Thailand:Mehr Macht, mehr Risiko

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Schon vor seiner offiziellen Krönung sind Portraits von Vajiralongkorn allgegenwärtig. (Foto: Dario Pignatelli/Getty)

Während das Volk noch den Tod von König Bhumipol betrauert, ändert Thailands neuer Monarch Vajiralongkorn die Verfassung, um seine Position zu stärken.

Von Arne Perras, Bangkok

Wer durch die Straßenschluch-ten fährt, erblickt die überlebensgroßen Bilder an jeder Ecke. Noch immer verklei-den Trauerplakate die Glitzerfassaden und Tempelmauern der Metropole Bangkok, schwarz hinterlegte Porträts des verstorbenen Monarchen Bhumibol Adulyadej erinnern vier Monate nach dessen Tod an die vergangene Ära von Rama IX., so der dynastische Titel Bhumibols. Sieben Jahrzehnte lang saß der Monarch der Chakri-Dynastie auf dem Thron. Wer hinabsteigt in die U-Bahn und sich in einen der vollen Waggons zwängt, liest auf den Bildschirmen Trauerbotschaften wie diese: "Wir, Eure bescheidenen Untertanen, wahren das Gedächtnis an Eure unendliche Güte."

An manchen Ecken der Stadt leuchten aber auch schon die Bilder des Sohnes. Als Rama X. verkörpert er die Zukunft der thailändischen Monarchie. Majestät Maha Vajiralongkorn Bodindradebayavarangkun zeigt sich auf Bildern im prunkvollen, von Gold durchwirkten Mantel, die Hände auf einen Degen gestützt. Mit der feierlichen Krönungszeremonie ist zwar erst nach der Einäscherung Bhumibols zu rechnen, die im Herbst erfolgen soll. Doch als König ist der Sohn bereits proklamiert. Und es sind jetzt kleine, eher unscheinbare Meldungen in thailändischen Medien, hinter denen sich große Umwälzungen verbergen.

Der König wünscht Verfassungsänderungen. Und das wirft die Frage auf: Wie mächtig will und wird der neue König sein? Ein striktes Gesetz gegen Majestätsbeleidigung verhindert im Land eine breite Debatte über König und Monarchie und alle politischen Fragen, die sich daran knüpfen. Doch schon jetzt ist zu beobachten: Die Art und Weise, wie der 64-Jährige seine Rolle als Nachfolger Bhumibols in den ersten Wochen ausfüllt, bricht mit den gängigen Vorstellungen, die viele Jahre lang über den Kronprinzen im Umlauf waren. Da hieß es oft, er sei ein Playboy, der sich mehr für Frauen als für Politik interessiere. Außerdem verbrachte Vajiralongkorn seine Zeit als Kronprinz häufig im Ausland, vor allem in seinem edlen Anwesen am Starnberger See. Ganz in der Nähe geht sein Sohn in eine private Schule. Doch nun ist Vajiralongkorn der König von Thailand. Und das hat er jenen, die zuletzt die politischen Weichen in seinem Land stellten, schon sehr deutlich gezeigt.

Der Monarch überragt alle, Mitglieder der Regierung werfen sich vor ihm zu Boden

Wenige Wochen nach der Proklamation ließ er die herrschende Militärjunta wissen, dass er deren Verfassungswerk nicht vollständig akzeptiere, sondern Änderungen an mehreren Artikeln wünsche. Eine davon ist bereits umgesetzt. Der König braucht demnach keinen Regenten mehr, der ihn im Falle einer Auslandsreise vertritt. Allein der Monarch bestimmt künftig, wen und ob er einen Vertreter in solchen Zeiten beruft. Das dürfte nicht nur künftige Reisen nach Tutzing erleichtern, sondern macht auch deutlich, dass er gewieft in die Gestaltung der Charta eingreift, um die Regeln der Monarchie neu zu justieren. "Das sind keine Kleinigkeiten, sondern sehr substanzielle Veränderungen mit politischem Gewicht", sagt der Verfassungsrechtler Henning Glaser, der an der Jura-Fakultät der renommierten Thammasat University in Bangkok lehrt.

Drei Artikel werden gerade den Wünschen des Monarchen entsprechend umge-schrieben. Es ist damit zu rechnen, dass im Zuge dieser Änderungen auch der Artikel 5 neu gefasst wird, der in Krisenzeiten eine Art Obersten Staatsrat vorsieht, der umfassende Vollmachten übernimmt. "Artikel 5 regelt die Machtfrage schlechthin", sagt der Verfassungsexperte Glaser. "Eine Änderung dieser zentralen Norm bedeutet Bewegung im politischen System". Wenn dieser Rat auf Initiative des Königs ganz kippen sollte, womit manche Experten rechnen, so passt das ins Bild. Der Monarch nimmt Einfluss auf die neue Ordnung.

Wenn darüber hinaus auch noch Artikel 182 geändert wird, festigt das die Macht-position des Königs noch mehr. Denn nach den bisherigen Regeln wurden königliche Direktiven jeweils von einem Minister gegengezeichnet. Verfassungsrechtler sprechen von "der konstitutionellen Rückbindung der monarchischen Prärogative". Man könnte es vereinfacht auch so beschreiben: Wenn etwas schiefläuft, dann haftet die jeweilige Regierung, der König schwebt über allem, ohne dass ihn das Auf und Ab der Tagespolitik tangiert. Wenn die Praxis des Gegenzeichnens durch einen Minister wegfällt, ist der König noch stärker, doch trägt er auch mehr Risiken.

Wie sehr der thailändische Monarch schon jetzt alle überragt, konnte die Nation im Fernsehen am 1. Dezember beobachten. Die Bilder zeigten, wie sich der regierende General Prayuth Chan-ocha und andere führende Mitglieder der Regierung vor dem neuen König der Länge nach auf den Boden warfen und ehrfürchtig zu ihm emporblickten. Die Symbolik der Szenerie vermittelt ein Bild klarer Verhältnisse. Die politische Gemengelage ist allerdings etwas komplizierter. Denn das Militär hat nach seinem Putsch bereits wichtige Weichen gestellt, um die politischen Parteien in der künftigen Verfassung zu schwächen und den Einfluss der Generäle auf Dauer tief im Regelwerk zu verankern.

Die Vorstellungen des Königs waren allerdings nicht einfach beiseitezuwischen, die Junta musste sie akzeptierten, obwohl sie ihre sogenannte Reform-Verfassung im vergangenen Sommer bereits durch ein Volksreferendum hatte absichern lassen. Nun wird das Regelwerk erneut umgeschrieben. Der König macht deutlich, wer bestimmt und wo es langgeht. Und wenige hatten damit gerechnet, dass Vajiralongkorn seine Stellung in so kurzer Zeit so konsequent absichern würde. Er tat dies, indem er ihm ergebene Kräfte mit Posten im Kronrat versorgte. Vier ehemalige Soldaten und zwei Zivilisten hat er in das mächtige Gremium berufen. Drei davon gehören der "King's Guard" an, wie ein Teil der Streitkräfte genannt wird. Premier Prayut gehört indessen zur sogenannten Queen's Guard. Daraus ziehen nun alle ihre eigenen Schlüsse.

Und das Volk? "Unsere Zukunft ist etwas vage", sagt eine 42-jährige Fotografin, die sich eines Abends vor dem Königspalast in eine lange Schlange stellt. Bisher war die Rede davon, dass das Militär den Weg für nationale Wahlen Ende 2017 bereitet, doch die Verfassungsänderungen könnten den Zeitplan verzögern, wahrscheinlicher ist nun eine Wahl 2018. Ihren neuen König, der nun seine Macht konsolidiert, sehen die Leute, abgesehen von den prachtvollen Porträts in den Straßen, noch eher selten. Viele sind noch damit beschäftigt, sich gedanklich von ihrem verstorbenen Monarchen zu verabschieden.

Die Fotografin Rung, die nur ihren Vornamen nennen möchte, wird an diesem Abend noch einige Stunden warten müssen, um einen Blick auf den Sarg im Innern des Palastes zu werfen. Aber dieser Moment ist ihr sehr wichtig. "Mein ganzes Leben lang war dieser König immer bei uns", sagt sie. "Wir kennen nichts anderes". An die neue Ära von Rama X. müssen sich alle erst noch gewöhnen.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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