Treffen der Staats- und Regierungschefs in Großbritannien:Schröder greift Blair bei EU-Gipfel an

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Die EU-Staats- und Regierungschefs sind nach ihrem Gipfeltreffen bei London weiter tief gespalten über Europas Antwort auf die Globalisierung. Kanzler Gerhard Schröder sagte, das britische Wirtschaftssystem sei "sicher kein" Modell für Europa.

Alexander Hagelüken

Tony Blair empfing die 24 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag auf Schloss Hampton Court bei London, um nach dem Grundsatzstreit beim vergangenen EU-Gipfel Europas Antwort auf die wirtschaftlichen Erfolge der USA und Asiens zu suchen.

Die europäischen Führer konnten sich jedoch erneut über zentrale wirtschaftspolitische Fragen nicht einigen, unter anderem über das EU-Budget, die Dienstleistungsfreiheit und die Strategie für die laufende Welthandelsrunde.

Der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder nutzte seine europapolitische Abschiedsrede zu einem unverhüllten Angriff auf seinen Parteifreund und früheren engen Partner Blair.

Bündnis mit Chirac

Während der britische Premier neuerliche Reformen im Energie-, Forschungs- und Dienstleistungssektor forderte, warnte Schröder vor einer sozialen Schieflage.

Das britische Wirtschaftssystem sei "sicher nicht" ein Vorbild für den Kontinent. Die Menschen seien veränderungsbereit, aber sie wollten diese Veränderungen mit Augenmaß und in sozialer Ausgewogenheit.

"Wir stehen in Europa vor einer grundsätzlichen Auseinandersetzung", sagte Schröder in Anspielung auf sein Bündnis mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac gegen Blair: "Sollen der Markt und die Forderung nach weiterer Liberalisierung zum letztgültigen Maßstab für politische Handeln werden?", fragte er.

Explizit verdammte Schröder die geplante Dienstleistungsrichtlinie, mit der die Brüsseler Kommission Handwerkern, Ingenieuren oder Baufirmen die Tätigkeit in anderen EU-Staaten erleichtern und so 600000 neue Jobs schaffen will.

"Verantwortliche Politik darf es nicht hinnehmen, dass im Namen der Dienstleistungsfreiheit Sozialdumping betrieben wird oder Umweltstandards unterlaufen werden". Die Gewerkschaften befürchten einen massiven Zustrom osteuropäischer Billigkräfte durch den Plan, den auch die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ablehnt.

Barroso hilft Blair

Blair und Kommissionschef Jose Manuel Barroso verteidigten die Richtlinie dagegen auf dem Gipfel ausdrücklich.

Die Auseinandersetzung mit Schröder und Chirac durchkreuzte das Vorhaben des amtierenden EU-Ratspräsidenten Blair, sich auf dem Gipfel als europäische Führungsfigur und Antreiber für die wirtschaftliche Erneuerung des Kontinents zu präsentieren.

Ein britischer Regierungssprecher versuchte vergebens, den Eindruck zu erwecken, das Thema Globalisierung sei erst durch Blair auf die europäische Tagesordnung gesetzt worden.

Der Premier hatte seine Ablehnung des mehrjährigen EU-Budgets von 2007 bis 2013 im Juni damit begründet, dass Europa weniger Geld für Agrarsubventionen und mehr für Forschung ausgeben müsse, was vor allem Chirac verärgert hatte.

Blair und der französische Staatspräsident bemühten sich zwar im Vorfeld des Gipfels, ihre Differenzen rhetorisch zu übertünchen. So schlug Chirac eine Erhöhung der EU-Forschungsausgaben um zehn Milliarden Euro durch ein Programm der Europäischen Investitionsbank vor, während Blair sich für einen von Chirac favorisierten Globalisierungsfonds aussprach.

Frankreich droht mit Veto

Dieser mit 3,5 Milliarden Euro ausgestattete Topf soll beispielsweise Umschulungen für Arbeitnehmer bezahlen, die durch die Globalisierung ihre Stelle verloren haben.

Es zeichnete sich ab, dass weder das Forschungsprogramm noch der Globalisierungsfonds eine Mehrheit finden. Auch die Regierungen Schwedens, Dänemarks, der Niederlande und Estlands lehnen den Fonds ab. Schröder sagte, es dürfe keine neuen Ausgaben und Schattenhaushalte geben.

Für das strittige EU-Budget gelte generell, dass auch für die neue Bundesregierung "zusätzliche Ausgaben nicht machbar" seien.

Im Streit um die Verhandlungslinie der EU bei der Welthandelsrunde hat Frankreich mit einem Veto gedroht. Seine Regierung behalte sich das Recht vor, jeglichen neuen Vorschlag der EU-Kommission im Agrarbereich zurückzuweisen, sagte Chirac nach Angaben von Diplomaten beim Gipfel.

Wegen der Krise werden die Botschafter der EU-Staaten an diesem Freitag in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Chirac sagte, Frankreich werde keine EU-Position zulassen, die die 2003 beschlossene EU-Agrarreform in Frage stelle.

© SZ vom 28.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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