Terrorverdacht:So verändern Terrorwarnungen unser Leben

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Freude, Hoffnung, fröhliches Feuerwerk: "Je weniger Erfolg die Einschüchterungsversuche der Terroristen haben, desto eher lassen sie das", sagt Psychologe Jens Hoffmann. (Foto: Stephan Rumpf)

Silvester feiern trotz Terrorwarnung? Ein Psychologe erklärt, warum das möglich ist und ob die Angst vor Anschlägen künftig unseren Alltag bestimmen wird.

Interview: Carolin Gasteiger

Süddeutsche.de: In der Silvesternacht wirkte München trotz der Terrorwarnung friedlich. Haben die Menschen die Warnung nicht ernst genommen?

Jens Hoffmann: Das kann man so nicht sagen. Die Informationspolitik der Behörden hat vielmehr ein gesteigertes Vertrauen bewirkt. Es wurde präzise gesagt, dass es eine Gefahr gibt und welche. Aber verknüpft mit konkreten Handlungsanweisungen, eben Menschenansammlungen zu meiden - und dann wurde präzise Entwarnung gegeben. Mir scheint, dass die deutschen Behörden bei solchen Warnungen sehr genau abwägen und verantwortungsvoll damit umgehen.

Worin besteht die Gefahr bei solchen Warnungen?

Wenn sie wegen allem warnen, nimmt es niemand mehr ernst. Dann hat die Warnung keine Wirkung mehr und zudem macht sich eine generelle Beunruhigung breit. Auf der anderen Seite würde jede Panikmache dem Terrorismus in die Hände spielen.

Lassen die Menschen es einfach nicht an sich ran?

Mit den Anschlägen von Paris ist die Gefahr von Terroranschlägen sicherlich an uns herangerückt. Trotzdem ist die Angst vor dem Terror immer noch ein abstraktes Gefühl.

Aber einfach ignorieren kann man sie auch nicht. Wie also am besten damit umgehen?

In einem Wort: ehrlich. Wenn man - ganz subjektiv - jetzt Angst hat, rauszugehen, sollte man das auch ernstnehmen. Das ist völlig normal und das Gefühl sollte man sich auch nicht verbieten. Wenn man es verdrängt, wird es innerlich umso mächtiger. In den nächsten Tagen öffentliche Plätze zu meiden, ist völlig verständlich. Aber sich wochenlang einzuschließen, könnte zu einem phobischen Verhalten führen. Irgendwann hat man ständig Angst, auf die Straße zu gehen.

Nach Terrorwarnung
:München kehrt zur Normalität zurück - ein mulmiges Gefühl bleibt

Von dem Terror-Großeinsatz ist am Neujahrsmorgen nicht mehr viel zu sehen und zu spüren.

Viele tun genau das Gegenteil, sie gehen raus, teilen sich mit. Nach dem Motto "Jetzt erst recht".

Wenn man das Gefühl hat, man will sich nicht einschüchtern lassen und rausgehen, ist das auch legitim. Aber die behördlichen Anweisungen sollte man nicht ignorieren. Man sollte einfach sein Leben weiterleben. Das könnte sogar zu einem besonderen Effekt führen.

Was meinen Sie?

Vielleicht werden wir zu einer Zivilgesellschaft, die sich nicht einschüchtern lässt. Mir kommt es so vor, als habe sich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt, dass man sagt, wir hier in Europa lassen uns vom Terrorismus nicht vertreiben. Je weniger Erfolg die Einschüchterungsversuche der Terroristen haben, desto eher lassen sie das.

Manche schrecken jetzt auch plötzlich vor Männern mit Bärten zurück.

Auch das ist eine absolute normale Reaktion. Dinge, die mit Gefahr verknüpft sind, lösen bei uns ein Angstgefühl aus, das hat uns beim Überleben geholfen. Moralisch problematisch ist das zunächst nicht. Man muss es nur erkennen, damit man keine Vorurteile entwickelt. Wenn man das Gefühl hat, seine Angst nicht zeigen zu dürfen, wird sie in anderer Form wieder auftauchen. Als Panikattacke beispielsweise.

Verharmlosen wir die Gefahr?

Wichtig ist, über reale Gefahren zu diskutieren - zum Beispiel, ob es radikale Gruppierungen im Land gibt, gegen die wir nicht genug vorgehen.

Werden Terrorwarnungen wie diese unsere Gesellschaft verändern?

Dafür spricht einiges. Bei Charlie Hebdo konnte man noch sagen, wenn ich mich nicht kritisch über Muslime äußere, bin ich nicht in Gefahr. Aber dieses Sicherheitsgefühl gibt es seit den Anschlägen im November in Paris nicht mehr. Die Strategie des Terrors hat sich verändert, nun macht die reale Bedrohung, die wir erleben, Angst. Wir dürfen das aber nicht totschweigen, sondern müssen offen darüber diskutieren. Die Radikalisierung findet ja nicht nur bei den Islamisten statt, sondern auch bei der rechten, vielleicht auch bald auf der linken Seite. Wir sollten eine zivilgesellschaftliche Diskussion führen, die weder beschönigt noch dramatisiert, und auch die Widersprüchlichkeiten aufzeigt. Das wird uns wahrscheinlich alle verändern.

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