Tony Blair:Der einsame Sieger

In der Affäre um den Tod des Waffenexperten David Kelly ist Großbritanniens Premier Tony Blair entlastet - doch das Verhältnis zu seiner Partei ist belasteter denn je.

Von Stefan Klein

(SZ vom 29.01.2004) - Der Morgen danach ist der Morgen davor, und eigentlich hat Tony Blair jetzt erst die Hälfte seines zweitägigen Härtetests hinter sich. Am Dienstagabend bei der Abstimmung über das umstrittene Hochschulgesetz im Parlament hat er die größte Rebellion auf den Bänken seiner Fraktion überlebt, wenn auch nur mit knapper Not.

Nun, am Mittwoch, steht seine Integrität auf dem Spiel. Lordrichter Brian Hutton hat das Wort zur Irak-Politik, und Blair kann nur hoffen, dass er in dessen Bericht über die Umstände, die im letzten Sommer zum Selbstmord des Waffenexperten geführt hatten, von Kritik und Schuldzuweisungen verschont bleibt.

Wieder einmal davongekommen

In Wahrheit freilich weiß der Premier zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ihm keine Gefahr droht. Richter Hutton hat ihm und anderen Beteiligten bereits am Dienstag ein Vorausexemplar zukommen lassen, und weil irgendwer auch dem Massenblatt Sun Auszüge aus dem Report zugeflüstert hat, sieht es schon vor der offiziellen Veröffentlichung so aus, als sei Blair wieder einmal davongekommen: Das Dossier der Regierung vom September über Iraks angebliche Massenvernichtungswaffen nicht wahrheitswidrig aufgebauscht, wie vom BBC-Reporter Andrew Gilligan behauptet, der Waffenexperte David Kelly nicht fahrlässig in den Tod getrieben - weißer kann eine Weste kaum strahlen.

Die narrensichere Mehrheit wackelt

Also alles wieder gut? Tony Blair ein Ehrenmann und immer noch ein Sieger? Der Schrecken einer Schreckenswoche mag sich in Erleichterung verwandelt haben, doch Zuversicht für die Zukunft lässt sich für ihn daraus kaum saugen. Im Gegenteil: Blair verlässt die Walstatt zwar nicht als lügnerischer Schurke, wohl aber als Verwundeter, der noch dazu ziemlich einsam dasteht und sich fragen muss, wo seine gestern noch so zahlreichen Truppen abgeblieben sind.

Nach seinem neuerlichen Erdrutschsieg 2001 war er mit 413 Abgeordneten ins Parlament eingezogen, 163 mehr als alle anderen Parteien zusammen. Eine schier narrensichere Mehrheit, und doch war sie am Dienstagabend auf mickrige fünf zusammengeschmolzen.

Wendepunkt Irak-Politik

Was sich da spiegelt, ist der seit langem schwelende Unmut über den präsidentenhaften, oft als arrogant gescholtenen Führungsstil des Premiers, der seine Abgeordneten nicht als Partner betrachtet, sondern als Stimmvieh. Das hat im Laufe der Jahre immer wieder zu Rebellionen geführt, die freilich nicht weiter ins Gewicht fielen bei der Größe der Mehrheit.

Der Wendepunkt war Blairs Irak-Politik. Da gab es erstmals einen Aufstand in der Fraktion, und da liegt wohl auch die Ursache für das heute weitgehend zerrüttete Verhältnis zwischen Blair und seinen Abgeordneten. Kaum einer scheint noch an die Existenz von Saddam Husseins Massenvernichtungsmitteln zu glauben. Der einzige, der die Hoffnung nicht aufgeben mag, ist Tony Blair.

Keine Massenvernichtungsmittel, kein Kriegsgrund

Für ihn war die von diesen Waffen angeblich ausgehende Gefahr der entscheidende Kriegsgrund, was im Umkehrschluss natürlich heißt: Gibt es keine Massenvernichtungsmittel, war auch der Kriegsgrund falsch. Diesen Irrtum zuzugeben, wäre nicht unehrenhaft, gegenüber der Fraktion wäre es eine Friedensgeste und ein Zeichen für einen Neuanfang. Doch Blair hat ein solches Wort bis heute nicht über sich gebracht. Zwar fangen seine Äußerungen zu dem Thema heute nicht mehr mit den Worten "Ich habe absolut keinen Zweifel..." an, doch besteht Blair weiter darauf, dass die ihm damals vorliegenden Geheimdienstinformationen über Saddam Husseins illegale Arsenale korrekt waren - und seine Entscheidung somit auch.

Gestörtes Vertrauensverhältnis

Ratschläge seines ehemaligen Außenministers Robin Cook, Fehler einzugestehen, hat Blair ignoriert. Entsprechend groß ist die Erbitterung unter jenen Labour-Abgeordneten, die den Krieg im Irak für verhängnisvoll und seine Begründung von Anfang an für falsch gehalten haben.

Zweimal in zwei Monaten hat Blair nun wichtige Gesetze nur mit hauchdünnen Mehrheiten durchs Parlament gebracht. In beiden Fällen ging es um seine Reformagenda, die darauf abzielt, den siechenden öffentlichen Diensten mit marktwirtschaftlichen Elementen wieder aufzuhelfen. Auch dagegen gibt es erhebliche Bedenken in der Labour-Fraktion, doch die allein erklären nicht ihre Verweigerungshaltung bei entscheidenden Abstimmungen.

Der Grund dafür liegt hauptsächlich in dem gestörten Vertrauensverhältnis, das Blair mit seiner Irak-Politik heraufbeschworen hat. "Wenn er seine Reformpolitik weiter vorantreiben will", schreibt die Zeitung Guardian, "wird er sich ändern müssen."

Der Mann ohne Rückwärtsgang

Doch wie soll das gehen bei einem Mann, der von sich sagt, er habe keinen Rückwärtsgang? Und wie erst bei einem, der am Mittwochnachmittag schon wieder Oberwasser hat und im Parlament seine blütenweiße Weste zur Schau stellt? Kurz vorher hat der Richter Hutton gesprochen und bestätigt, was am Morgen im Massenblatt Sun stand: Blair ist ohne Schuld in der tragischen Affäre um den Waffenspezialisten Kelly. Das Urteil ist noch sehr viel günstiger ausgefallen, als man in der Downing Street gehofft hat, und Blair, der viel Kritisierte, kann sich in dieser Stunde der Entlastung einen triumphalen Ton nicht ganz verkneifen: Diejenigen, die ihn als Lügner bezeichnet hätten, seien nun aufgefordert, diese Verleumdung zurückzuziehen.

Hinter ihm, auf den Bänken seiner Fraktion, wird wiederholt gejubelt bei diesem Statement und auch danach, und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, dass da ein Premier und seine Fraktion im schönsten Einvernehmen miteinander existieren. Doch die nächste kritische Abstimmung folgt bestimmt.

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