Thüringen:Linke verlangt Zeugnisse für Abgeordnete

Die thüringische Linke will ihren Abgeordneten Arbeitszeugnisse ausstellen und ihr Auftreten im Parlament und ihr Wirken im Wahlkreis bewerten. Für manchen ein "ganz normales Verfahren", für andere ein Verstoß gegen des Grundgesetz.

Daniel Brössler

Der Brief an den "lieben Gregor" beginnt mit Nettigkeiten. Die "Umfragewerte für unsere Partei als auch der allgemeine Zustand im Inneren" hätten sich stabilisiert, so der Thüringer Linken-Chef Knut Korschewsky in einem Schreiben an Gregor Gysi, den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Im Landesvorstand, kommt Korschewsky zur Sache, sei die "berechtigte Bitte" geäußert worden, der Vorstand der Bundestagsfraktion möge eine Einschätzung der Arbeit "unserer jetzigen Thüringer Abgeordneten" geben. Diese Einschätzung solle auch dienen als "Hilfestellung für die Aufstellung zur gesamten Landesliste". Die "entsprechenden Materialien" erbittet Korschewsky bis 30. November.

"Das ist ein ganz normales Verfahren", sagt Landesgeschäftsführerin Anke Hofmann. Bewertet werden solle das Auftreten der Bundestagsabgeordneten im Parlament, die außerparlamentarische Arbeit und das Wirken im Wahlkreis. Es gehe um ein Urteil, ob dies alles "ausreichend und zufriedenstellend" sei. Mit "ungläubigem Erstaunen" reagiert darauf der Linken-Abgeordnete Wolfgang Neskovic. "Es ist nicht mit dem vom Grundgesetz gestützten Verständnis eines freien Abgeordnetenmandats vereinbar, wenn ein Fraktionsvorstand Kollegen in Form eines Arbeitszeugnisses beurteilen soll", sagt der Fraktionsjustitiar und frühere Bundesrichter.

Laut Grundgesetz sind Abgeordnete "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Fraktionsvorsitzende sind - auch wenn sich das im Parlamentarieralltag nicht immer so anfühlt - also keine Vorgesetzten. Es sei, versichert Fraktionssprecher Hendrik Thalheim, dennoch nicht ungewöhnlich, dass Landesvorstände sich nach der Arbeit der Abgeordneten aus ihren Ländern erkundigten. Er räumt aber ein, dass Korschewskys Ansinnen "ein wenig zu sehr nach Schulzeugnis" klinge. "Es wird mit Sicherheit kein Muttiheft geben", verspricht Thalheim. Zu DDR-Zeiten standen im "Muttiheft" Mitteilungen der Lehrer.

Andere fühlen sich eher an Kaderakten erinnert. Korschewsky war früher einmal FDJ-Sekretär der Kreisleitung Suhl. Die Landespartei müsse sich über die Arbeit ihrer Abgeordneten doch erkundigen, argumentiert allerdings auch Bodo Ramelow, Fraktionschef im Thüringer Landtag und aus dem Westen stammend. Das sei "immer schon gemacht worden". Luc Jochimsen, eine von fünf Abgeordneten für die Thüringer Linke, ist das freilich neu. "Ich kannte das Verfahren nicht", sagte Jochimsen. Sie erinnere sich auch nicht, zum Ende der vergangenen Legislaturperiode über das Anfertigen einer solchen Beurteilung informiert worden zu sein. Sie habe aber "kein Problem damit", schließlich trete sie ein für Transparenz. Die frühere Fernsehjournalistin wendet dann aber doch ein, dass die Betroffenen ihre Beurteilungen doch zumindest zu Gesicht bekommen müssten. Das sei der "absolute Knackpunkt".

Furcht, wegen politischer Missliebigkeit schlecht beurteilt zu werden, scheint es in der Thüringer Landesgruppe aber nicht zu geben. Jochimsens Thüringer Fraktionskollege Jens Petermann findet es richtig, dass sich der Landesvorstand informiert. Er solle "ruhig wissen, wie gut wir arbeiten".

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