Transplantationen:Folgenlose Manipulation

Der Bundesgerichtshof spricht einen Arzt vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei. Er soll Transplantationslisten manipuliert haben.

Von Christina Berndt und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war ein gefährliches Spiel mit den Lebenschancen schwer kranker Patienten - so hatte es die Staatsanwaltschaft gesehen und einen Strafprozess gegen den einstigen Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Göttingen in Gang gesetzt. Nun ist der Mann in letzter Instanz vom Bundesgerichtshof (BGH) freigesprochen worden.

Zwar hatte das Landgericht Göttingen festgestellt, dass der Mediziner die Vergabe von Spenderlebern manipuliert hatte, indem er falsche Angaben gegenüber Eurotransplant gemacht hatte: Er machte seine Patienten auf dem Papier kränker, als sie waren, um sie auf der Warteliste nach oben zu schieben. Die Staatsanwaltschaft hatte darin einen versuchten Totschlag gesehen, weil der Arzt damit den Tod von Patienten in Kauf genommen habe, die auf der über Leben und Tod entscheidenden Warteliste nach hinten gerutscht seien. Der BGH dagegen verneinte einen solchen Tötungsvorsatz. Die Manipulation sei keine bewusste Entscheidung über Leben und Tod. Voraussetzung dafür wäre, dass der Arzt sehenden Auges in Kauf genommen hätte, durch die Bevorzugung seiner Patienten werde höchstwahrscheinlich ein Mensch sterben, der sonst überlebt hätte. Ob ein Patient auf der Warteliste zum Zuge komme, sei jedoch von vielen Unwägbarkeiten abhängig - etwa von seinem Gesundheitszustand oder den Kapazitäten der jeweiligen Klinik. Hinzu komme das fünf- bis zehnprozentige Risiko, eine Transplantation nicht zu überleben. Ein weiterer Punkt des Urteils könnte indes das System der Organverteilung ins Wanken bringen. Der Mediziner hatte sich über einen Passus in den Richtlinien der Bundesärztekammer hinweggesetzt, wonach einem Alkoholkranken keine Leber transplantiert werden darf, wenn er weniger als sechs Monate trocken ist. Weil aber die Abstinenzregel kein förmliches Gesetz ist, kann ihm daraus dem Urteil zufolge kein Vorwurf gemacht werden kann. Denn laut Grundgesetz gilt: Keine Strafe ohne Gesetz. Aus Sicht von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, bedeutet dies: Die Richtlinien sind verfassungswidrig, Verstöße können also nicht strafrechtlich verfolgt werden könnten. Er forderte, das Transplantationssystem in staatliche Hände zu übergeben.

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