Tödliches Attentat auf Anna Lindh:Ein Land sucht einen Mörder

Nach dem Tod der schwedischen Außenministerin steht das Land unter Schock, Hunderte von Ermittlern suchen nach dem Mann, der der beliebten Politikerin in einem Kaufhaus die tödlichen Messerstiche beibrachte. Die Abstimmung zur Einführung des Euro soll aber wie geplant am Sonntag stattfinden.

Nach dem Tod der beliebten Außenministerin Anna Lindh durchlebt das liberale Schweden ein ähnliches Trauma wie vor 17 Jahren, als der damalige Ministerpräsident Olof Palme auf offener Straße in Stockholm erschossen wurde.

Anna Lindh

Anna Lindh

(Foto: Foto: AP)

Mit den Tränen ringend gibt Regierungschef Göran Persson am Donnerstag den Tod seiner Kabinettskollegin bekannt: "Schweden hat sein Gesicht nach draußen in die Welt verloren." Trauernde stehen still, der Boden vor dem Tatort ist bedeckt von Blumen und Abschiedsgrüßen.

Eben noch war die Bevölkerung in zwei große politische Lager gespalten: Auf der einen Seite die Euro-Befürworter, zu deren Galionsfiguren Lindh gezählt hatte.

Auf der anderen Seite die Skeptiker der Einheitswährung, in deren Haltung sich Argumente und Ängste vermischten.

Aber bei allen Differenzen: In der Trauer und Bestürzung über den Tod Lindhs findet sich eine große Mehrheit zusammen.

Schweden ist stolz auf seine offene Gesellschaft. Es ist üblich, dass Politiker und andere Prominente wie alle anderen Bürger ihre Einkäufe im Laden in der Nachbarschaft erledigen.

Es bilden sich keine Menschenaufläufe, wenn bekannte Gesichter morgens im Berufsverkehr wie gewöhnliche Pendler den Nahverkehrszug zur Arbeitsstelle nehmen.

Der Schock über Lindhs Tod sitzt deshalb so tief, weil sich der Attentäter eben eine solche Alltagssituation zunutze machte. Die Ministerin bummelte ohne Leibwächter durch das Kaufhaus Nordiska Kompaniet (NK) in Stockholm, als der Unbekannte plötzlich mit einem Messer auf sie einstach und schwer an Unterleib, Arm und Brust verletzte.

"Angriff auf das Modell eines offenen demokratischen Schweden"

Lindh verblutete trotz mehrstündiger Operation am Morgen im Karolinska-Krankenhaus der Hauptstadt.

"Es ist schockierend, dass das in Schweden wieder geschehen kann", sagte die stellvertretende Regierungschefin Margareta Winberg. Die Messerattacke sei ein Angriff auf das "Modell eines offenen demokratischen Schweden".

Der Vorsitzende der Christdemokraten, Alf Svensson, zog die Parallele zum unaufgeklärten Mord an Palme am 28. Februar 1986: "Das was nicht passieren durfte, ist passiert."

Zum zweiten Mal sei eine "große Persönlichkeit unseres Landes brutal ermordet" worden. So denken viele seiner Landsleute, für die das Palme-Attentat das "Geheimnis des Jahrhunderts" ist.

Auch in Schweden werden nun Rufe nach mehr Sicherheit für die Repräsentanten des Staates laut. Der Chef der Sicherheitspolizei, Kurt Malmström, bezeichnete es als "Fehler", dass Lindh keinen Personenschutz gehabt habe.

Das sei das "Mindeste, was man sagen kann", kommentierte Regierungschef Persson. Zugleich klang in Persson Worten aber der Gedanke an mehr Sicherheit als Garant für eine demokratische Gesellschaft an. "Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Menschen sich frei und sicher bewegen können, auch eine Außenministerin."

Grünen-Parteichef Peter Eriksson warnte allerdings vor einer "Änderung der Grundsätze".

Es sind alles Symptome des Schocks, die in der Beschwörung von Werten und Zusammenhalt, dem Ruf nach mehr Sicherheit und Forderungen nach schneller Aufklärung des Verbrechens zutage treten.

So bekräftigte Persson nur Stunden nach dem Tod Lindhs, dass die Volksabstimmung über den Euro wie geplant am Sonntag stattfinden werde.

Das gebietet schon die Staatsräson, und es lässt sich auch als Vermächtnis Lindhs, der Euro-Befürworterin, darstellen.

Landesweit waren in den Stunden nach dem Attentat nach Angaben der Polizei hunderte Ermittler im Einsatz. Die Hintergründe der Tat blieben zunächst weiter unklar.

Klar schien nur, dass der Täter zum Zeitpunkt seines Angriffs "gelassen" gewirkt habe, wie Polizeisprecher Björn Pihlblad in der Presse zitiert wurde. "Wir schließen daraus, dass er wusste, was er tat.

Er hat sein Messer nicht in einem plötzlichen Wahnsinnsanfall gezückt." Die Fahndung konzentrierte sich auf einen Mann, den Augenzeugen als sportlich und etwa 1,80 Meter groß beschrieben.

Er trug den Angaben zufolge eine Tarnjacke. Das Messer und seine Schirmmütze wurden am Tatort sichergestellt.

Der Angriff auf die Außenministerin weckte Erinnerungen an die Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, der 1986 in Stockholm nach einem Kinobesuch auf der Straße erschossen wurde. Der Attentäter wurde bis heute nicht gefasst.

(sueddeutsche.de/AFP/dpa)

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