Trainieren für Olympia:Das Jahr der Ratte

Für die Chinesen beginnt heute das Jahr der Ratte. Für Peking das Jahr der Olympischen Spiele. Die Regierung setzt alles auf dieses Jahr, das stürmischer beginnt, als es ihr lieb sein kann.

Kai Strittmatter

SHU NIAN

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Jahr der Ratte

Vom 7. Februar 2008 bis zum 25. Januar 2009. In der chinesischen Welt beginnt heute das neue Jahr, denn sie feiert den Jahreswechsel noch immer nach dem Mondkalender, der in China auch Bauernkalender genannt wird. Das Neujahrsfest ist Chinas größtes Fest. Da es nach der Einführung des westlichen gregorianischen Kalenders 1912 offiziell nicht mehr der Jahreswechsel sein durfte, wird es seither auch Frühlingsfest genannt. Wenn man sich einmal vorstellt, unser Weihnachten und Ostern fielen auf einen Tag, bekommt man eine Ahnung von dem Trubel, der China dann erfasst. Alle, alle reisen sie dann nach Hause, um mit der Familie zusammen zu sein. Mehr als zwei Milliarden Reisen mit dem Bus allein prophezeite die Regierung für die Ferientage.

Das Jahr der Ratte hat nun das des Schweins abgelöst. Von den fünf Elementen Metall, Wasser, Holz, Feuer und Erde ist diesem Jahr die Erde zugeordnet. Es ist im chinesischen Zyklus ein besonderes Jahr, denn die Ratte ist das erste der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen. Angeblich hat sich die Ratte beim Verteilen der Plätze einst geschickt nach vorne gemogelt: Der Katze richtete sie listig einen falschen Termin aus, weswegen dieses Tier gar nicht vertreten ist unter den Tierkreiszeichen und aus Rache den Ratten bis heute nachstellt; den Büffel wiederum stach sie aus, indem sie als blinder Passagier auf seinem Rücken ritt und bei der Ankunft dann blitzschnell vor ihn sprang, um dann "Erster!" zu rufen.

Ein ehrgeiziges und trickreiches Tier also, das sich unter den Chinesen jedoch keines schlechten Rufs erfreut, und dies keineswegs nur deshalb, weil es - unter den Feinschmeckern Südchinas zumindest - als willkommene Ergänzung des Speisezettels gilt ("Aber wo denken Sie hin?", erklärte mir einmal eine junge Kantonesin empört, "wir essen natürlich keine Kanalratten!", um mir sodann im Detail die Vorzüge einer gut geschmorten wildlebenden Bambusratte auseinanderzusetzen).

"Ratte" ist nur eine möglich Übersetzung des chinesischen Wortesshu, die andere ist das weit freundlichere "Maus", selbst das Känguru (dai shu, wörtlich: Beutelratte) hat das Chinesische zu einer Unterart der Spezies shu gemacht. Und so wie das chinesische mi laoshu im Deutschen zu "Micky Maus" wird und nicht zu "Micky Ratte", so dürfen sich sensiblere Naturen nun guten Gewissens im Jahr der Maus wähnen.

Glaubt man dem amüsanten "Handbuch chinesischer Horoskope" von Theodora Lau, so erwartet uns ein fettes Jahr voller Chancen und guter Aussichten. Die Geschäfte laufen gut, so manch einer wird sein Glück machen. Die chinesische Regierung wird es gerne hören, denn für sie ist dies das Jahr der Olympischen Spiele - sie setzt alles auf dieses Jahr, das mit großen Glocken ihre Wiederankunft auf der Weltbühne feiern soll. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua ("Neues China") verschickt schon Fotos von musizierenden und tanzenden Skulpturengruppen aus den Jade- und Porzellanwerkstätten des Landes, die Titel tragen wie "Glückliche Ratten heißen das Olympische Jahr willkommen!"

Noch nicht ganz so glücklich wie die Ratten sind die Menschen in diesem Land zu Jahresbeginn, und das nicht bloß, weil das Schweinefleisch für die Jiaozi-Teigtäschlein heuer doppelt so viel kostet wie im vergangenen. China zum Frühlingsfest, das ist jedes Jahr ein Land im Ausnahmezustand. In den letzten Wochen jedoch suchten heftige Schneestürme Zentral-, Ost- und Südchina heim und brachten Chaos und Leid, mehr als 60 Menschen verloren schon ihr Leben.

Vor allem für viele der mehr als 100 Millionen Wanderarbeiter, für die das Frühlingsfest die einzige Gelegenheit im Jahr ist, ihre im Heimatdorf zurückgebliebenenen Angehörigen und Kinder zu sehen, verwandelten Schnee und Behördenunfähigkeit die Reise und das Fest in ein Martyrium. Chinas Premier Wen Jiabao forderte von seinem Volk diese Woche "Mut und Geduld", die Xinhua-Webseite begrüßte das Neujahrsfest mit der frommen Titelzeile "Wir haben Vertrauen".

Es seien hier zum Schluss die warnenden Zeilen zitiert, die Theodora Lau ihrem Optimismus für das Rattenjahr beimischt: "Die Ratte wird noch immer regiert von der Kälte des Winters und der Dunkelheit der Nacht", heißt es in dem Buch: "Diejenigen, die riskant spekulieren und sich übernehmen, erwartet ein trauriges Ende."

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