Tote bei Demonstrationen in Afghanistan:Obama entschuldigt sich für Koranverbrennungen

Die Empörung über verbrannte Koranausgaben treibt in Afghanistan am dritten Tag in Folge Tausende Menschen auf die Straßen. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kamen erneut Demonstranten ums Leben. Der Protest droht vollends zu eskalieren, die Taliban appellieren an die Bevölkerung, den "Invasoren eine Lektion zu erteilen". US-Präsident Obama versucht, die Situation zu entschärfen.

US-Präsident Barack Obama hat sich nach Angaben der afghanischen Regierung für die unbedachte Koranverbrennung durch amerikanische Soldaten in Afghanistan entschuldigt. US-Botschafter Ryan Crocker habe das offizielle Schreiben am Donnerstag an Präsident Hamid Karsai übergeben, teilte der Präsidentenpalast in Kabul mit.

Protest in Afghanistan over 'Koran burning' by US troops

"Ich übermittele Ihnen und dem afghanischen Volk meine aufrichtige Entschuldigung": US-Präsident Barack Obama versucht, die Stimmung in Afghanistan zu beruhigen.

(Foto: dpa)

Darin habe Obama auch betont, dass die Verbrennung von Exemplaren des Korans auf der US-Basis Bagram nicht vorsätzlich geschehen sei. Der US-Präsident habe eine vollständige Aufklärung des Falls zugesagt. "Ich übermittele Ihnen und dem afghanischen Volk meine aufrichtige Entschuldigung", hieß es nach Angaben des Palastes in dem Brief Obamas an Karsai. "Der Fehler war unbeabsichtigt. Ich versichere Ihnen, dass wir geeignete Schritte unternehmen, um jede Wiederholung zu vermeiden." Das beinhalte auch, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Bei Protesten gegen die Koranverbrennungen sind unterdessen erneut mehrere Demonstranten in Afghanistan getötet worden. Auch am Donnerstag kam es in mehreren Landesteilen zu Zusammenstößen zwischen den Protestierenden und Sicherheitskräften.

In der nordafghanischen Provinz Baghlan, die zum Einsatzgebiet der Bundeswehr gehört, kam ein Mensch ums Leben. Der Gouverneur des Distrikts Baghlan-e-Markasi, Amir Gul, sagte, Hunderte hätten versucht, das dortige Polizei-Hauptquartier zu stürmen. Vier Menschen - zwei Demonstranten und zwei Polizisten - seien dabei verletzt worden.

Drei Todesopfer in Urusgan

In der zentral gelegenen Provinz Urusgan seien bei einer Demonstration drei Menschen durch Schüsse getötet und sieben weitere verletzt worden, sagte ein Sprecher der Provinzregierung. In der nordafghanischen Provinz Baghlan, die zum Einsatzgebiet der Bundeswehr gehört, starb nach Angaben der Behörden ein Demonstrant.

Auch in Außenbezirken der Hauptstadt Kabul versammelten sich etwa 1000 Demonstranten, wie Polizeichef Ajub Salangi berichtete. Zu Zwischenfällen kam es hier jedoch nicht. "Es ist friedlich, aber wir haben viel Polizei hingeschickt, damit die Lage nicht außer Kontrolle gerät", sagte er.

Auch in drei ostafghanischen Provinzen setzten die Menschen ihre Proteste fort. Auch diese Kundgebungen verliefen nach Behördenangaben friedlich. An der größten der drei Demonstrationen in der Hauptstadt der Provinz Laghman nahmen laut Polizei 2000 Menschen teil. In der Provinz Logar ging eine Demonstration von etwa 500 Personen ohne Zwischenfall zu Ende. Außerdem gingen Hunderte Menschen in der Stadt Dschalalabad auf die Straßen.

Im Osten Afghanistans erschoss ein afghanischer Soldat zwei Nato-Soldaten. Der Mann in einer Uniform der afghanischen Armee habe das Feuer auf die Soldaten eröffnet und zwei von ihnen getötet, teilte die Nato-geführte Afghanistan-Truppe Isaf mit. Zur Nationalität der Getöteten machte die Isaf keine Angaben.

Ein Sprecher wollte sich auch nicht dazu äußern, ob der Vorfall mit den Protesten gegen die Verbrennung von Koran-Ausgaben auf dem US-Stützpunkt Bagram in Verbindung stand. "Es gab eine Demonstration in der Provinz", sagte er lediglich. Ein Demonstrant sagte der Nachrichtenagentur Afghan Islamic Press, afghanische Truppen hätten zunächst einen ausländischen Militärstützpunkt in der östlichen Provinz Nangarhar verteidigt. Dann hätten sie sich jedoch "den Demonstranten angeschlossen und das Feuer auf ausländische Soldaten eröffnet".

Taliban rufen zum Angriff auf ausländische Stützpunkte auf

Unterdessen haben sich die Taliban in einer inzwischen dritten Mitteilung zu dem Vorfall zu Wort gemeldet und darin zur Tötung ausländischer Soldaten aufgerufen. Die Islamisten forderten, "tapfere afghanische Muslime" sollten die "militärischen Stützpunkte der Invasoren, ihre Militärkonvois mutig angreifen" und "sie töten, gefangen nehmen, schlagen und ihnen eine Lektion erteilen, dass sie es niemals wieder wagen, den heiligen Koran zu beleidigen".

Am Mittwoch waren bei Zusammenstößen in Kabul und drei weiteren Provinzen nach Angaben des Innenministeriums mindestens sieben Demonstranten getötet worden. Dutzende weitere wurden verletzt. Trotz einer Entschuldigung der US-Regierung und der Internationalen Schutztruppe Isaf hatten landesweit Tausende Muslime protestiert. Die Isaf hatte betont, die "Entsorgung" von Koran-Exemplaren in einem Verbrennungsofen auf der US-Basis in Bagram sei nicht vorsätzlich geschehen.

Nachdem bekanntgeworden war, dass US-Soldaten in Bagram Ausgaben des Koran verbrannt hatten, hatte sich der Oberkommandeur der Nato-geführten Afghanistantruppe Isaf, General John Allen, für den Vorfall entschuldigt und eine Untersuchung angeordnet. US-Verteidigungsminister Leon Panetta bedauerte die "unangemessene Behandlung" von Ausgaben des Korans.

Amnesty warnt vor eskalierender Gewalt

Während die Menschen in Afghanistan auf die Straße gehen, zeigt sich Amnesty International besorgt über die eskalierende Gewalt im Land. Jeden Tag sind nach einem neuen Bericht der Menschenrechtsorganisation etwa 400 Afghanen zur Flucht innerhalb des eigenen Landes gezwungen. Sie suchten Schutz vor Anschlägen der Taliban und anderer bewaffneter Gruppen, aber auch vor Bombardierungen der Isaf.

Inzwischen gebe es eine halbe Million sogenannte Binnenvertriebene, teilte Amnesty am Donnerstag in Kabul mit. In provisorischen Unterkünften seien sie Hunger und Tod ausgesetzt und würden von der Regierung und von internationalen Gebern im Stich gelassen. Die Menschenrechtsorganisation sprach von einer "weitgehend versteckten, aber entsetzlichen humanitären und Menschenrechtskrise".

Alleine in Kabul lebten bis zu 35.000 Binnenflüchtlinge in 30 Slum-Gebieten. Hier seien im vergangenen Monat mindestens 28 Kinder erfroren. Das afghanische Gesundheitsministerium hatte zu Wochenbeginn eingeräumt, dass der schärfste Winter in Kabul seit Jahren 24 Kinder in Flüchtlingscamps der Hauptstadt das Leben gekostet hat.

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