Tirols Freiheitsheld Andreas Hofer:Ein Denkmal bekommt Risse

Als Freiheitskämpfer wurde Andreas Hofer vor 200 Jahren berühmt, doch heute beginnt sein Mythos sauer zu werden. Die Geschichte des "obersten Taliban" Tirols.

Michael Frank

Wohl wegen seiner Anzüglichkeit ist das Klischee von der schönen Sennerin so beliebt. In madonnenhafter Einsamkeit ist sie Symbol arbeitsamer Tugend und zugleich lustvoller Lockung, wenn nur der kühne Wildschütz, der vorbeistreift, schmuck genug wäre.

andreas hofer tiroler landsturm

Andreas Hofer hoch zu Roß und der Tiroler Landsturm. Das Gemälde von Joseph Anton Koch entstand um 1820

(Foto: Foto: oh)

Jedoch - die Sennerin gab es nur in Teilen der Alpen, die meisten Almen Tirols wurden zumeist vom "Kaser" bewirtschaftet, einem Mann, der den Käse macht.

Tirols Süden gehörte stets zum Bistum Brixen, dessen Bischöfe wie viele alte Männer in der katholischen Kirche eine lebhafte Vorstellung vom Sexualleben pflegten. So hatten die geistlichen Herren die Sennerin schlichtweg verboten: Alleinstehende Weibspersonen in unkontrollierbarer Höhe schienen ihnen ein Maximum der Versuchung zu sein, wenn nicht gar der Teufel selbst.

Der mythologische Gebirgler schlechthin

Auch das ist die Welt von Andreas Hofer, des Anführers des Tiroler Aufstands, der vor genau 200 Jahren, im April des Jahres 1809, losbrach. Andreas Hofer verkörpert vielen den mythologischen Gebirgler schlechthin.

Unbeugsamer Held, Monument an Treue und Glaubensfestigkeit, Identitätsstifter für das heroische Selbstbild der Tiroler und den Selbstbehauptungswillen vieler, die sich durch Fremdherrschaft in Bedrängnis glauben (heute gemünzt auf Italien), Bannerträger des kulturellen Überlebenskampfes.

Im wirklichen Leben verteidigte er ein verspätetes Refugium der bigott-klerikalen Welt, die geistig und emotional noch in die Scholastik zurückreichte. Er suchte Tirol als barockes Bollwerk gegen die Aufklärung zu bewahren.

Sein heroischer Versuch, Tirol zu "befreien", ist Legende: Er wollte nicht Unabhängigkeit und Freiheit, er wollte den angestammten Herren, den Kaiser zu Wien, wiederhaben.

Die Kaiserlichen nannten Hofer abschätzig "Buschmann"

Die Tiroler Schützen - heute gibt es noch 40.000 in 235 Kompanien - deren heiligster natürlich der Hofer ist, führen bei Gedenkprozessionen demonstrativ eine riesige eiserne Dornenkrone mit. Einem Erlöser wird gehuldigt.

Doch wer ist vor 200 Jahren von welchem Übel durch den Sandwirt aus St. Leonhard in Südtirols Passeiertal erlöst worden?

"Andrä", wie er sich selbst nannte, das mächtige Mannsbild mit den flinken Augen und dem großen schwarzen Bart, wurde von den Kaiserlichen, denen er unerbittlich die Treue hielt, abschätzig "Bartmann" oder "Buschmann", von den Italienern respektvoll "Barbone" tituliert.

Hofers Tragik, die ihn das Leben kostete

Sein Mythos beginnt ausgerechnet in diesem Gedenkjahr sauer zu werden: Trotz Respekts vor der Unbeirrbarkeit dieses Menschen deuten ihn Historiker eher als Kreuzzügler gegen Fortschritt, Moderne und Aufklärung denn als Bewahrer unabänderlicher Werte. Gar in Tirol selbst nagt der Zweifel am Sinn von Hofers Heroismus.

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Kaiser der Franzosen und Gegenspieler Andreas Hofers: Napoleon Bonaparte. Hier auf einem Gemälde von Jean Auguste Dominique Ingres

(Foto: Foto: oh)

Machtpolitische Erwägungen hatten Napoleon Bonaparte, Heerführer der Franzosen und Herr über halb Europa, veranlasst, Tirol 1805 dem soeben zum Königreich erhobenen Bayern zuzuschlagen. Damals schuf der hurtige Besitzerwechsel ganzer Länder gültiges Recht.

Hier liegt Hofers Tragik, die ihn das Leben gekostet hat: Er glaubt während aller Kampfhandlungen gegen Bayern und Franzosen, eine reguläre Armee zu führen; tatsächlich aber ist er rechtlich ein Aufrührer, ein Insurgent, ohne dass Kaiser Franz I. von Österreich ihn über den prekären Status aufklärt.

Deshalb - und vielfach verraten von seinem geliebten Herrn - wird Hofer als Gebirgsräuberhauptmann von einem gezinkten Standgericht im Februar 1810 zu Mantua abgeurteilt und füsiliert.

Ein neuer Typus von Kämpfern

Bei der ersten Besetzung Tirols hatte Napoleon an die Leute zwischen Trient und Innsbruck geschrieben: "Die französische Armee achtet und liebt alle Völker und besonders die einfachen und tugendhaften Gebirgsbewohner; eure Religion, eure Bräuche werden überall geachtet werden!"

Der Glaube jedoch sollte die Okkupanten scheitern lassen: Die Franzosen sehen sich irritiert einem neuen Typ von Kämpfern gegenüber; keinen Söldnern und zwangsverpflichteten Rekruten, sondern Bauern, die mit Wut und Überzeugung fechten, für eigene Familien, eigenen Boden, eigen Gut und Gebräuche.

Unbegreiflich, dass sich hier niemand für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit interessiert, dass die Postulate der Aufklärung als zersetzend verhasst sind. Beide Seiten begehen während der vielen Auseinandersetzungen unbeschreibliche Grausamkeiten, wobei Hofer oft seine Haufen zu mäßigen sucht.

Woher der kühne Einsatz der Bauern? Auf Österreichs Militär war kein Verlass. Die Tiroler hatten zudem ihr Landlibell, die berühmte Verfügung über die Selbstverteidigung. Kaiser Maximilian II., der in Innsbruck residierte, hatte ihnen das im 16. Jahrhundert als Privileg verkauft.

Als Lohn gewährt das Landlibell Tirolern Freiheit von allgemeinen Kriegsdienstpflichten. Sie müssen nur ausrücken, wenn es um die Verteidigung Tirols selbst geht, müssen nie ein Kontingent für Wiens unentwegte Kriegshändel stellen.

Wie Bayerns Reformen in Tirol scheiterten

Die Bauern waren in Tirol seit je frei. Ein Leibeigener oder Abhängiger, was soll der Haus und Hof verteidigen, die ihm gar nicht gehören? Das Selbstbewusstsein freier Bauern ist von anderer Kernfestigkeit, was Franzosen und Bayern blutig zu spüren bekommen.

bayern könig max joseph foto: oliver das gupta

In Tirol blieben seine Versuche erfolglos: Max Joseph, erster König von Bayern. Die Statue befindet sich vor dem Münchner Nationaltheater.

(Foto: Foto: Das Gupta)

Nach vielfältigen katastrophalen Fehlern führt Bayern auch in Tirol auf Druck der Franzosen die Wehrpflicht ein. Man beginnt wahllos, junge Männer auszuheben. Die Volkswut kocht, den Kompanien, die aus Tirol ausrücken, laufen ein Drittel der Rekruten einfach davon.

Dabei waren die Bayern zunächst durchaus gelitten, angesichts einer zuvor bedrückenden Herrschaft Wiens, die nur durch den habsburgimmanenten Schlendrian gemildert wurde. Sind Bayern nicht direkte Nachbarn, mentalitätsverwandt, einen ähnlichen Dialekt sprechend, oft selbst Gebirgler und katholisch bis in die Knochen?

Doch in München regiert unter König Max Joseph der Freiherr Maximilian Joseph von Montgelas als Chefminister: ein Reformer, ein Aufklärer. Und das den Tirolern.

Gescheiterte Aufklärung

Deren liebstes Bekenntnis ist ein wahnhafter Herz-Jesu-Kult, sie lieben ihre häufig noch atavistisch begründeten Bräuche oft mehr als ihre Kinder. Kleriker und Klöster bestimmen Geistes- und Wirtschaftsleben, führen ein so rigides wie bigottes Sittenregime.

Die alte ständische Ordnung ist den Tiroler Bauern heilig, der Versuch Bayerns, einen zentralen und zivilen Staat zu schaffen, stößt auf Unverständnis.

Drei Kreise benennt man nach den Flüssen Inn, Eisack und Etsch, merzt den Namen Tirol offiziell aus, Südbayern reicht jetzt bis Trient. Steuern und Abgaben werden erhöht, da sich Bayern an Frankreichs Kriegen beteiligen muss. Und - oh Schreck - die Beamtenschaft verfährt nach Recht und Gesetz, ohne den Habsburgischen Schlendrian kommen Steuerschuldner rasch an den Bettelstab.

Man verbietet den Herz-Jesu-Kult und die nächtliche Christmette als Hort konspirativer Zusammenrottung. München nimmt den "Pfaffen" das Erziehungswesen, hebt Klöster auf, säkularisiert geistlichen Besitz, regelt die Unterordnung der Amtskirche unter den Staat.

Aber auch das Wetterläuten - Aberglaube! - wird verboten wie der Wettersegen, der Bann gegen Hexen. Eine Generation vorher schon war der große Wiener Reformkaiser Josef II. mit solch aufklärerischen Ideen gescheitert, was Tirol noch immer wie ein Sieg erschien.

Der Kaiser und seine Brüder - Tirols böse Geister

In dieser Atmosphäre hysterischer Abwehr war Andreas Hofer aufgewachsen. Er hat sich nie zu Führungsaufgaben gedrängt, hat vielmehr durch leibliche und psychische Statur Wortführerschaft, Respekt und Vertrauen gewonnen.

andreas hofer tirol

Installierte eine Art Gottesstaat in Tirol: Andreas Hofer, hier auf einem Gemälde nach seinem Ableben entstanden ist

(Foto: Foto: oh)

Schwerfällig im Lesen und Schreiben ist der früh verwaiste, nachmalige Sandwirt von St.Leonhard dennoch weltgewandt: Als Weinhändler, als Fuhrunter-nehmer kommt er herum, macht als Wirt Bekanntschaften. Die Revolte in Tirol wird weithin von Wirtsleuten angeführt, die einen anderen Horizont haben als die mit der kargen Krume der Bergflanken verhafteten Bauern.

So richtig kann niemand sagen, wie Hofer sein Oberkommando zuwächst, das er immer als Sachwaltung für den Kaiser Franz begreift, der erst als FranzII. dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation präsidiert, der das morsche Traditionsgebilde liquidiert und sich 1806 als Franz I. zum ersten Kaiser von Österreich macht.

Dieser Franz und seine Brüder, die Erzherzöge Johann und Karl, sind Tirols böse Geister. Sie schüren die Entschlossenheit zum Aufstand, obwohl klar ist, dass Österreich keineswegs in der Lage sein würde, ihnen zu Hilfe zu kommen und sie heimzuholen.

"Befreit" von betrunkenen Plünderern

Das gelingt erst Metternich auf dem Wiener Kongress. Hofer aber liebt den Kaiser, von dem er nichts weiß und der ihn nie empfängt, obwohl der Widerständler einmal auch nach Wien kommt.

Zunächst sieht es 1809 gut aus: Drei legendäre Schlachten an der Flanke des Berges Isel über Innsbruck gewonnen, ohne Leitung, ohne Strategie. Hofers natürliche Autorität motiviert, Kampfgeist entscheidet die Gefechte.

Nur Mitkämpfer wie Joachim Speckbacher und Martin Theimer haben etwas Taktik aufzubieten, der Kapuzinerpater Joachim Haspinger, ein rotbärtiger Feuergeist, treibt seine Leute mit fundamentalistischem Furor an.

Die Bürger der großen Städte, neben Innsbruck noch Bozen und das italienischsprachige Trient, hatten Sympathien für die Aufklärung bayerisch-französischer Provenienz.

Dafür müssen sich die Innsbrucker dreimal von meist betrunkenen Leuten - reichlich Schnaps befeuerte den Mut - "befreien" lassen, die plündern und die Juden bis aufs Blut drangsalieren und vertreiben; aus "christlicher" Tradition heraus und deshalb, weil diese mit geistlichem Gut handeln, das der Staat in aufgehobenen Abteien und Kirchen konfisziert hat.

Die Städte fürchten die Bauern mehr als die Besatzungssoldaten. Immerhin eröffnet Bayern Innsbrucks Universität neu. Intellektuelle, Studenten und Professoren, sind sich bald der besonderen Abneigung Hofers und seiner Leute sicher.

Angestachelt vom fanatischen Pater Haspinger und seinesgleichen scheint es ihm, Bayerns bildungsbeflissene Behörden wollten die Tiroler bösen Mächten, gar dem Teufel selbst ausliefern.

Hofers Gottesstaat

Nach den gewonnenen Berg-Isel-Schlachten fällt Hofer mangels anderer Landesherrlichkeit die Regentschaft in Innsbruck zu. Der Erfolg macht ihn in ganz Europa als Helden bekannt. Der "Vater und Erlöser", wie ihn Mitkämpfer Speckbacher tituliert, errichtet eine Art Gottesstaat. Patriotisches und religiöses Pathos verfließen.

Tirols Freiheitsheld Andreas Hofer: Gebirgsschütze in der Tradition des Ahnen: Hofer-Nachfahre Andreas Lorenzi

Gebirgsschütze in der Tradition des Ahnen: Hofer-Nachfahre Andreas Lorenzi

(Foto: Foto: dpa)

Gott hat durch ihn gegen Volkssouveränität, gegen die französischen Revolutionsideen und das Ende des Gottesgnadentums entschieden. Modernismus, Rationalismus, Realismus, Freimaurerei, Klosterstürmerei scheinen endgültig besiegt.

Ein grotesker Haufen von Einflüsterern kocht mehr christliche als staatliche Regeln aus. Die Kirche bekommt zurück, was Bayern ihr genommen hat. Frauen haben "ihro Brust- und Armfleisch zu bedecken". Tanz und Bälle sind als Feste des "Lasters" verboten. Wirtshäuser haben während des Gottesdienstes zu schließen. Nächtliche Trunkenheit ist strafbar.

Die Schnaps- und Weinsteuern der Bayern bleiben. Tirol ist isoliert. Mauten, Zölle, die Spann- und Fuhrdienste, von denen Tirol so reich gelebt hatte, bringen nichts mehr. Die Wirte, direkte und treueste Gefolgschaft des Wirts und Weinhändlers Hofer, murren.

Ein heutiger Biograph weist die vielen Fehleneinschätzungen einem verhängnisvollen Umstand zu: "Schlechte Nachrichten wurden in Hofers Umgebung allzu oft im Suff ertränkt."

Wankelmütiges Wien

Hofer regiert ungern. Sein staatsmännisches Meisterstück liefert er mit dem Verbot der Pockenschutzimpfung, die Bayern eingeführt hatte: Hier handele es sich um den Versuch, arglosen Tiroler Seelen "bayerisches Denken" einzuflößen.

Napoleon verliert unerwartet eine Schlacht. Der wankelmütige Kaiser Franz verspricht darauf den Tirolern, ihr Land nie mehr preiszugeben. Es wird nach den nächsten Niederlagen Österreichs unverzüglich wieder an den Korsen verhökert.

Doch niemand schenkt den Tirolern reinen Wein ein; Wien schürt Illusionen. Die vierte, letzte Schlacht am Berg Isel verlieren Hofer und die Bauern. Sie haben nach wie vor weder Struktur noch Strategie, der Feind aber hat gelernt.

Hofer unterwirft sich, widerruft. Rückzug und verzweifelte Scharmützel am Brenner. Die letzte Gelegenheit, als biederer Sandwirt ins Passeiertal heimzukehren, verfluchen die Fanatiker.

Flucht auf die Pfaundleralm, Verrat eines um seine Familie besorgten bäuerlichen Nachbarn, ein gezinktes Standgerichtsverfahren. Hofer stirbt, ohne dass der Kaiser ihm nachträglich Legitimität verschafft hätte, ohne die Begnadigung zu betreiben. Als Wien sich endlich zu vorsichtiger Intervention in Paris entschließt, ist Hofer längst tot.

Eine Historikerin unserer Tage hat Briefschaften, Laufzettel und Befehle des Andrä Hofer untersucht, wie oft wohl das Wort "Freiheit" darin auftauche. Sie hat es nicht gefunden.

Ein Innsbrucker Gemeinderat wendet sich dezidiert gegen den Feiertrubel des Jubeljahres. Bei allem Respekt für dessen Geradlinigkeit könne Hofers Heldentum "uns nichts für die Zukunft lehren". Er nennt den Frömmler den "obersten Taliban" Tirols.

Die Tiroler Schützen aber werden beim Marschieren weiter unverdrossen das Andreas-Hofer-Lied singen, das als Landeshymne weder verändert, noch mit fremdem Text gesungen werden darf. Früher gab es für solche Lästerung Haft, heute begnügt man sich mit Geldbußen.

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