Trauerrede für Filbinger:Oettingers Versagen

Hans Filbinger wäre ein würdiges Staatsbegräbnis zugestanden. Dass dies nicht gelang, ist das Versagen seines Amtsnachfolgers Günther Oettinger. Dessen geschichtsvergessene Rede hat diesem Land die fruchtlose Neuauflage eines längst entschiedenen Streits beschert.

Gustav Seibt

Es unterliegt keinem Zweifel, dass dem ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der soeben im Alter von 93 Jahren verstorben ist, ein Staatsbegräbnis in würdiger Form zustand.

Und da über Gräbern gewöhnlich der Streit zur Ruhe kommen sollte, hätte dieser Staatsakt ein wenig von dem gutmachen können, womit Filbinger sich das Leben in den letzten drei Jahrzehnten selbst verbittert hat. Dass dies nicht gelang, ist das Versagen seines Amtsnachfolgers Günther Oettinger.

Filbinger hatte am 7. August 1978 sein Amt als Ministerpräsident aufgeben müssen, nachdem seine Rolle als Militärjurist am Ende des Zweiten Weltkriegs bekannt geworden war.

"Pathologisch gutes Gewissen"

Allerdings waren es weniger die zuerst durch den Schriftsteller Rolf Hochhuth, dann durch journalistische Recherchen aufgedeckten Fakten, die auch seine eigene Partei, die CDU, und das konservative Milieu der Bundesrepublik insgesamt von ihm abrücken ließen, sondern Filbingers nachträgliches Verhalten. Seine Rechthaberei, sein "pathologisch gutes Gewissen" (Erhard Eppler), sein auftrumpfender Satz "Was damals rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein", sie brachten ihn zu Fall.

Das hat Filbinger drei Jahrzehnte lang nicht wahrhaben wollen, und deshalb glaubte er sein Ansehen mit juristischen Mitteln und historiographischer Faktenhuberei wiederherstellen zu müssen. Seit 1978 war Filbingers Leben von Verleumdungsprozessen und Richtigstellungen in Anspruch genommen. Damit hielt er das leidige Thema am Leben und sorgte dafür, dass die Wunde offen blieb.

Nicht lang streiten

Günther Oettinger war nun so unberaten, sich Filbingers Selbsteinschätzung zu eigen zu machen. Bei der Trauerfeier erklärte er: ,,Hans Filbinger war kein Nationalsozialist.'' Und er sagte weiter: "Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte."

Über den ersten Satz muss man nicht lang streiten, denn Filbingers Verantwortung als Marinerichter entscheidet sich nicht an der Frage nach seiner damaligen Gesinnung. Nach allem, was man weiß, war der junge Filbinger ein Mitläufer, der die für eine juristische Karriere nötigen Loyalitätsbeweise lieferte.

Oettingers Versagen

Den peinlichen Umstand, dass er sich selbst zu Zeiten als "Widerstandskämpfer" stilisierte, durfte man an seinem Grab mit Schweigen übergehen. Der zweite Satz ist nur dem Buchstaben nach zutreffend, aber er verfälscht einen verwickelten historischen Sachverhalt, der mittlerweile gut erforscht und auch für Redenschreiber leicht zugänglich ist.

Bei dem Prozess gegen den Matrosen Walter Gröger, der 1943 versucht hatte, aus der Wehrmacht zu desertieren, und deswegen am 16. März 1945 zum Tode verurteilt wurde, war Filbinger nicht als Vorsitzender Richter, sondern als Vertreter der Anklage beteiligt. Als solcher war er spät in das Verfahren eingetreten und sah sich mit der Forderung des Gerichtsherrn, eines Admirals, konfrontiert, ein bereits gefälltes milderes Urteil zur Todesstrafe zu verschärfen.

Kein Wort des Bedauerns

Der Fall Gröger war also damals sogar unter Militärjuristen umstritten. Filbinger tat aber, was man ihn geheißen hatte, er plädierte auf die Höchststrafe, die dann auch verhängt und vollstreckt wurde. Gröger, der zwei Jahre schwerste Haft hinter sich hatte, wurde nur 22 Jahre alt. Sieben Wochen später war der Krieg zu Ende.

Kein Wort des Bedauerns entrang sich je dem Munde Filbingers. Später versuchte er sogar noch, das Andenken des Toten zu schänden, indem er suggerierte, dieser habe sich durch seinen Fluchtversuch der Teilnahme an einer humanitären Rettungsaktion im Winter 1945 entziehen wollen.

Einen üblen Eindruck hinterlässt auch der Umstand, dass Filbinger 1960 einen vergleichbaren Fall mit anderem Maß gemessen hatte: Er hatte es als "schreiendes Unrecht" bezeichnet, dass ein Bauer erhängt worden war, der sich geweigert hatte, den sinnlosen Endkampf seines Dorfes gegen die Amerikaner zu unterstützen. Hier komplettiert sich das Bild vom Opportunisten.

Sätze, die die Sache verfehlen

Für die Nachgeborenen sei es schwer bis unmöglich, die damalige Zeit zu beurteilen, erklärte jetzt Ministerpräsident Oettinger. Filbinger sei "schicksalhaft in Situationen hineingeraten, die den Menschen heute zum Glück erspart bleiben".

Das sind Sätze, die immer stimmen, aber die Sache doch verfehlen. Gegen den moralischen Gratismut Nachgeborener kann man leicht auftreten, das ändert aber nichts daran, dass die Staatsräson der Bundesrepublik auf der vorbehaltlosen Anerkennung des historischen Unrechts im Dritten Reich beruht. Und Oettinger sprach als Amtsträger, nicht als Hinterbliebener.

Zu Filbingers persönlicher Moral hat der kürzlich verstorbene Joachim Fest, kein Moralist, der selbst einem Militärgerichtsverfahren bei Kriegsende nur knapp entkommen war, schon 1978 das Nötige gesagt: "Filbinger gibt vor, sich die moralischen Maßstäbe bewahrt zu haben. Folglich muss er auch sein Verhalten daran messen lassen. Als Mann des Widerstands aber hätte er nicht handeln dürfen, wie er gehandelt hat."

Oettingers geschichtsvergessene Rede hat diesem Land die fruchtlose Neuauflage eines längst entschiedenen Streits beschert.

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