Thüringen:Erfurter Wechselspiele

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Hauchdünne Mehrheit: Durch den Übertritt einer SPD-Abgeordneten zur CDU kommt es für die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen wieder auf jede Stimme an.

Von Ulrike Nimz, München

Bodo Ramelow (Linke) war mit einer Mission nach Berlin gekommen: Gemeinsam mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) trommelte er am Dienstagabend vor etwa 90 Bundestagsabgeordneten für Rot-Rot-Grün. Im Gepäck: Positive Erfahrungen aus mehr als zwei Jahren Regierungsarbeit in Thüringen. Im Blick: die Chancen eines solchen Modells auf Bundesebene.

Und während alle Beteiligten noch von vertrauensbildenden Maßnahmen und überwundenen Startschwierigkeiten sprachen, gerieten in Ramelows Heimat Erfurt die Dinge ins Rutschen. Grund ist ein überraschender Seitenwechsel: Die Landtagsabgeordnete Marion Rosin ist aus der SPD ausgetreten und hat sich der CDU-Fraktion angeschlossen. Ihre Gründe legte Rosin, 18 Jahre lang Sozialdemokratin, ausführlich dar - auf der Homepage der CDU-Fraktion: Sie habe im Landtag erfahren müssen, "dass es zwischen den die Regierung tragenden Fraktionen keine Koalition auf Augenhöhe" gebe. Vielmehr werde diese durch "die dogmatisch-ideologischen Führungskader der Linken" geprägt. In der Politik der Linken gebe es eine "zentralistische Tendenz, die der demokratischen Teilhabe der von den Entscheidungen betroffenen Mandatsträger und Bürger kaum Raum lässt", sagte sie. Die CDU-Fraktion stelle sich diesen Zentralisierungstendenzen konsequent entgegen.

Bei den ehemaligen Parteikollegen stößt Rosins Entscheidung auf Unverständnis. SPD-Landesfraktionschef Matthias Hey nennt ihre Stellungnahme "irritierend". Rosin, bis dato bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, habe die CDU in den vergangenen Jahren immer wieder scharf kritisiert. Zugleich sei ihre Vorgehensweise "enttäuschend". Sie habe weder mit ihm noch mit den Abgeordneten der Fraktion über ihre Entscheidung gesprochen, bevor sie sie am Dienstag mitgeteilt habe. Durch ihren Übertritt zur CDU schmilzt die Mehrheit der rot-rot-grünen Koalition auf 46 von 91 Sitzen. Die Opposition kommt auf 45 Mandate.

Nun ist das allein noch kein politisches Erdbeben, schließlich war das Experiment Rot-Rot-Grün Ende 2014 mit nur einer Stimme Mehrheit gestartet. Dass er bei jedem politischen Vorhaben auf jeden Abgeordneten seiner sehr bunten Koalition angewiesen ist - nichts Neues für Ministerpräsident Ramelow. Dass er die nunmehr hauchdünne Mehrheit ausgerechnet einem ehemaligen AfD-Mann verdankt, dürfte ihn eher kratzen. Oskar Helmerich, 2013 unter den Gründern der AfD in Thüringen, war im vergangenen Jahr zur SPD gewechselt, weil er sich mit Fraktionschef Björn Höcke überworfen hatte. Als dieser in der "Erfurter Resolution" den Schulterschluss mit Pegida forderte, unterstützte Helmerich Bernd Luckes "Weckruf 2015". Seine Partei schloss ihn von Fraktionssitzungen aus. Es folgten anonyme E-Mails, in denen dem Kollaborateur mit Kieferbruch gedroht wurde. Das brachte erst das Fass und dann den Mann zum Überlaufen.

Erfreuen kann sich an diesem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel vor allem Thüringens CDU. Ramelows Linkskoalition hänge nur noch am seidenen Faden, kommentierte der Landesvorsitzende Mike Mohring am Mittwoch. Er wird wissen: Zum Vorbild taugt sie damit kaum.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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