Terrorprozess: Die "Sauerland-Zelle":Drei gegen Deutschland

Mit gewaltigen Bomben wollten die mutmaßlichen Täter offenbar die Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzen - und es anschließend genießen. Am Mittwoch beginnt der Prozess.

N. Richter u. H. Kerscher

Die drei wollten mit ihren Bomben symbolträchtige Gebäude zerstören, sie wollten Menschen töten, aber es ging um mehr, es ging um sie.

Terrorprozess: Die "Sauerland-Zelle": Bilder wie in den siebziger Jahren nach der Festnahme von RAF-Terroristen: Vermummte Beamte führen am 5. September 2007 zwei der vier Angeklagten nach ihrer Befragung beim Bundesgerichtshof zu einem Hubschrauber. Mit der Maschine flogen die Männer dann von Karlsruhe zurück ins Gefängnis.

Bilder wie in den siebziger Jahren nach der Festnahme von RAF-Terroristen: Vermummte Beamte führen am 5. September 2007 zwei der vier Angeklagten nach ihrer Befragung beim Bundesgerichtshof zu einem Hubschrauber. Mit der Maschine flogen die Männer dann von Karlsruhe zurück ins Gefängnis.

(Foto: Foto: AP)

Sterben wollten sie nicht, die drei jungen Kerle wollten die Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzen und es anschließend genießen. Drei Männer gegen alle anderen, so, wie sich einst jene Attentäter vom 11.September 2001 gegen Amerika und den Westen gestellt hatten. Die drei sahen sich als Helden. "Dann sind wir drei gegen Deutschland", sagte Adem Yilmaz. "Genau", antwortete sein mutmaßlicher Komplize Fritz Gelowicz. Sie stellten sich vor, wie der Bundesinnenminister das würde erklären müssen: "Wenn der Schäuble vor die Presse tritt, ey, des wird supergeil."

Einer der größten Terrorprozesse in Deutschland

Von Mittwoch an stehen die drei Hauptverdächtigen, Gelowicz, Yilmaz, Daniel Schneider sowie der Mitangeklagte Atilla Selek vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, in einem der größten Terrorprozesse der bundesdeutschen Geschichte. Das Verfahren dürfte zwei Jahre dauern, mehr als 500 Aktenordner Material haben die Ermittler zusammengetragen.

Die Bundesanwaltschaft wirft den drei Hauptverdächtigen unter anderem Mitgliedschaft in einer ausländischen und in einer inländischen terroristischen Vereinigung vor, außerdem die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens. Die Gruppe hatte Chemikalien mit der Sprengkraft von 400 Kilogramm TNT gehortet. Ihr Ziel war es laut Anklage, "in Deutschland Sprengstoffanschläge gegen amerikanische Staatsbürger und US-Einrichtungen mit einer möglichst hohen Opferzahl zu begehen".

Gelowicz, der mutmaßliche Rädelsführer, sowie Schneider sind Konvertiten, sie sind deutsche Staatsbürger und haben sich erst in der Jugend dem Islam zugewandt. Beide stammen aus Scheidungsfamilien, Gelowicz suchte nach einem Sinn im Leben und fand ihn offenbar in der Neu-Ulmer Islamistenszene, in der er seine radikalen Ansichten entwickelte.

"Islamische Dschihad Union"

Er, Schneider und Yilmaz sollen 2006 in einem Ausbildungslager der "Islamischen Dschihad Union" (IJU) zu Kämpfern ausgebildet worden sein, nach ihrer Rückkehr taten sie sich laut Anklage Anfang 2007 zu einer "eigenen Zelle der IJU" zusammen, um in Deutschland Sprengstoffanschläge zu planen.

Die IJU wird im Prozess eine größere Rolle spielen. Die Verteidiger bezweifeln, dass es diese Bewegung in den Jahren 2006 und 2007 tatsächlich in dieser Form gegeben hat.

Die Anklage ist hingegen davon überzeugt und beruft sich unter anderem auf ein Gutachten des Wissenschaftlers Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Täter überschätzten sich

Weil Steinberg bis 2005 als Referent im Bundeskanzleramt gearbeitet hat, wollte ihn die Verteidigung für befangen erklären lassen, was die Justiz zurückwies. Nach Steinbergs Ansicht jedenfalls steht die IJU für eine "konsequente Internationalisierung des Heiligen Krieges an der Seite (...) der al-Qaida".

Zudem kann die Anklage zwei Zeugen aufbieten, einer von ihnen soll ein hoher Kader der IJU gewesen sein. Ermittler haben die Zeugen in usbekischen und kasachischen Gefängnissen aufgesucht; dort sollen Verdächtige oft gefoltert werden.

Beweislast erdrückend

Die Bundesanwaltschaft mag beteuern, die Zeugen seien nicht misshandelt oder unter Druck gesetzt worden. Die Verteidiger allerdings werden diese Aussagen in Frage stellen. Falls sich die Existenz der IJU oder deren Kontakt zu den Angeklagten vor Gericht nicht zweifelsfrei beweisen lässt, entfiele der Vorwurf, einer ausländischen Terrorgruppe angehört zu haben - die Angeklagten könnten dann mit einer geringeren Haftstrafe rechnen.

Beweislast erdrückend

Was hingegen die Zugehörigkeit zu der inländischen Terrorzelle betrifft, ist die Beweislast erdrückend. Weil die Polizei Haus und Auto der Verdächtigen verwanzt hatte, sind unzählige Stunden aus den Gesprächen der mutmaßlichen Verschwörer protokolliert worden.

Die Ermittler lauschten bis zur Verhaftung der Männer im September 2007 im Sauerland einer skurrilen Mischung aus Al-Qaida-Rhetorik und pubertären Gewaltphantasien, vorgetragen in diversen deutschen Dialekten. "Ramstein hört sich gut", sagt Gelowicz, "des isch gut, selbst wenn jemand stirbt, weisch, wie ich mein. Kennst du vielleicht ein Pub oder so. So ein Café, wo Amerikaner sind?"

Einmal sagte einer: "Deutschland sucht den Superterroristen." So haben sie sich wohl gesehen. Junge Männer, die allesamt in Deutschland aufgewachsen sind, zwei Türken, zwei zum Islam bekehrte Deutsche. Der Terror ist nicht mehr importiert, er gedeiht in den Köpfen jener, die hier eigentlich immer zu Hause waren.

Die Behörden kamen den jungen Männern früh auf die Spur, schon Ende 2006 fielen die mutmaßlichen Terroristen auf, als sie eine US-Kaserne in Hanau ausspähten, später wurden verdächtige E-Mails abgefangen. Die jungen Männer vermuteten, dass sie ständig beschattet wurden, doch sie glaubten, dass sie zu klug und die Ermittler zu dumm waren. "Der Schäuble, der lässt uns hier machen", mokierten sie sich einmal. Dabei war ihr Umfeld längst verwanzt.

Machtrausch und Heldenphantasien

Die Wasserstoffperoxid-Lösung, mit der die Bomben gebaut werden sollten, war von den Behörden ohne Wissen der Islamisten verdünnt worden, damit auch ja nichts passieren konnte. 600 Mitarbeiter hatten die Sicherheitsbehörden insgesamt eingesetzt, um dem Treiben ein Ende zu bereiten.

Den mutmaßliche Tätern wurde zum Verhängnis, dass sie sich meistens zu sicher fühlten und in ihrem Machtrausch und ihren Heldenphantasien den Staat unterschätzten. Mit lebenslänglicher Haft müssen sie allerdings nicht rechnen; allenfalls Daniel Schneider, der bei der Verhaftung auf einen Beamten schoss, könnte zusätzlich zu den Terrorvorwürfen wegen versuchten Mordes verurteilt werden. In zehn bis 20 Jahren also könnten die Männer wieder in Freiheit sein.

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