Trauer um Präsident Kaczynski:"Größte Tragödie der jüngeren Geschichte Polens"

Ein Land unter Schock: Nach dem Tod von Präsident Lech Kaczynski bei einem Flugzeugunglück halten sich polnische Medienvertreter mit Schuldzuweisungen zurück. Kommentatoren warnen jedoch vor politischen Ränkespielen - und fürchten eine "Lähmung".

Corinna Nohn

Ganz Polen trauert - auch die Medien. Nach dem Flugzeugunglück, bei dem Staatschef Lech Kaczynski und zahlreiche weitere herausragende polnische Persönlichkeiten ums Leben kamen, dominieren graue und schwarze Töne die Internetseiten der polnischen Tageszeitungen und Fernsehsender.

Ihre Logos haben alle mit einer schwarzen Schleife versehen, und auf jeder Website können Trauernde kondolieren - ebenso wie auf vielen Internetseiten von Regierungseinrichtungen, öffentlichen Instituten, Universitäten und privaten Unternehmen.

Während in den meisten Medien am Samstag die Schilderung der Ereignisse im Vordergrund stand, rückt nun die Aufarbeitung der Tragödie und die Auseinandersetzung mit den politischen Folgen in den Mittelpunkt.

"Gedenken mit Hochachtung"

Die Homepage der größten polnischen Tageszeitung, die links-liberale Gazeta Wyborcza (GW), schreibt unter der Überschrift "Gedenken mit Hochachtung": "70 Jahre nach dem Verbrechen von Katyn stirbt bei Smolensk erneut die Blüte der Nation."

In einem Video-Blog drückt der sichtlich bewegte GW-Herausgeber Adam Michnik seine Anteilnahme aus. Der antikommunistische Dissident war seit Jahren einer der schärfsten Kritiker der Kaczynski-Brüder, seiner einstigen politischen Weggefährten. In dem Video nennt er das verunglückte Präsidentenpaar aufrechte und patriotische Polen, Lech Kaczynski sei ein sehr kluger und sympathischer Mann gewesen. Bemerkenswert ist, dass Michnik einräumt, seine Kritik an Lech Kaczynski sei doch manchmal brutal und in der Summe ungerecht gewesen.

Appell an die Polen

Nach Ansicht von Michnik eint der Schmerz über den Tod des Präsidentenpaares und der anderen Opfer nun das polnische Volk. Dieser Schmerz sei "überparteilich". Daher fordert der wohl bekannteste Journalist und Kommentator des Landes seine Mitbürger auf, jetzt ohne Rücksicht auf politische Ansichten zusammenzustehen und gemeinsam die Verantwortung für den polnischen Staat zu übernehmen. Denn Polen müsse ein stabiles und verlässliches Land bleiben.

In einem weiteren Beitrag vergleicht Michnik das Unglück vom 10. April mit dem Unglückstod Wladyslaw Sikorskis im Zweiten Weltkrieg. Sikorski entstammte einer angesehenen Offiziersfamilie, war selbst Oberbefehlshaber und Premierminister der polnischen Exilregierung im Zweiten Weltkrieg und starb bei einem Flugzeugabsturz im Jahr 1943, als er von einer Truppeninspektion nach London zurückkehrte. Auf ihn konzentrierten sich damals die Hoffnungen im besetzten Polen, sein Tod löste Entsetzen und Verzweiflung aus.

Ein Kollege Michniks bei der Gazeta Wyborcza warnt in einem Video-Blog davor, dass der Tod so vieler politischer Führungspersönlichkeiten das ganze Land destabilisieren könnte. Natürlich sei die Tragödie in erster Linie die Tragödie der Verstorbenen und ihrer Familien. Doch es seien so viele wichtige Menschen ums Leben gekommen. Alleine der Tod Slawomir Skrzypeks, des Präsidenten der polnischen Nationalbank, werde "mit Sicherheit für einige Zeit" den Rat für Finanzpolitik "lähmen".

Die konservative, zweitgrößte polnische Tageszeitung Rzeczpospolita (RZ), die der Recht-und-Gerechtigkeits-Partei der Kaczynski-Brüder nahesteht, brachte am Tag der Tragödie eine 16-seitige Sonderausgabe in Tabloid-Format heraus. Die Autoren des Blattes gehen in ihren Beiträgen besonders auf die Bedeutung Lech Kaczynskis ein.

Auch Pawel Lisicki, Chefredakteur der Rzeczpospolita, hat sich in einem zweiminütigen Video an die Öffentlichkeit gewandt. Er sieht das Unglück als die größte Tragödie der jüngeren Geschichte Polens an, das Land habe seine Führung verloren.

Der Journalist mahnt: Nach der ersten Trauer und Momenten des Mitgefühls sei es das Allerwichtigste, politische Kämpfe und Ränkespiele zu vermeiden. Alle müssten nun über politischen Differenzen und Auseinandersetzungen stehen, sich auf das Wohl des Landes konzentrieren und das öffentliche Leben aufrechterhalten.

"Grauenvolle Ehrerbietung"

Unter der Überschrift "Grauenvolle Ehrerbietung für die Opfer von Katyn" schreibt ein Kommentator, es sei an Symbolhaftigkeit kaum zu überbieten, dass gerade Lech Kaczynski bei dem tragischen Unglück ums Leben gekommen sei: Jener Präsident, der immer wieder den in Polen mystifizierten Geist der Zweiten polnischen Republik aus der Zwischenkriegszeit beschworen hat, den Geist jenes Staates, dessen politischer Elite die 1940 in Katyn ermordeten Offiziere angehörten.

Ein weiterer Kommentator der RZ nennt Kaczynski den besten Präsidenten, den Polen in der Nachwendezeit hatte. Ob man sein patriotisches Engagement in Polen und im Ausland, seine pragmatische Haltung gegenüber der EU oder seine beständige Kritik an Russland betrachte - noch sei der Verlust des Staatsmannes Kaczynski nicht zu ermessen, "erst mit der Zeit werden wir seine Größe angemessen bewerten können".

Zwar räumt die Zeitung in einem anderen Kommentar ein, dass Kaczynski kein unumstrittener Politiker war. Doch nun sei es Zeit, den Streit um seine Politik zu begraben und für seine Seele und die Seele seiner Frau zu beten - Gott habe die Auseinandersetzung um Kaczynskis politische Führung auf seine Weise gelöst, bemerkt die Zeitung, in deren Redaktion in den vergangenen Jahren viele nationalkatholische Autoren eingetreten sind.

Allgemeine Zurückhaltung

Die Autoren des Boulevardblattes Fakt, des polnischen Ablegers der deutschen Bild-Zeitung, halten sich noch mit Kommentaren zur politischen Zukunft Polens zurück. Sie betonen ebenfalls die Tragweite des Unglücks, betonen die Bedeutung der Verstorbenen und ihres politischen Vermächtnisses.

Zwar greifen die Medien auch die Umstände der Flugzeugabsturzes auf, gehen auf mögliche Fehler des Piloten ein und hinterfragen, warum er trotz aller Warnungen in Smolensk landen wollte. Doch die Kommentatoren halten sich mit Schuldzuweisungen zurück, die Aufarbeitung des Schocks, der Umgang mit der Verunsicherung im Land steht für die Autoren im Vordergrund.

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