Transatlantisches Verhältnis:Das Vakuum jenseits von Trump

Es wird eine Zeit nach dem US-Präsidenten geben. Doch es gibt Probleme, die fortbestehen. Europa und Deutschland müssen ihre Rolle in der Welt überdenken.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington

Amerika ist verrückt geworden. Zumindest könnte man auf diesen Gedanken kommen, wenn man den Zustand der USA in diesen Tagen betrachtet. Im Inneren beherrscht eine permanente Hysterie alle politischen und gesellschaftlichen Debatten. Sie sind kein Austausch von vernünftigen Argumenten mehr mit dem Ziel, eine Einigung zu finden, sondern nur noch Geschrei und Zirkus - der Ersatz von Politik durch Reality-TV. Im Äußeren benimmt sich die einstige Führungsmacht des Westens, die früher ein nicht immer einfacher, aber doch verlässlicher Verbündeter war, launisch, nassforsch und pubertär. Die Welt wartet darauf, dass der Präsident in Washington ihr per Twitter mitteilt, was er denkt. Und sobald er das getan hat, wartet man darauf, dass er seine Meinung wieder ändert.

Wenn Angela Merkel diese Woche im Weißen Haus Donald Trump trifft, werden in den gemeinsamen Erklärungen vermutlich wieder die üblichen Textbausteine stehen. Dann wird von der gewachsenen Partnerschaft die Rede sein, die auch Meinungsunterschiede aushalte, von der langen Verbundenheit, von geteilten Werten und Interessen. Diplomaten werden dafür bezahlt, sich solche Floskeln auszudenken.

Ist es Zeit, dass Deutschland und Europa sich von der Führungsmacht USA lösen?

Aber jeder wird wissen, dass das geheuchelt ist, wenn nicht glatt gelogen. Über dem freundlichen Bild werden wie finstere Gewitterwolken einige unangenehme Fragen hängen, die sich nicht durch Worthülsen vertreiben lassen: Kann und soll für Deutschland und Europa dieses Amerika, das von diesem Präsidenten geführt wird, noch der wichtigste Partner sein? Ist es nicht Zeit, dass Deutschland und Europa sich von einer Führungsmacht lösen, die nicht mehr weiß, wohin sie führen soll, und der bei ihrem Gestolper eigentlich auch niemand folgen will?

Das sind keine trivialen Fragen. Sie rühren an die Fundamente der Nachkriegsordnung in der Welt, von der die USA, Europa, besonders aber Deutschland so spektakulär profitiert haben. Je nachdem, wie Deutschland und Europa diese Fragen beantworten, kann das für sie dramatische Folgen haben. Man sollte sich daher nicht blauäugig für eine Antwort entscheiden. Die naive Hoffnung, dass alles schon wieder so gut werden wird wie früher, wird sich nicht erfüllen. Ebenso wenig aber sollte man überstürzt antworten. Die alte, liberale westliche Ordnung wankt. Aus Angst vor dem Einsturz jetzt aber gleich den Abrissbagger aufzufahren, anstatt zuerst neue Stützbalken einzuziehen, kann auch nicht die Lösung sein.

Vielleicht hilft es, einmal etwas aufzudröseln, wo eigentlich die Probleme liegen. Das größte akute Problem ist sicherlich Donald Trump. Der Präsident bricht im Verhältnis zu Deutschland und Europa nicht nur mit diplomatischen Gepflogenheiten. Sondern er bricht auch mit einer Grundüberzeugung, auf der die transatlantischen Beziehungen sieben Jahrzehnte lang ruhten. Trump sieht Amerika nicht als Anführerin oder Schutzmacht "der freien Welt" oder "des Westens" mit all den Rechten und Pflichten, den Kosten, aber auch dem Gewinn, den diese Rolle mit sich bringt.

Trump ist Geschäftsmann. Und sein Geschäft als Präsident besteht für ihn darin, für sein Land den größten Profit herauszuholen, mal mit den Europäern, mal ohne sie. Und zuweilen eben auch gegen sie. Wenn sich da also gerade jemand aus dem alten amerikanisch-europäischen Bündnis löst, das nie nach diesen einfältigen Buchhaltungsregeln funktioniert hat, dann ist es Donald Trump, nicht Deutschland oder Europa.

Es wird eine Zeit nach Trump geben

Hinzu kommen einige persönliche Eigenschaften, die den Umgang mit Trump schwierig machen: seine Ignoranz, seine ständige Selbstüberschätzung, sein Hang zur Lüge und zum Chaos. Andererseits: Trump wird höchstens noch sieben, vielleicht sogar nur noch drei Jahre im Amt sein. Danach wird man sich anschauen können, welchen Schaden er im transatlantischen Verhältnis angerichtet hat, was reparabel ist, was abgeräumt und was womöglich neu gebaut werden muss.

Sicher ist: Es wird eine Zeit nach Trump geben; diese muss nicht, aber sie kann besser werden. Einige Dinge, die konstitutiv waren für "den Westen", werden wohl Bestand haben. Die USA und die Europäer (zumindest die meisten) werden marktwirtschaftliche, rechtsstaatliche, mehr oder weniger liberale Demokratien bleiben - und damit natürliche Partner füreinander. Autokratien wie Russland oder China jedenfalls sind als politische Verbündete keine ernsthafte Alternative zu den USA.

Doch es gibt auch Probleme jenseits von Donald Trump. Diese haben weniger mit der Frage zu tun, ob Amerikaner, Europäer oder Deutsche künftig getrennte Wege gehen, sondern damit, wie die Lastenverteilung zwischen ihnen aussehen soll. Der Rückzug der müde gewordenen Supermacht Amerika aus der Welt begann ja bereits unter Präsident Barack Obama. Der war zwar höflicher. Aber er teilt mit Trump - und einem Großteil der amerikanischen Wähler - die Ansicht, dass die USA nicht mehr der Weltpolizist sein sollten, der Blut und Geld an fernen, fremden Orten investiert, wo es nichts zu gewinnen gibt.

Dieser durchaus legitime Unwille der Amerikaner, in der Welt für Ordnung zu sorgen, wird sich nicht einfach wieder verflüchtigen, wenn Trump abtritt. Die Fragen, die Deutschland und Europa daher ebenso ehrlich stellen und beantworten müssen, lauten: Sind sie bereit, dabei zu helfen, das Vakuum zu füllen, das Amerika hinterlässt? Und wie sieht dann die innereuropäische Macht- und Kostenbalance aus? Deutsche Träume von einer Führungsrolle in Europa und der Welt haben sich oft genug als Albträume erwiesen. Und dass Europa gemeinsam den Willen hat, in der Welt eine starke politische Rolle zu spielen, hat es bisher nicht bewiesen.

Das sind alles keine ermutigenden Diagnosen. Doch am Ende gilt für den Westen, was auch für Amerika gilt: Donald Trump kann nur kaputtmachen, was man ihn kaputtmachen lässt.

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