Thüringen:Erkenntnis im Scheitern

Seit einem Jahr regiert Rot-Rot-Grün in Erfurt: Landolf Scherzers Reportage über den "roten" Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

Von Cornelius Pollmer

Landolf Scherzer wollte ein Buch über die Revolution und ihren Anführer schreiben, und dass ihm beides nicht gelungen ist, darf man durchaus als gute Nachricht begreifen. Die Revolution trug sich zu in Thüringen, vor einem Jahr, als dort der erste linke Ministerpräsident Deutschlands gewählt wurde. Der Revolutionär trägt den Namen Bodo Ramelow. Sein Name steht nicht einmal mehr auf dem Cover von Scherzers Buch. Dort steht nur: "Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens."

Scherzer hätte den Untertitel noch ergänzen können. Im Buch geht es auch um Macht und Ohnmacht der Schriftstellerei. Beim ersten Telefonat eröffnet der politische Hierarch das Gespräch mit dem bittstellenden Autor wie folgt: "Hallo, Dichter, hier ist Bodo Ramelow." Der Dichter erlebt in der Folge keine Revolution, sondern die vergleichsweise gesittete Übernahme der Regierungsgeschäfte durch ein rot-rot-grünes Bündnis. Der Dichter erlebt auch keinen Revolutionär aus größter Nähe, sondern einen Ministerpräsidenten, der ihm dann und wann ein "Zeitfenster" schenkt und selbst dann nur simulierte Nähe.

Gemessen an seiner selbst gewählten und ursprünglichen Idee müsste man Landolf Scherzer mit rotem Lehrerstift ins Buch schreiben: Aufgabe verfehlt, Autor gescheitert. Wer sich aber an das mitunter kalte Grauen des eigenen Deutschunterrichts erinnert, der kann die Sache auch anders sehen. Manchmal ist ja nicht der Autor das Problem, sondern die Aufgabe. Diesem Gedanken folgend, hat Landolf Scherzer zwar kein irgendwie revolutionäres, aber dennoch ein ordentliches Buch geschrieben, aus nun folgenden Gründen.

Landolf Scherzer,Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regier

Landolf Scherzer, Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens. Aufbau-Verlag 2015, 363 Seiten, 19,95 Euro. Als E-Book: 15,99 Euro.

(Foto: Aufbau-Verlag)

Der Autor versucht vergeblich, auch nur ein paar Gramm Unbekanntes zu erfahren

Schon im gescheiterten Versuch, Bodo Ramelow nahezukommen, liegen Erkenntnisse über Person und Zeit. Die Person Ramelow wirkt, oberflächlich betrachtet, selbst wie ein Buch ohne Siegel. Der Ministerpräsident betreibt seine eigenen Sender, zu den vordringlichen Aufgaben des Regierungssprechers in Erfurt gehört ein ständiger Blick auf den Twitter-Account seines Chefs. Der öffentliche Ramelow, so scheint es, erzählt allen "alles". Was aber alles unter "alles" fällt, das definiert Ramelow sehr genau - und mehr als "alles" erfährt auch Scherzer nicht.

Es ist durchaus rührend zu lesen, wie zögerlich und vergeblich der Autor versucht, von Ramelow auch nur ein paar Gramm Unbekanntes zu erfahren. Das erwähnte erste Telefonat schildert er auf Seite 36, für die erste wirklich exklusive Begegnung mit Ramelow müssen die Leser bis Seite 285 warten. Über die Gegenwart ist so abermals zu erfahren, dass Politiker wie Prominente mehr denn je ihr öffentliches Bild selbst zu bestimmen versuchen. Ramelow weiß um seine Macht in dieser Frage, er weiß um die Reichweitenstärke seiner digitalen Kanäle - und er spielt mit der teilweisen Ohnmacht von Journalisten oder eben Schriftstellern. Nicht immer geht dieses Spiel in seinem Sinne aus, oft genug aber schon.

Der Autor darf - wie alle anderen - von der schweren Kindheit Ramelows erfahren. Der Vater kam mit Gelbsucht aus dem Krieg und starb bald. Die Mutter griff verzweifelt zur Peitsche, als der Sohn wieder einmal mit einer Diktat-Sechs nach Hause kam, obwohl sie doch gemeinsam so viel geübt hatten. Ramelows Legasthenie wurde erst mit 19 diagnostiziert, in der Schule hatte man sich da ein Urteil über ihn schon erlaubt: "Sehr intelligent, aber stinkend faul." Wenn Bodo Ramelow über all das Bekannte hinaus Scherzer doch mal etwas Neues verrät, dann nur auf dem sicheren Terrain der Nebensächlichkeiten. Scherzer darf mit zum Friseur, Ramelow erzählt von seinem "Pisspottschnitt" aus früheren Tagen und von der amerikanischen Methode, nach der jetzt sein Haar geschnitten werde.

Landolf Scherzer: Der Rote

Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Buch (Internet-Verbingung nötig).

Die Stärke Scherzers besteht nun darin, seine Ohnmacht nicht wegzubehaupten. Die Passage über den Besuch Ramelows in seinem Häuschen in Dietzhausen beginnt er mit heiterer Resignation: "Wahrscheinlich habe ich an diesem Sonntag alles falsch gemacht." Die Melancholie ist nicht nur bei diesem Besuch zu Gast, sie zieht sich durch das gesamte Buch. Scherzer empfindet sie glaubhaft, schließlich ist "Der Rote" nicht nur ein eigenständiges Werk. Es ist auch der vierte Teil einer Reihe politischer Reportagen, die ihre Kraft bislang aus der großen Nähe von Autor und Gegenstand bezogen hatten. Als beispielhaft darf noch heute "Der Erste" gelten. 1986 hatte Scherzer über Wochen einen SED-Sekretär begleitet, mit bestechend nüchternem Blick schrieb er über Funktionär und Partei.

Zudem ist Scherzer anzurechnen, dass er sein Scheitern nicht nur selbst thematisiert, sondern dass er sich auch zügig auf einen aussichtsreichen Plan B einlässt. Statt nur an Ramelow zu scheitern, erbittet sich Scherzer Termine im erweiterten A-Kader der Thüringer Landespolitik. Innenminister Poppenhäger gibt zu, die Seele der Thüringer noch nicht gänzlich erfasst zu haben. Per Kolportage lässt der Autor den Chef der Staatskanzlei Hoff sagen, dass Bodo Ramelow ein impulsives und "manchmal gefährlich gesteigertes Verhältnis zur Gerechtigkeit" unterhalte, vermutlich jedoch keine "richtigen Männerfreundschaften". Und Ministeriumssprecher Schwinger wundert sich schließlich über die neue Aufmerksamkeit für seine Arbeit: "Seit Rot-Rot-Grün dran ist, interessiert die Medien jeder Pups, der hier gelassen wird."

Viele bunte Puzzleteile über das politische Personal in Thüringen sammelt Scherzer auf diese Weise an. Fügt man sie zusammen, entsteht das Bild einer Nicht-Revolution. Der Autor wundert sich, wie wenig Grundsätzliches ein linker Ministerpräsident überhaupt verändern könnte, selbst wenn er wollte. Ramelow hingegen scheint sich daran nicht mehr zu stören - und konzentriert sich auf das Mögliche, wie klein es auch ist. Für die Haltung des Ministerpräsidenten gilt in besonderer Weise jener alte Satz von Johannes Rau, wonach Politik "ins Gelingen orientiert" sein müsse. Und in der Grundaufgabe - aus arg begrenzten Möglichkeiten das Beste zu machen - sind sich der Hierarch und der Dichter am Ende verblüffend ähnlich.

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