Todesstrafe in den USA:Der Staat als Rächer

Unbeirrt halten die USA an der Todesstrafe fest - auch Präsident Barack Obama unterstützt das Prinzip Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn. Ein Erklärungsversuch.

Barbara Vorsamer

Wenn Amnesty International die USA in einem Atemzug mit Iran, Pakistan, Saudi-Arabien und China nennt - dann geht es um die Todesstrafe. Diese fünf Länder waren 2008 für mehr als 90 Prozent aller Hinrichtungen weltweit verantwortlich. Die einzige westliche Demokratie darunter tötete 37 Menschen.

Damit stemmen sich die USA unbeirrt gegen die weltweite Entwicklung, staatlich verordnete Hinrichtungen abzuschaffen. Allein seit 1990 haben sich mehr als 50 Staaten zu diesem Schritt entschlossen, mehr als zwei Drittel aller Länder wenden sie inzwischen nicht mehr an.

Zum Vergleich: Ende des 19. Jahrhunderts gab es gerade mal drei Staaten ohne Todesstrafe. Im 20. Jahrhundert setzte sich jedoch mehr und mehr die Ansicht durch, dass das Exekutieren von Straftätern nicht mit der Würde des Menschen vereinbar sind. Die Vereinten Nationen verurteilen die Todesstrafe bereits seit 1948 und fordern ihre weltweite Abschaffung.

Vom 24. bis zum 26. Februar 2010 findet daher in Genf eine UN-Konferenz statt, die sich für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Die USA sind dort Schwerpunktthema - denn dass das aufgeklärte Amerika noch immer Menschen exekutiert, stößt in Europa zumeist auf völliges Unverständnis.

Wie ein Paar Schuhe

Für den alten Kontinent sind Menschenrechte und Demokratie wie ein linker und ein rechter Schuh, die er sich gleichzeitig angezogen hat. Und die Todesstrafe ist im europäischen Verständnis ein eklatanter Widerspruch zu Humanität und Menschenrechten.

Amerikaner sehen das nicht so - nicht einmal Barack Obama, der Friedensnobelpreisträger und von Europa verehrte US-Präsident. Anders als hierzulande vielfach angenommen, war Obama nie ein Gegner der Todesstrafe.

Schon 2004, bei seiner Kandidatur für den Senatssitz von Illinois, sprach er sich für eine Beibehaltung aus. Obama kritisierte lediglich wiederholt die Umstände, unter denen die Todesstrafe verhängt werde und setzte sich als Senator für einen Aufschub von Hinrichtungen ein. In seiner Autobiographie "Hoffnung wagen" begründet der Verfassungsjurist seine Einstellung damit, dass die Gesellschaft das Recht habe, ihre Entrüstung über abscheuliche Verbrechen auszudrücken.

Als "abscheuliches Verbrechen" gilt in den USA seit 1977 ausschließlich Mord. Ein Gesetz aus dem Bundesstaat Louisiana, das auch die Giftspritze für Kinderschänder erlaubte, kippte das Oberste Gericht 2008 als verfassungswidrig, da die US-Verfassung "unmenschliche und unverhältnismäßig grausame Strafen" untersagt. Bei sexuellem Missbrauch sah das Gericht die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben. Generell wird die Todesstrafe von der amerikanischen Justiz allerdings nicht als "unmenschlich oder grausam" bewertet.

Nicht nur Konservative schrien vor zwei Jahren aufgrund des Kinderschänder-Urteils auf. Auch Obama, damals Präsidentschaftskandidat für die Demokratische Partei, kritisierte den Obersten Gerichtshof scharf. Die Vergewaltigung eines Kindes sei ein grausames Verbrechen, sagte der Politiker damals. Seiner Meinung nach verletze es nicht die Verfassung, wenn ein Bundesstaat dafür die Todesstrafe verhänge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Amerikaner über die Todesstrafe denken.

"Die Täter verdienen es"

Mit seiner Einstellung befindet sich der Präsident mit seinem Volk im Einklang. Fast zwei Drittel aller Amerikaner befürworten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup zufolge die Todesstrafe, 31 Prozent sind dagegen. Die Hälfte findet sogar, sie werde nicht oft genug angewendet - und das, obwohl die Mehrheit ebenfalls glaubt, dass in den vergangenen fünf Jahren ein Unschuldiger hingerichtet wurde.

Dem ist zwar nach heutiger Erkenntnis nicht so. Doch anscheinend nehmen es die US-Bürger billigend in Kauf, dass die Todesstrafe auch manchmal fälschlicherweise verhängt wird. Trotzdem finden 57 Prozent, sie werde gerecht angewendet.

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Der Gerechtigkeitsbegriff in Amerika unterscheidet sich von dem Europas. Laut Robert Blecker, Rechtsprofessor der New York Law School und ausgesprochener Verfechter der Todesstrafe, herrscht auf der anderen Seite des Atlantiks die Meinung vor: "Die Todesstrafe ist eine adäquate Antwort auf ein Verbrechen."

Das erinnert nicht nur an das archaische Auge-um-Auge-Prinzip, das ist genau die Funktion, die Strafe nach amerikanischer Fasson haben soll. 37 Prozent der Bürger nennen Rache und Vergeltung als Gründe für ihre Befürwortung der Todesstrafe.

So erklärt eine 45-jährige Republikanerin aus Boulder, Colorado, die auch in einem deutschen Medium nicht mit Namen genannt werden will: "Die Strafe muss zum Verbrechen passen." Wie auch 13 Prozent der Bevölkerung ist sie der Meinung: "Die Täter verdienen es."

Auch Charles Lane, Rechtsexperte und Leitartikler der Washington Post, unterstützt das Konzept der Vergeltung und fügt hinzu: Die Gesellschaft müsse bestimmte Täter auslöschen, um zukünftige Gefahren zu verhindern.

Um Abschreckung geht es den Amerikanern hingegen nicht. "Die Todesstrafe tut wenig, um Kriminalität zu verhindern", schreibt Obama in seinem Buch und laut Gallup-Umfragen glaubt auch eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht, dass Hinrichtungen Verbrecher von ihrem Tun abhalten. Trotzdem wollen sie Schwerverbrecher weiterhin umbringen.

Europa, die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International kritisieren das regelmäßig und scharf, doch das ficht Amerika nicht an. 2007 kam es im Menschenrechtsausschuss der UN-Vollversammlung sogar zu tumultartigen Szenen, als eine Mehrheit der Staaten die Todesstrafe weltweit verbieten wollte. Die Amerikaner stimmten Seite an Seite mit Iran und Syrien - ansonsten keine Partner der USA - gegen die Resolution.

Lesen Sie weiter, warum die Todesstrafe Teil des amerikanischen Wertesystems ist.

Demokraten für die Todesstrafe

Und obwohl im europäischen Verständnis eine Demokratie mit Todesstrafe ein Widerspruch in sich ist, erscheint im amerikanischen Weltbild alles ganz logisch. Denn es ist typisch für die USA, sich von einer supranationalen Organisation wie den Vereinten Nationen nicht in innenpolitische Belange hineinreden lassen zu wollen.

"Jedes Land trifft seine eigenen Entscheidungen, die den einzigartigen Umständen, Normen, politischen Kulturen und rechtlichen Systemen Rechnung tragen", findet ein 80-jähriger ehemaliger Banker aus Minnesota, der seinen Namen ebenfalls nicht lesen möchte. "Die Entscheidung für oder gegen die Todesstrafe darf und muss jedes Land individuell für sich treffen."

Moralisieren gegen mittelalterliche Methoden

Die Amerikaner legen Wert auf ihre Souveränität und kein Weg führt an der öffentlichen Meinung vorbei. Solange zwei Drittel der Bürger die Todesstrafe befürworten, wird kein US-Politiker die Abschaffung fordern, so funktioniert die amerikanische Demokratie.

Nach Meinung von Verfassungsrechtler Lane wäre das in Europa auch nicht anders. Doch hier sei das Thema aus dem demokratischen Entscheidungsprozess herausgelöst worden, sagt er. 1983 schrieb die Europäische Gemeinschaft ihren Mitgliedsstaaten vor, die Todesstrafe im allgemeinen Strafrecht abzuschaffen, seit 2002 sind laut europäischem Recht Hinrichtungen unter allen Umständen verboten. Die einzelnen Mitglieder der EU waren in der Folge gezwungen, dies in nationales Recht umzusetzen.

Es ist daher schwer zu sagen, ob der Europäer an sich tatsächlich aufgeklärter und humaner als der Amerikaner ist oder ob das beliebte Moralisieren gegen die USA und ihre mittelalterlichen Methoden nicht nur, wie der Washington-Post-Leitartikler schreibt, eine "inszenierte Identitätsübung" ist. Denn bei schweren Verbrechen wie Terrorismus, Serienmorden und Kinderschändung schreit auch in Europa ein Teil der Öffentlichkeit mit schöner Regelmäßigkeit nach der Wiedereinführung der Todesstrafe.

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