, Ieng Thirith und Nuon Chea müssen sich wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord während der Herrschaft der maoistischen Roten Khmer in Kambodscha zwischen 1975 und 1979 verantworten.

Am Montag hat nun am Stadtrand von Phnom Penh der Prozess zum "Fall 002" gegen die vier ranghöchsten noch lebenden Vertreter der Khmer Rouge begonnen. Staatsanwalt Michael Cayley bezeichnete das Verfahren als die "größte und komplizierteste Anklage seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen".

KILLING FIELDS SITE

Quelle: AP

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Die Roten Khmer waren eine maoistisch-nationalistische Guerillabewegung, die 1975 in Kambodscha an die Macht kam. Das Regime wollte in dem Land eine Arbeiter- und Bauerngesellschaft verwirklichen. Ihr "Steinzeitkommunismus" mündete allerdings in einem grausamen Massenmord am eigenen Volk, der weltweites Entsetzen auslöste. Bis zum Ende ihrer Schreckensherrschaft 1979 fielen den Roten Khmer etwa zwei Millionen Menschen zum Opfer, mehr als die Hälfte davon durch Folter und Mord, die andere durch Hungersnöte und Zwangsarbeit. Die Terrorherrschaft wurde durch den Einmarsch vietnamesischer Truppen 1979 beendet.

DOORMATS WITH KHMER ROUGH LEADER' IMAGES

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Als Zeichen der Verachtung werden die Porträts der führenden Mitglieder der Roten Khmer, hier von Anführer Pol Pot, Khieu Samphan und Nuon Chea (von links nach rechts), in Kambodscha auf Fußmatten abgedruckt.

Pol Pot, 1998

Quelle: AP

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Aufgebaut wurde die Guerillaorganisation von Pol Pot ("Bruder Nummer 1"). Er herrschte als Diktator über ganz Kambodscha. Der Prozess kann ihm nicht mehr gemacht werden: Pol Pot starb 1998 im Norden Kambodschas - er beging vermutlich Selbstmord.

'Brother Number Two' Nuon Chea sits at the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia on the outskirts of Phnom Penh

Quelle: Reuters

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Hinter einer Sonnenbrille versucht Nuon Chea sein Gesicht zu verbergen. Der 84-Jährige war unter dem Namen "Bruder Nummer 2" bekannt und stand in der Hierarchie der Roten Khmer unter dem Anführer Pol Pot.

Chea war der Chefideologe der Guerillas und sagte im Prozess, er sei "nicht glücklich mit dem Verfahren". Dann verlangte er durch seinen Anwalt die Einstellung des Prozesses und verließ aus Protest den Saal. Er wurde zurück in seine Zelle gebracht.

'Brother Number Two' Nuon Chea, former Khmer Rouge foreign minister Ieng Sary, former social affairs minister Ieng Thirith and former president Khieu Samphan sit at ECCC on outskirts of Phnom Penh

Quelle: Reuters

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Viele Hinterbliebene der Opfer fürchten, dass der Prozess sich über Jahre hinziehen könnte und Chea das Urteil nicht mehr erlebt. Da das Verbrechen schon Jahrzehnte zurückliegt, ist es schwierig, Beweise für die Verantwortung der Angeklagten für die Verbrechen zu sammeln. Und Geständnisse werden sie vorerst kaum ablegen.

A public hearing in Case 002 against four top former Khmer Rouge

Quelle: dpa

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Ex-Außenminister Ieng Sary war unter Pol Pot das öffentliche Gesicht des Regimes und "Bruder Nummer 3". Viele geflüchtete Studenten und Diplomaten wurden von ihm zur Rückkehr nach Kambodscha überredet, wo sie später als "Intellektuelle" festgenommen und ermordet wurden. Auch nach dem Ende des knapp vierjährigen Regimes von Pol Pot im Jahr 1979 stand Sary fest zur Rote-Khmer-Bewegung.

Die Freundschaft Sarys mit seinem späteren Schwager Pol Pot geht auf gemeinsame Studientage in Paris zurück. Dort fanden die beiden im linken Studentenmilieu des Quartiers Latin zum Kommunismus. 2007 wurde Sary in seiner Villa in Phnom Penh verhaftet. Er soll eine maßgebliche Rolle bei dem Völkermord an der vietnamesischen Minderheit sowie den Cham-Muslimen in Kambodscha gespielt haben.

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Sie ist die einzige Frau auf der Anklageband: Ieng Thirit. Sie wird die "Eiserne Lady" der Roten Khmer genannt. Als ehemalige Sozialministerin soll Ieng eine entscheidende Rolle bei den brutalen Säuberungskampagnen der Kommunisten gespielt haben.

Mitte der 1950er Jahre ging die Tochter eines Richters nach Paris, wo sie an der Sorbonne als erste Kambodschanerin einen Abschluss erwarb - in englischer Literatur. In Paris heiratete sie Ieng Sary. Ihre 2003 verstorbene Schwester war mit Pol Pot verheiratet. Bis zu ihrer Verhaftung 2007 lebte Thirit zusammen mit ihrem Mann in einer Nobelvilla in Phnom Penh.

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Quelle: AFP

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Der vierte Angeklagte, Khieu Samphan, hat eine beeindruckende Biographie. Nach der Machtübernahme durch Pol Pot war der Sohn wohlhabender khmer-chinesischer Eltern von 1976 bis 1979 Staatsoberhaupt des neu gegründeten Demokratischen Kampuchea. Nach dem Einmarsch der vietnamesischen Truppen 1979 und dem Sturz der Roten Khmer floh er nach China. Er übernahm in einer Exilregierung der kambodschanischen Kommunisten die Ämter eines Vizepremiers und Außenministers sowie 1985 den Posten des Parteichefs.

1998 stellte sich Samphan der Hun-Sen-Regierung in Phnom Penh. In einem sechsseitigen Brief erklärte er 2003 öffentlich, dass er die Tatsache eines Genozids in der Zeit der Herrschaft der Roten Khmer im Nachhinein zwar erkenne, davon aber früher weder gewusst hätte, noch dafür verantwortlich gewesen wäre.

35 Jahre Haft für Folterchef der Roten Khmer

Quelle: dpa

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Der Prozess ist der zweite gegen Führungspersönlichkeiten der Roten Khmer, nachdem im vergangenen Jahr erstmals ein Urteil gegen ein wichtiges Regime-Mitglied gefällt wurde. Nach einem Geständnis wurde der einstige Folterchef Kaing Guek Eav alias Duch im Juli 2010 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Unter seiner Aufsicht waren in der berüchtigten Haftanstalt Tuol Sleng in der Hauptstadt Phnom Penh bis zu 15.000 Menschen gefoltert und hingerichtet worden. Derzeit wartet er auf ein Urteil im Berufungsverfahren. Im Prozess gegen die vier hochrangigen Vertreter des Regimes könnte er als Zeuge gehört werden.

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Quelle: AFP

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Hunderte Menschen versammelten sich am Montagmorgen vor dem Gerichtsgebäude, um einen Blick auf die Angeklagten zu erhaschen. Schon vor zehn Jahren hätte es zu diesem Prozess kommen müssen, nun endlich ist es soweit, sagte Brad Adams von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Menschen in dem südostasiatischen Land dürfen nun erleben, wie sich diejenigen, die "so viel Leid verursacht haben, der Anklage stellen müssen". 

(sueddeutsche.de/Julia Berger)

© sueddeutsche.de/dpa/afp/jube/mcs
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