Thüringen:Im geheimen Verfassungsschutz-Labor

Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz

Noch hat sich das Verfassungsschutz-Amt in Erfurt nicht vom Schatten der Vergangenheit lösen können.

(Foto: Martin Schutt/dpa)
  • Seit gut einem Jahr hat der Verfassungsschutz in Thüringen einen neuen Chef: Stephan Kramer. Er war angetreten, die Behörde radikal umzubauen.
  • Für seine bisherige Arbeit gibt es Lob, weil er sich schnell eingearbeitet habe, und Kritik, weil noch wenig aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt sei.
  • Kramer selbst beklagt, dass es wegen des Beamtendienstrechtes schwer sei, unliebsame Mitarbeiter loszuwerden.

Von Cornelius Pollmer und Ronen Steinke, Dresden/Erfurt

Du hast nichts gelernt? Du hast keine Ahnung? "Dann willkommen bei der Antifa!" So steht es auf einem kleinen Spott-Bild, einer Fotomontage. Das Bild zeigt zwei schielende, zahnlückige Antifa-Jungs, sie sollen besonders dämlich aussehen. Das Bild hängt an der Bürotür eines Beamten, der in Thüringen heimlich Leute ausspionieren darf, auch wenn sie nichts Illegales tun.

Im Wahljahr 2017 hört man öfters einen Satz, für den man vor wenigen Jahren noch belächelt worden wäre: Die Demokratie sei in Gefahr. Sie sei es durch Manipulationen der öffentlichen, vor allem netzöffentlichen Meinung. Durch bewusst in den Nachrichtenkreislauf eingeschleuste, oft fremdenfeindliche Lügen. Durch Antidemokraten in bürgerlichem Gewand, mit Wahlergebnissen, die mancherorts schon vor denen der CDU liegen. Und womit beschäftigt sich der Verfassungsschutz, jener Dienst, dessen Losung "Wir schützen Demokratie" lautet, etwa in Thüringen?

Dort, wo die AfD unter ihrem Chef Björn Höcke als besonders radikal gilt, wo die Übergänge ins völkische, offen rassistische Milieu fließend sind, beobachtet niemand auf den Fluren des Landesamtes für Verfassungsschutz die Partei. In den oberen fünf Stockwerken des Beton-Kastens in Erfurt widmet man sich stattdessen, wie eh und je, der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, als gehe von dieser ernsthaft eine Umsturzgefahr aus. Und der autonomen Antifa.

Der neue Chef wollte radikal umbauen

Dabei ist genau dieses Amt das Labor für ein politisches Experiment, das seit dem 1. Dezember 2015 in Thüringen läuft. An diesem Tag zog ein neuer Chef ins Amt, Stephan Kramer, zuvor Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er hatte angekündigt, vieles anders machen zu wollen, er hatte von der rot-rot-grünen Landesregierung Prokura erhalten, den Inlandsgeheimdienst radikal umzubauen. Und er hatte gleich zu Dienstbeginn nicht gespart mit harten Worten gegen Beamte, die sich über Jahre selbstherrlich eingerichtet hätten.

Das Experiment ist interessant nicht nur für Thüringen, sondern für die ganze Republik, in der wieder offen diskutiert wird über Sinn und Unsinn der Sicherheitsarchitektur: Dass der Verfassungsschutz in Deutschland kleinstaatlich organisiert ist, das hat kürzlich Thomas de Maizière kritisiert. Viele haben aufgeschrien. Aber Kramer, 48, ist offen für Veränderungen. Sein Büro hat er mit Andenken aus seinem früheren Leben aufgefüllt, gerahmte Fotos zeigen ihn mit dem Papst, mit Helmut Kohl, mit Henry Kissinger. Hängt so einer an Statusfragen eines Bundeslandes?

Die Bedingungen in Thüringen sind ideal, um ein paar Dinge neu zu probieren

Im Keller von Kramers Amt gibt es eine Rechenanlage, millionenschweres Surren, doch am Ende der Leitungen spionieren nur zwei Dutzend Leute wirklich gegen alle möglichen Extremisten. Der Rest sind Auswerter und Verwalter. Es wäre viel sinnvoller, sagt Kramer, wenn sich das kleine Thüringen mit seinen Nachbarländern zusammentue. "Wir könnten wahrscheinlich mit der Hälfte des Geldes hinkommen."

Kramer redet auch offen darüber, dass man seine Behörde filetieren und teils auf andere Behörden verteilen könnte. Es ist ja so: In Thüringen herrschen ideale Laborbedingungen, um ein paar Dinge neu zu probieren. Der Ministerpräsident spürt keinerlei Verbundenheit zum hergebrachten Verfassungsschutz, dessen Apparat infolge des NSU-Skandals so stark diskreditiert ist, dass er auch kaum Widerstand leisten könnte, wenn ein Reformator wirklich das Messer ansetzen wollte.

Wie läuft es, dieses Experiment? Das kommt, wie so oft, darauf an, wen man fragt. Doch verteilen sich Lob und Kritik, wie so selten, ungewöhnlich auf die Lager. "Ich hatte, um es vorsichtig zu formulieren, gewisse Vorbehalte", sagt Raymond Walk, der für die oppositionelle CDU in der Parlamentarischen Kontrollkommission sitzt. Walk fordert eine bessere personelle, rechtliche und vor allem technische Ausstattung des Amtes und er lobt, Kramer habe erkannt, dass das Land einen starken Verfassungsschutz brauche. Damit liege er nicht auf Linie der Regierung, er lege sich in der Sache gar mit deren Vertretern an. Dass Kramer diese Konflikte nicht scheue, sei anerkennenswert, sagt Walk.

Vielleicht kann er aber auch schon deswegen nicht auf Linie der Koalition liegen, weil es keine solche gibt. In der Frage, ob man einen Verfassungsschutz braucht und wenn ja welchen, gibt es ja schon innerhalb von Fraktionen Dissens, etwa bei den Grünen. Zur Koalition gehören dann noch SPD und Linke.

Dorothea Marx, die sich als Sozialdemokratin bei der Aufklärung der Verbrechen des NSU verdient gemacht hat, sagt, das Land komme bei seiner Aufgabe, die Demokratie zu schützen, ohne nachrichtendienstliche Mittel nicht aus: "Wenn ich mich etwa um die Werbung für terroristische Netzwerke zu kümmern habe, dann kann ich das nicht mit dem Stuhlkreis aufklären." Nähme man diese Aufgabe dem Verfassungsschutz, lande sie bei der Polizei. Diese sei keine per se undemokratische Behörde, aber, sagt Marx, "dann fiele die Möglichkeit parlamentarischer Kontrolle weg". Das Amt also brauche es, wie steht es um den Chef? Kramer habe sich "sehr schnell und fachkundig" eingearbeitet. Versäumnisse? "Nö, eigentlich nicht", sagt Marx.

Viel aus dem Koalitionsvertrag ist noch nicht umgesetzt, bemängeln Kritiker

Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, fällt da schon etwas mehr ein. Bei den Regeln zur Speicherung personenbezogener Daten etwa hätte er sich "ein deutliches Signal" aus dem Hause Kramers gewünscht, nur mal als Beispiel. Grundsätzlich bilanziert Dittes mit Verweis auf den Koalitionsvertrag: "Es ist noch nicht viel umgesetzt, und das ist nicht befriedigend, da sollten wir weiter sein."

Optimistisch stimme ihn die ausstehende Evaluation des reformierten Verfassungsschutzgesetzes und die darauf folgende Einsetzung einer Expertenkommission. Was die Person Stephan Kramer betrifft, klingt Dittes nicht ganz so optimistisch. Bei Kramer, der bei seiner Berufung als Coup des linken Ministerpräsidenten Ramelow galt, sei auffällig, dass er alsbald geheimdiensttypische Begehrlichkeiten in die Öffentlichkeit getragen habe, etwa die Forderung nach tiefergehenden Befugnissen. Dinge, sagt Dittes, "die wenig oder nichts mit dem Koalitionsvertrag zu tun haben". Dinge, bei denen ein Innenminister als Dienstherr schon mal deutliche Worte hätte finden können. So klingt es, ein eher geschäftsmäßiges Sowohl-als-auch.

Im Grunde sei das Amt eine Archivbehörde geworden, klagt Kramer

Wann beginnt Kramer, auch tatsächlich mit den alten Strukturen des Apparats zu brechen, die er bislang so kritisiert? Eine kleine Reform immerhin gab es schon, sagt Kramer: Die Geldkuverts, heimlich zugesteckt, gibt es jetzt seltener. Die Bezahlung von V-Leuten, also Insidern aus dem Kreis von Extremisten, die gegen ein paar Scheine ihre Freunde verraten, ist in Erfurt zurückgefahren worden. Wenn ersichtlich ist, dass der Verräter versucht, sich mit dem Verrat seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, dann bricht sein Amt die Beziehung jetzt sogar ganz ab, behauptet Kramer. V-Leute dürfen auch nicht mehr jahrelang denselben Ansprechpartner haben. Nach zwei Jahren wechselt der "Führer" des V-Manns. Das soll verhindern, dass Abhängigkeiten entstehen.

Aber es arbeiten hier noch immer zu drei Viertel dieselben Leute. Das Beamtendienstrecht, klagt Kramer, er werde manche einfach nicht los: "Die haben sich verkrochen in ihren Aktenschränken. Und im Grunde ist dieses Amt eine Archivbehörde geworden." Es klingt, als stehe Kramer nach einem Jahr selbst noch vor einer Frage: Wo soll sie herkommen, die Kraft für größere Veränderungen?

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