Thüringer Verfassungsschutz vor NSU-Untersuchungsausschuss:Ex-Präsident weist alle Schuld von sich

"Ich galt als Spitzenkraft": Der ehemalige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, weist bei der Anhörung im Erfurter NSU-Untersuchungsausschuss alle Vorwürfe gegen sich zurück. Schuld hätten andere Behörden - und "unfähige" Mitarbeiter.

Christiane Kohl und Tanjev Schultz, Erfurt

Als eine zu seinem Amtsantritt weitgehend funktionsuntüchtige Behörde hat der einstige Thüringer Verfassungsschutzchef Helmut Roewer am Montag das Erfurter Landesamt charakterisiert. Zwar habe die Behörde damals, im Frühjahr 1994, über etwa 50 Beschäftigte verfügt, doch diese hätten kaum brauchbare Kenntnisse für ihre Tätigkeit gehabt.

NSU-Untersuchungsausschuss befragt Ex-Verfassungsschutzchef Roewer

Der ehemalige Leiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, weist jegliche Schuld weit von sich.

(Foto: dapd)

"Es gab nicht eine Person mit der erforderlichen Ausbildung im Amt - außer mir", sagte Roewer am Montagabend selbstbewusst vor dem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung von möglichen Pannen bei der Fahndung nach dem rechtsextremistischen Terrortrio "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Auch habe es keine spezielle Abteilung zur Befassung mit Rechtsextremisten in der Behörde gegeben. Dabei seien die rechtsextremistischen Umtriebe in Thüringen für ihn sofort erkennbar gewesen.

Vorwürfe, dass er wie auch das Landesamt für Verfassungsschutz während der Fahndung nach den drei mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe versagt hätten, wies Roewer weit von sich. Sein Amt habe stets gut mit der Polizei zusammengearbeitet und auch regelmäßige Treffen unter leitenden Mitarbeitern durchgeführt.

Roewer weist Kritik an seiner Arbeit zurück

"Unsere Informationen waren richtig", betonte der umstrittene ehemalige Amtschef zu den Recherchen seiner Behörde gegen das Terror-Trio zu Beginn des Jahres 1998: Das Amt habe die Polizei schließlich zu der Bombenwerkstatt in der Jenaer Garage geführt. Damit habe der Verfassungsschutz seine Arbeit erledigt gehabt, meinte Roewer im Stakkato-Ton. Dafür, dass die Polizei-Aktion dann später "missglückt" sei, trügen er und seine "Untergebenen" keine Verantwortung.

Zur allgemeinen Situation in Thüringen meinte Roewer: "Der Rechtsextremismus war bereits ein Problem in Thüringen, als ich kam." Er erinnerte an verschiedene Vorfälle, beispielsweise eine "Randale in der Gedenkstätte Buchenwald", aus denen klar erkennbar gewesen sei, dass man sich dringend mit dem Problem der Rechtsextremisten auseinandersetzen müsse. Allerdings habe es damals "keinerlei Struktur im Amt" zur Befassung mit den Neonazis gegeben. Auch habe er zunächst keine Personalhoheit gehabt. Zudem habe eine starke Fluktuation bei den Mitarbeitern im Landesamt geherrscht, Referatsleiter hätten ständig gewechselt, "das einzige Kontinuum waren die Minister und Staatssekretäre", so Roewer.

Eingestellt worden war der Jurist 1994 vom damaligen Thüringer Innenminister Franz Schuster (CDU). Die Ernennungsurkunde, unterschrieben vom damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, sei ihm spät abends in einem gelben Umschlag durch einen Boten in eine Gaststätte gebracht worden. Unter Schuster habe es zunächst keine Möglichkeit der Neueinstellung von Mitarbeitern gegeben, da die Stellen gestrichen worden seien. Erst nach einiger Zeit habe Schusters Nachfolger als Innenminister, der SPD-Politiker Richard Dewes, einen neuen Stellenplan freigegeben.

"Ich war der erste Präsident"

Auch habe es vor Roewers Berufung keinen ordentlichen Chef des Landesamts für Verfassungsschutz gegeben: "Ich war der erste Präsident", wiederholte Roewer mehrmals mit seiner leicht heiseren Stimme. Und er betonte auf Nachfrage, dass er sich um das Amt in Erfurt keineswegs beworben habe. Vielmehr habe man ihn, der seinerzeit im Bundesinnenministerium tätig war, von Thüringen aus gesucht und angesprochen. "Ich galt als Spitzenkraft auf diesem Gebiet."

Allerdings fiel es dem Juristen Roewer nach eigenen Angaben offenbar immer wieder schwer, die Mitarbeiter zu qualifizieren: Es habe viele Bedienstete gegeben, "die waren völlig fortbildungsunfähig", zog Roewer über seine einstigen Mitarbeiter her - die Unfähigen seien stets "die Hartnäckigsten gewesen" und nicht von ihren Stellen gewichen. Unter den Mitarbeitern seien auch einige "Altlasten aus dem Westen" gewesen, hat Roewer auf seiner Webseite festgehalten. Dort wird auch ein Tagebuch seiner Amtszeit, die von 1994 bis zu seiner Abberufung in 2000 währte, angekündigt, das demnächst als Buch herauskommen soll. Vor den Landtagsabgeordneten im Erfurter Untersuchungsausschuss aber wollte Roewer dazu nichts sagen.

Roewer verteidigt eigene Strukturreform

Nachdem der Verfassungsschutzpräsident etwa zwei Jahre lang in Erfurt war, wurde dort eine später stark kritisierte Strukturreform durchgeführt, bei der man die Referate für Beschaffung und Auswertung zusammenlegte. Roewer verteidigte die Reform im Ausschuss nun nonchalant mit den Worten, dass "die Gliederung einer Behörde gar nicht so wichtig" sei, denn: "Gute Leute können in jeder Gliederung arbeiten, nicht so gute in keiner."

Zuvor war am Nachmittag Roewers Amtsführung im Untersuchungsausschuss von ehemaligen Mitarbeitern erheblich kritisiert worden. So wurde etwa berichtet, dass er barfuß auf den Fluren der Behörde unterwegs gewesen, zuweilen dort sogar Fahrrad gefahren sei, was Roewer am Abend bestritt. "Den konnte man nicht für voll nehmen", sagte etwa Norbert W., ein heute pensionierter Geheimdienstler, der seinerzeit in der Abteilung "Werbung und Forschung" des Landesamts tätig war. Der heute 65-Jährige hatte 1994 den Rudolstädter Neonazi Tino Brandt als V-Mann für den Dienst angeworben. Der Mann sei "von Roewer persönlich ausgesucht" worden, betonte der Pensionär - was Roewer später dementierte.

Brandt leitete bald den rechtsextremistischen "Thüringer Heimatschutz", dem auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angehörten. Später lieferte der heute 37-Jährige als "Quelle 2045" wichtige Details über das flüchtige Trio. Etwa über Geldsammlungen für die drei, falsche Pässe für die Flüchtigen und über mögliche Kontaktpersonen. "Eine Quelle, die immer auf höchstem Niveau berichtete", lobte der einstige Geheimdienstler. Die Berichte Brandts seien stets "zu 90 Prozent bestätigt worden". Nur zu den drei Flüchtigen führten sie nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: