Treffen der Stasi-Agenten:Helden wie wir

Bei einer Historikertagung im dänischen Odense feiern sich die Ex-Spione der Stasi als Elite des Agentengewerbes.

Annette Ramelsberger

Entzückende alte Herrschaften sind das hier auf den ersten Blick. Der weißhaarige Herr zum Beispiel, der etwas hilflos in der Universität Odense am Kaffeeautomat steht und sich freut, dass man ihm dänisches Kleingeld dafür leiht.

Ex-Spione; Stasi; Historikertreffen; Odense; RTR

Ralf-Peter Devaux: Der Stasi-Mann äußerte sich in Odense zum ersten Mal öffentlich.

(Foto: Foto: RTR)

Die 30 Cent will er unbedingt zurückgeben. "Da bin ich ehrpusselig", sagt er. War er schon immer, und pflichtbewusst auch, schon damals in Bonn. Da arbeitete er jahrelang in der FDP-Bundesgeschäftsstelle. Als Spion der Stasi.

"Als Kundschafter des Friedens", korrigiert der Mann lächelnd. Und, sagt er, mit Glanz in den Augen: "Wir waren besser, weil wir überzeugt waren von dem, was wir taten." Dann geht er mit seiner Frau ein Stück Kuchen essen.

Oder das freundliche Ehepaar Hoffmann. Seit 40 Jahren seien sie nun glücklich verheiratet, sagen sie. Auch wenn die Ehe etwas eigenartig angebahnt wurde: Herr Hoffmann kam im Auftrag der Stasi nach Bonn, quasi als Romeo, und lernte hier seine Frau kennen, die wunderbarerweise bei der CDU arbeitete, im Büro von Kurt Biedenkopf.

Den Dritten Weltkrieg verhindert

Es wurde eine geheimdienstlich fruchtbare Partnerschaft. Als die beiden aufzufliegen drohten, zog die Stasi das Ehepaar zurück. Bei den Hoffmanns sitzt auch Gabriele Gast, die Stasi-Spionin, die es im Bundesnachrichtendienst (BND) bis zur stellvertretenden Referatsleiterin gebracht hatte. Man kennt sich, man schätzt sich.

Rund 100 ehemalige Spione und Agentenführer haben sich am Wochenende in der Universität im dänischen Odense getroffen. Mit zwei Bussen waren sie aus Berlin gekommen, eine Art Brigadeausflug aus der ehemaligen Stasizentrale: Männer auf Krücken, im korrekten Anzug, in Gesundheitsschuhen. Die Forscher, die sich hier mit dem Kalten Krieg befassen, hatten gehofft, mehr zu erfahren aus der konkreten Arbeit der Agenten - und das erfahren sie auch.

Rainer Rupp, der Spion der Stasi bei der Nato, darf erzählen, wie er quasi im Alleingang den Dritten Weltkrieg verhindert hat - weil er während eines Nato-Manövers 1983 jede einzelne Unterlage aus dem Nato-Hauptquartier sofort an Ost-Berlin weiterleitete. Dadurch seien die nervösen Russen beruhigt worden und der Atomkrieg verhindert.

Leistungsshow des Agentengewerbes

Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah die Verdienste des Mannes etwas anders. Es verurteilte ihn wegen Landesverrats zu zwölf Jahren Haft. Oder Heinz Greyer tritt auf, der Mann, der für die Verbindung der Stasi zu ihren Agenten im Westen zuständig war. Er berichtet, wie sie die eigenen Leute in der Uniform der Grenztruppen durch die Minenfelder der Mauer geschleust haben. Geleitet durch schwach leuchtende Schnüre am Boden, damit sie nicht auf die Minen traten.

Helden wie wir

Es ist eine Leistungsshow des Agentengewerbes, das die Ex-Spione hier ausbreiten: Ihre Leute saßen bei der Rüstungsfirma MBB, im BND, in den Vorzimmern der Macht in Bonn. Dort feierte die Stasi besondere Erfolge - vor allem durch ihre "Romeo"-Agenten, die einsame Sekretärinnen umgarnten.

"Unsere Arbeit war auf den Faktor Mensch orientiert", beschreibt Ralf-Peter Devaux feinsinnig diese Herzensanliegen der Stasi. "Nennen Sie mir einen Nachrichtendienst, der Romeos nicht einsetzt." Devaux war bei der Stasi für die Aufklärung der Regierung in Bonn zuständig. Es ist das erste Mal, dass sich der Mann öffentlich äußert. Er definiert den Einsatz von Romeos flugs zur Lebenshilfe um. "Romeo-Werbungen haben zu Ehen geführt, die heute noch existieren. Da ist eine menschliche Beziehung aufgebaut worden, der wir uns mit Freude angeschlossen haben." Höchstens das "Absichtsvolle" daran sei moralisch vielleicht etwas problematisch gewesen.

Vermutlich denkt er an das Ehepaar Hoffmann. Böse Romeos, hintergangene Frauen? "Alles Propaganda", sagt Hoffmann. Absolute Ausnahmen. Er sei mit seiner Frau seit vier Jahrzehnten zusammen. "Doch", geht Ex-Spionin Gabriele Gast dazwischen, "es gab schon auch Ausbeuter, die die Frauen ausnutzten." Sie muss es wissen. Auf sie wurde schließlich auch einer angesetzt.

Doch das hat sie nicht in ihrem Glauben an die DDR und die Stasi erschüttert. "Ja, aber nur ganz wenige", gibt Hoffmann denn zu. Und bei ihm ist es ja auch Liebe geworden. Glaubt man den alten Spionen, war die Stasi nur ein etwas konspirativeres Eheanbahnungsinstitut.

Folter? "Das gab es nicht"

"Schalten Sie den Autopilot ab'", bat der junge Professor Thomas Wegener Friis, der die Tagung organisiert hatte, die Agenten. "Leisten Sie sich den Luxus, Selbstzweifel zu haben." Doch solchen Luxus war man im Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht gewöhnt. Und die ehemaligen Agenten wollten ihn sich auch 17 Jahre nach dessen Ende nicht leisten.

Noch immer fühlen sich die Mitglieder der Hauptabteilung Aufklärung der Staatssicherheit als Elite ihres Geheimdienstes. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich nicht in erster Linie auf die Unterdrückung der eigenen Bürger, sondern auf den Hauptfeind im Westen, die Bundesrepublik. Skrupel hatten sie dabei nicht.

Stasi-Mann Devaux war es auch, in dessen Abteilung Günter Guillaume geführt wurde, der Mann, der Willy Brandt ausspionierte und seinen Rücktritt als Bundeskanzler auslöste. "Hätten wir gewusst, was kommt, hätten wir Guillaume konsequenter zurückgezogen." Ein Hauch von Selbstkritik, mehr nicht. Er würde auch im Rückblick nichts anders machen. "Ich persönlich war immer stolz auf meine Arbeit."

"Stolz ist vielleicht nicht das richtige Wort", sagt Wolfgang Schwanitz, "immerhin haben wir verloren." Er war der Nachfolger von Erich Mielke als Chef des Ministeriums für Staatssicherheit. Schwanitz ist nun 77 Jahre alt, aber für die Rechte ehemaliger Stasi-Mitarbeiter kämpft er unverdrossen weiter. "Die Leute hier haben sich nichts vorzuwerfen." Der ehemalige Stasi-Chef lässt sich auch durch Fakten nicht erschüttern. Folter in der DDR? "Das gab es nicht", sagt Schwanitz.

Helden wie wir

Umwertung aller Werte

Was ist mit dem Schlafentzug in Stasi-Haftanstalten, was mit der Dauerbeleuchtung, was mit den Zellen unter Tage und der monatelangen Einzelhaft? "Beruhigungszellen gibt es in jeder Haftanstalt", sagt Schwanitz. Das Licht sei nur dazu da gewesen, um Selbstmorde zu verhindern. Überhaupt: "Die Haftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit haben sich nicht von anderen Haftanstalten in kapitalistischen Ländern unterschieden." Ein einziger Besuch in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt Hohenschönhausen würde Schwanitz widerlegen.

Der aber spricht von "vermeintlichen Opfern", die "nun Wunder was behaupten, was die Staatssicherheit getan haben soll". Die wirklichen Opfer sieht er hier im Saal: die alten Stasi-Leute, die eine "Strafrente" bekommen, weil die Bundesrepublik die Renten für hauptamtliche Mitglieder des Ministeriums für Staatssicherheit gedeckelt hat. Die kein passives Wahlrecht hätten und als Zeitzeugen nicht anerkannt würden. Wolfgang Schwanitz unternimmt damit die Umwertung aller Werte.

Eine Rechtfertigungs-Litanei

Und so geht es weiter. Werner Großmann, der letzte Leiter der Hauptabteilung Aufklärung (HVA), ist zwar krank geworden, aber sein Text wird verlesen. "Die HVA hat keine Staatsstreiche inszeniert. Wir haben keine Killerkommandos losgeschickt, es gab keine Entführungen, wir haben nicht mit Terroristen zusammengearbeitet." Eine Rechtfertigungs-Litanei.

In ihr kommt weder vor, dass die DDR die Terroristen der RAF bei sich untertauchen ließ, noch dass Stasi-Leute den Sprengstoff für das Terrorkommando des Terroristen "Carlos" nach West-Berlin brachten. Beim Anschlag auf das Maison de France starb ein junger Mann. Rechtfertigungen, als wenn nicht der berühmte HVA-Chef Markus Wolf selbst 1997 wegen der Entführung von vier DDR-Kritikern zu zwei Jahren Haft verurteilt worden wäre. Doch in Odense widerspricht niemand.

Allmählich beginnt das Gift zu wirken. 18 Jahre nach dem Fall der Mauer geht es immer weniger um Schuld und Moral. Es geht nur noch um spannende Geschichten. Gabriele Gast, die den BND ausspionierte, muss sich nicht mehr wegen Verrats rechtfertigen, sondern, so erzählt sie, erhält im Bekanntenkreis neuerdings ein wenig schaudernde Bewunderung, nach dem Motto: "Sie haben ja eine bewegte Vergangenheit." Jetzt ist sie nur noch die spannende Spionin.

Mads Sander und Anders Bager Erikson, zwei junge dänische Studenten, sitzen ein wenig erstaunt im Hörsaal. In ihren Semesterferien führen sie oft Reisegruppen an die ehemalige Mauer, ins frühere Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Die beiden Dänen kennen die neuen Länder besser als viele Deutsche. "Gestern Morgen dachte ich mir, ach, die vielen sympathischen alten Leute", sagt Mads Sander. Dann hat er zwei Tage die DDR-Agenten erlebt. "Jetzt sehe ich die Charaktere aus dem Film ,Das Leben der Anderen'. Die verteidigen sich, als wären sie 1990 eingefroren und gerade wieder aufgetaut worden. Die werden nie zugeben, dass sie irgendetwas falsch gemacht haben."

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