Thüringen: Linke vs. SPD:Ramelow: "SPD-Chef Matschie lügt"

Warum scheiterte Rot-Rot-Grün in Thüringen? Bodo Ramelow lässt in sein Protokoll blicken - und widerlegt die Begründung des SPD-Chefs Matschie.

Michael König

"Mea culpa" hat er geschrieben: "Ich bin schuld." Und ein dickes Fragezeichen dahinter. So beginnt der aktuelle Eintrag auf Bodo Ramelows Website. Er versteht es, den Leser zu locken. Ein Schuldeingeständnis im andauernden Thüringer Koalitionsstreit, das wäre ein Hammer gewesen. Was sich tatsächlich dahinter verbirgt, ist ein vielleicht noch größerer Coup.

Thüringen Koalition SPD Linke Grüne Bodo Ramelow Christoph Matschie, dpa

Bodo Ramelow (Linke) wirft SPD-Chef Christoph Matschie vor, gelogen zu haben. Matschie (im Bild rechts) hatte behauptet, die Linke habe keinen SPD-Politiker zum Ministerpräsidenten wählen wollen.

(Foto: Foto: dpa)

Der Linken-Spitzenkandidat hat ein Gesprächsprotokoll der Sondierungsgespräche vom 30. September online gestellt. Sie sollen beweisen, dass Ramelow eben nicht schuld war - daran, dass in jener Sitzung das rot-rot-grüne Projekt platzte, die Koalition mit der SPD und den Grünen.

Das Protokoll ist sein Zeuge

SPD-Chef Christoph Matschie erklärte die Gespräche damals für gescheitert - angeblich, weil sich Ramelow geweigert hätte, einen Sozialdemokraten zum Ministerpräsidenten zu wählen. Auf Matschies Internetseite heißt es wörtlich: "Die Linke hat in den Verhandlungen nicht zugestimmt, dass die SPD den MP (Ministerpräsidenten, d. Red.) stellt."

Der linke Spitzenmann will das nicht auf sich sitzen lassen. "Christoph Matschie lügt", sagt Ramelow zu sueddeutsche.de. "Ich habe in der Sitzung mehrfach gesagt, dass ein SPD-Mitglied zum Ministerpräsidenten gewählt werden kann."

Das Protokoll ist sein Zeuge. Zumindest sieht Ramelow das so.

Darin heißt es: "Es gibt kein Ausschlusskriterium in Sachen Parteibuch! Die Linke kann sich vorstellen, eine Person mit SPD-Parteibuch zu wählen, wenn sich alle drei Parteien gemeinsam auf eine solche Person verständigt haben."

"Zurechtgeschusterte Protokolle"

Das Protokoll stammt aus der Feder der Linken-Politikerin Gabi Ohler. Der Inhalt ist - anders als bei vorherigen Sitzungen - nicht mit SPD und Grünen abgestimmt. Aus der SPD heißt es deshalb, es handle sich um ein "Scheindokument". Landeschef Christoph Matschie sagt: "Ich halte es für fragwürdig, im Nachhinein mit zurechtgeschusterten Protokollen die Wirklichkeit im eigenen Sinne umzudeuten."

Doch auch die Grünen haben Protokoll geführt. Ein Auszug liegt sueddeutsche.de vor. Darin wird Ramelows Version der Geschichte bestätigt. Angefertigt wurde sie vom grünen Vorstandsreferent Mario Maling. Dort heißt es unter dem Tagesordnungspunkt "Klärung Personalfrage MP" wörtlich: "Bodo Ramelow verzichtet auf das Amt; es gibt auch keinen neuen Kandidaten der Partei Die Linke; ein MP mit 'SPD-Parteibuch' wird nicht ausgeschlossen."

Auf der nächsten Seite: Ein einfacher Satz führte zum Abbruch der Gespräche. Matschies ungeschickte Verhandlungsführung spielt seinen Kritikern in die Hände.

Die Frage nach der Führung

Die Grünen-Landesvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich sagte zu sueddeutsche.de: "Die SPD schiebt den anderen Parteien den Schwarzen Peter zu. Herr Ramelow hat mehrfach gesagt, dass die Linke bereit sei, einen SPD-Politiker, einen Grünen-Politiker oder auch einen Parteilosen zum Ministerpräsidenten zu wählen."

Der SPD sei das aber nicht genug gewesen. Sie habe Grüne und Linke mehrfach dazu aufgefordert, einen Satz "zu unterschreiben". Wie dieser genau lautete, ist umstritten - fest steht, dass er zum Abbruch der Verhandlungen führte.

Matschie verteidigt sich

Im Linken-Protokoll heißt es, von Matschie sei "immer wieder die Frage gestellt" worden: "Seid ihr bereit, jetzt zu unterschreiben, dass wir die Koalition führen und ihr einen SPD-MP wählt, den wir aussuchen?"

Waren sie offenbar nicht. Nicht, weil die Person ein SPD-Parteibuch gehabt hätte, sagt Ramelow. Er habe sich an dem "Führungsprinzip" gestört: "Die Koalition wäre ja nicht von der SPD geführt worden, sondern von einer Person. Genau wie die Grünen wollten wir wissen, um welche Person es geht." Astrid Rothe-Beinlich bestätigt auch das - wieder stehen zwei Aussagen gegen eine.

Laut Matschie war von einer Führungsposition keine Rede. Der Satz habe schlicht gelautet: "Die SPD stellt den Ministerpräsidenten." Die Linke haben mit einem "kategorischen Nein" reagiert. Sie habe erst verschiedene Personalvorschläge sammeln wollen, über die dann "in einer Art Findungskommission debattiert werden" sollte, sagt Matschie.

Eine Hütte im Thüringer Wald

Das aber wollten weder Matschie noch die Grünen - darin sind sich ausnahmsweise alle Parteien einig. So pochte die Ökopartei gemeinsam mit den Linken darauf, dass die SPD einen Namen nennt. "Ich habe Christoph Matschie vorgeschlagen, sich zu zweit in eine Hütte im Thüringer Wald zurückzuziehen und erst wieder herauszukommen, wenn wir einen Ministerpräsidenten gefunden haben", sagt Ramelow - das habe Matschie aber abgelehnt.

Und so dreht sich die Geschichte im Kreis. Bis zu dem Punkt, an dem Matschie die Sondierungsgespräche jäh beendet - laut Protokoll, weil die SPD "eine Nicht-Einigung in der MP-Frage" festgestellt habe. Stunden später verkündete Matschie die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU - sehr zum Unmut der SPD-Basis.

Am kommenden Samstag trifft sich in Erfurt eine Gruppe von sozialdemokratischen Abweichlern um den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein. Ihr Ziel: Eine schwarz-rote Koalition zu verhindern. Matschies ungeschickte Verhandlungsführung, wie sie sich aus der Lektüre der Protokolle ergibt, dürfte für dessen Kritiker ein weiterer Beleg dafür sein, dass der Thüringer SPD-Chef von jeher etwas anderes als eine rot-rot-grüne Koalition wollte.

Auch Matschie hat ein SPD-eigenes Gesprächsprotokoll der entscheidenden Sitzung in der Schublade. Veröffentlichen will er es nicht. Es sei "verlogen", das ohne Abstimmung mit den anderen Parteien zu tun.

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