Textiltechnik:Socken mit Gehirn

Jogger

Ein Jogger im Gegenlicht in einem Berliner Park.

(Foto: dpa)

Die moderne Sportkleidung weiß viel über ihren Träger. Zu viel?

Von Titus Arnu

Smog ist kein Grund, auf Sport zu verzichten. Profis setzen sich eine "intelligente" Atemschutzmaske auf, starten eine Fitness-App - und joggen ungerührt durch Stuttgart oder Peking. Die "Athelete's Mask" wurde für Regionen mit starker Luftverschmutzung entwickelt. Ein "Airflow-System" soll dem astronautenartig durch die lebensfeindliche Welt rennenden Sportler eine halbwegs natürliche Atmung ermöglichen. Sie misst detailliert die Leistungsdaten des Athleten - was bislang nur im Labor möglich war.

Joggen ist ja auch ohne digitale Helfer möglich. Aber für viele Amateursportler zählt nur, was sich hinterher in einer App abrufen lässt: verbrauchte Kalorien, zurückgelegte Strecke, Dauer, Schrittfrequenz. Bereits 2016 wurden weltweit mehr als 150 Millionen digitale Trainings-Gagdets verkauft - Fitnessarmbänder, Sportuhren, Schuhe mit eingebauten Chips, Bekleidung mit integrierten Sensoren. Auf der Ispo, der größten Sportmesse der Welt, die am Wochenende in München beginnt, nehmen diese sogenannten Wearables einen immer größeren Bereich ein. Der Markt wächst rasant.

Auf der Messe wird auch ein "intelligenter BH" zu bestaunen sein. Dünne, flexible Elektroden sind darin eingewebt, sie erfassen Herzfrequenz- und Bewegungsdaten der Sportlerin. Die smarten Stoffe verlieren ihre Leitfähigkeit auch nicht, wenn man sie wäscht. Der BH sendet Daten ans Smartphone, dieses verbindet sich mit einem Onlineportal, sodass man hinterher die Trainingseinheit abrufen und analysieren kann. Ähnlich funktionieren digitalisierte Socken, die aufzeichnen, wie der Fuß beim Joggen abrollt.

Die allerschlauesten Sportklamotten denken nicht nur mit, sie greifen auch ins Geschehen ein. Das "Agility Shirt" eines Schweizer Herstellers zeichnet die Bewegungsdaten des Sportlers auf, ein Amateur-Tennisspieler kann dann nach dem Training in Zeitlupe und in 3-D studieren, wie dilettantisch sein Aufschlag ist. Außerdem kann das Multifunktions-Shirt angeblich auf den körperlichen Zustand des Athleten reagieren; textile Sensoren wirken positiv auf die Blutzirkulation und die Sauerstoffversorgung der Haut ein. Andere Hersteller haben Ammoniak-Sensoren in die Sportkleidung eingearbeitet, die anhand der Schweißzusammensetzung eine körperliche Überbelastung feststellen können und vor Erschöpfung warnen - falls der Mensch nicht selbst merkt, wann ihm die Puste ausgeht.

Schlaue Socken, mitfühlende Trikots - muss man befürchten, dass Trainingshosen bald intelligenter sind als ihre Träger? Wohl kaum. Sorgen muss man sich eher um den Datenschutz machen. Die Verbraucherzentrale NRW hat Fitnessarmbänder getestet und dabei gravierende Mängel festgestellt. Fast alle Wearables senden Nutzerdaten an die Server des Anbieters, darunter auch Bewegungsprofile, Adressen und Gesundheitsangaben wie Herzfrequenz und Gewicht. Über die Verwendung dieser sensiblen Daten werde nicht hinreichend aufgeklärt, kritisiert die Verbraucherzentrale. Neun Anbieter, unter ihnen die Marktführer Apple, Garmin, Polar und Runtastic, wurden von den Datenschützern wegen ziemlich unsportlicher Verstöße abgemahnt. Smarte Unterwäsche verrät oft mehr, als dem Sportler lieb ist.

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