Terrormiliz im Nahen Osten:So finanziert der Islamische Staat sein Kalifat

Terrormiliz im Nahen Osten: Eine Demonstration der Macht, die Angst und Schrecken verbreiten soll: Milizionäre des Islamischen Staats in der Provinz al-Anbar im Westen des Irak.

Eine Demonstration der Macht, die Angst und Schrecken verbreiten soll: Milizionäre des Islamischen Staats in der Provinz al-Anbar im Westen des Irak.

(Foto: AP)

Oft wird behauptet, dass die Terrorgruppe des IS überwiegend von Golf-Staaten wie Katar mit Geld versorgt werden. Das ist falsch. Richtig ist, dass sich der "Islamische Staat" mittlerweile selbst finanzieren kann: neben erobertem Erdöl und Schutzgeldern auch mit antiken Kulturgütern.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Der deutsche Entwicklungshilfeminister Gerd Müller ist beruflich international unterwegs, aber so richtig bekannt war er der Welt bisher nicht. Inzwischen ist das anders: Der CSU-Mann hat im ZDF behauptet, das Golf-Emirat Katar finanziere die Terroristen vom "Islamischen Staat im Irak und in Syrien" (IS) mit. Womit der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hinter den Kulissen eine größere diplomatische Verstimmung zwischen Berlin und Doha auslöste. Katar wies den Vorwurf Müllers empört zurück.

Das kleine Emirat mit seinen gewaltigen Öl- und Gasreserven mag der Staat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit sein, mit seinen Milliarden möglicherweise auch die Muslimbrüder, Dschihadisten, Gotteskrieger und andere militante oder nichtmilitante Islamisten unterstützen. Aber nachgewiesen hat es Doha keiner. Weshalb Katars Außenminister Khaled bin Mohamed al-Attije als Antwort an den deutschen Minister sagen konnte, er sei "angewidert vom IS und dessen Methoden". Sein Land unterstütze die Aufständischen in Syrien aktiv im Kampf gegen Diktator Baschar al-Assad, "aber den IS oder irgendeine andere Terrorgruppe finanziert Katar nicht".

Der Islamische Staat schwimmt im Geld

Und doch schwimmt die Terrormiliz Islamischer Staat im Geld, unterhält eine wachsende Armee aus angeblich schon Zehntausenden Militanten. Woher die Millionen - oder Milliarden - ursprünglich gekommen sind, lässt sich kaum nachvollziehen. Die verschiedenen Vorläuferorganisationen des Islamischen Staats kämpfen im Irak seit dem Beginn der US-Besatzung 2003. Wenn sie in den frühen Jahren Gelder von Golfstaaten bekommen haben - von Katar, Saudi-Arabien oder Kuwait -, dann waren es wohl meist private Spenden reicher Geschäftsleute oder Gelder aus großen Kollekten unter Gläubigen.

Die Regierungen am Golf haben sich, auch wenn ihnen die Dschihadis im Irak oder in Syrien politisch nützlich waren, immer bedeckt gehalten und weggeschaut. Eine direkte Verwicklung staatlicher Stellen haben sie vermieden. Staaten wie Saudi-Arabien versuchen seit einiger Zeit sogar, die "Dschihad-Solidarität" ihrer Bürger zu unterbinden. Sie fürchten die Militanten inzwischen selbst - seien es die Kämpfer des Islamischen Staats oder die von al-Qaida. Die arabische und islamische Dschihad-Spendenindustrie, die auch die nichtarabischen Staaten der muslimischen Welt erfasst hat, lässt sich aber nur noch schwer stoppen: Der größte Teil der Spenden für den Dschihad gegen Syriens Diktator Assad etwa soll derzeit aus milden Gaben von Kuwaitern stammen.

Fest steht, dass der IS sich und seinen Kalifat-Staat inzwischen selbst finanzieren kann. Die Terrorgruppe hat reiche Städte wie das irakische Mossul oder das syrische Rakka erobert. Die Behauptung, allein bei der Einnahme von Mossul seien den Militanten durch Plünderung von Banken und Behörden eine halbe Milliarde Dollar in die Hände gefallen, gilt inzwischen als Erfindung. Richtig scheint jedoch zu sein, dass nach wie vor Gelder fließen aus dem Verkauf gestohlenen Erdöls. Angeblich geht es hier um viele Millionen Euro. Die Zahlen sind allerdings nicht nachprüfbar. Auf alle Fälle kontrolliert der IS Ölfelder in der syrischen Provinz Deir al-Sor, kleinere Ölanlagen im Irak kommen dazu. Das Rohöl wird auf primitive Weise raffiniert, auf dem örtlichen Markt billig angeboten oder an Hehler verkauft, die es in der Türkei anbieten.

Entführungsopfer nach der Farbe des Reisepasses ausgesucht

Eine weitere Einnahmequelle aller Dschihadisten sind Entführungen. Rund 20 ausländische Journalisten sollen sich derzeit in Syrien in der Hand der Militanten von Kalif Ibrahim oder ähnlicher Gruppen befinden. Von den Regierungen der Entführten werden Lösegelder in Millionenhöhe erpresst - oder sie müssen sterben. Eine dieser Geiseln, der Amerikaner James Foley, ist das prominenteste Beispiel der vergangenen Tage. Die US-Regierung zahlt aus Prinzip kein Lösegeld, die Europäer sind da flexibler. Für mehrere Dänen, Franzosen und Spanier sollen Millionen geflossen sein. Berlin schweigt sich aus, soll aber angeblich ebenfalls zahlen für seine gekidnappten Bürger.

Die Summen sind unbekannt. Doch die weltweit operierende Terrororganisation al-Qaida, mit der der Islamische Staat tief zerstritten ist, soll laut New York Times in den vergangenen fünf Jahren rund 125 Millionen Dollar eingenommen haben an Lösegeldern für Geiseln im Nahen Osten und in Nordafrika. Die Entführung von ausländischen Reportern, Entwicklungshelfern und Ingenieuren sei eine regelrechte Industrie geworden, in der die Opfer nach der Farbe ihres Reisepasses ausgesucht würden, bemerkte die New York Times: Amerikaner seien längst weniger interessant als Europäer.

Ungeschützte Grabungsstätten und Museen

Hinzu kommt gewöhnliche Schutzgelderpressung: Der Kalifat-Staat ist riesig, Geschäftsleute und Händler in den vom Islamischen Staat kontrollierten Teilen Syriens und des Irak sind den Militanten schutzlos ausgeliefert. Der IS mit seiner mafiösen Struktur erhebt "islamische Steuern", die in Wahrheit Schutzgelder sind. Dazu kommen Einnahmen aus dem Schmuggel ins Kriegsgebiet. Über die türkische Grenze kommen seit fast vier Jahren Lebensmittel, Medikamente, Gebrauchsgüter und natürlich Waffen ins syrische und von dort auch ins irakische Kriegsgebiet. Hier verdienen Gruppen wie der Islamische Staat, die Al-Nusra- Front oder andere Rebellengruppen mit.

Eine weitere Geldquelle sind wertvolle antike oder islamische Fundstücke aus den ungeschützten Grabungsstätten und Museen Syriens und des Irak. Die oft einmaligen Artefakte werden auf dem internationalen Kunstmarkt versilbert. Es geht um Millionenwerte und um nicht zu reparierende Schäden am Kunstbestand dieser Staaten: Das zerstörerische Geschäft mit den Kulturgütern läuft im Irak seit 2003, in Syrien seit Mitte 2011.

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