Terrormiliz:Der Aufstieg des IS und was die USA damit zu tun haben

Terrormiliz: Ein irakischer Soldat und die Flagge der IS-Terrormiliz.

Ein irakischer Soldat und die Flagge der IS-Terrormiliz.

(Foto: AP)

Das Buch "Schwarze Flaggen" von US-Autor Joby Warrick zeigt: Wo immer die USA eingreifen, um neue Ordnungen zu gründen, geht es schief.

Rezension von Wolfgang Freund

Seit der Piratenzeit mangelt es nicht an schwarzen Fahnen und Wimpeln. Vor wenigen Monaten glaubte der hier Schreibende, sogar auf dem Schlossplatz von Braunschweig aus der Ferne "schwarze Flaggen" ausgemacht zu haben; und schon murmelte sein inneres Krümelmonster "Nix wie hin, da gerät eine IS-Demo in Gang!" Es waren aber nur eine Handvoll grundsympathischer junger Menschen, die gegen die Verwendung von Tierfellen in der textilverarbeitenden Industrie demonstrierten. Die "schwarzen Flaggen" galten den armen Viechern, denen internationale Mode-Haie das Fell über den Kopf ziehen.

Ein ganz anderes Kaliber haben die "Schwarzen Flaggen" von Joby Warrick, dem US-Autor von "Black Flags: The Rise of the Isis", der 2016 dafür mit seinem zweiten Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Da geht's um die Spindoktoren und Killer des sogenannten Islamischen Staates (IS) und deren mögliche Verstrickungen in eine New World Order . . . made in USA.

Das Buch gibt es nun auch auf Deutsch, übersetzt von Cornelius Hartz. Vor der Lawine der deutschen IS-Literatur, die seit zwei, drei Jahren unsere Lesekapazitäten belastet sowie unsere geistigen Aufnahmefähigkeiten lawinenartig überrollt, reagierte der Berichterstatter zunächst wie ein Hund des Dr. Pawlow, aggressiv bellend: "Was, schon wieder 400 Seiten Terroristenknatsch?" Doch das Titelblatt, auf dem neben den bibliografischen Üblichkeiten reißerisch-amerikanisch zu lesen steht: "Packend erzählt . . . New York Times", verursacht doch größeren Wissensdrang.

Die amerikanische Herkunft der Schrift bleibt, trotz gelungener Übersetzung ins Deutsche, unverkennbar. Der Text liest sich streckenweise wie das Drehbuch zu einer Horror-Terror-Schnulze made in Hollywood. Hinrichtungs- und Folterszenen aller Art, die das Gruseln lehren, werden detailreich geschildert. So bereits im Prolog anlässlich einer Vollstreckung durch die jordanische Justiz: "Ein Imam sprach ein Gebet, während man eine Schlinge mit einer stabilen Metallklammer sicherte . . . Als sich die Falltür unter dem Galgen öffnete und sie [der Delinquent war eine Frau] in die Dunkelheit stürzte, gab sie keinen hörbaren Laut von sich. Es war 5:05 Uhr, etwa anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang, als der Gefängnisarzt ihren Puls prüfte." Man hätte das auch anders schildern können, aber bitte: jeder Buchautor bleibt frei, sich so zu äußern, wie er es für richtig hält, vor allem in den USA, wo das First Amendment der grundgesetzlichen Ordnung einen Grad der publizistischen Meinungsfreiheit sicherstellt, den man andernorts, weltweit, vergeblich suchen würde.

Das Buch besitzt Qualitäten. Minutiös wird erläutert, wie sehr der Schlamassel, in dem sich das Nah- und Mittelost-Engagement der USA heute befindet, ursächlich mit jenen Vorgängen verknüpft ist, als sich CIA-Agenten und sonstige "Schlapphutindianer" aktiv darum bemüht hatten, "islamistisch" geprägte Tendenzen zwischen Pakistan, Afghanistan und Saudi-Arabien (möglicherweise aber auch anderswo in Regionen des sogenannten Arabischen Frühlings wie Tunesien, Ägypten, Libyen oder in Jemen) materiell und ideell zu fördern. Krebsartige Fortentwicklungen wie al-Qaida oder IS wären ohne solche "Starthilfen" kaum möglich geworden.

Politische Naivlinge in Washington, D. C., hatten ursprünglich geglaubt, durch Unterstützung islamistischer Widerständler gegen die sowjetrussischen Eroberer Afghanistans (1979 - 1989), also der Taliban, westliche Formen von "Demokratie" in der nah- und mittelöstlichen Welt des Islams voranzubringen. Die empirischen Details stammen bei Warrick nicht, wie zumeist bei solchen Versuchen, aus der Lektüre anderer Bücher zum Thema, sondern aus vor Ort gewonnenen Erfahrungen als embedded participant observer bei amerikanischen Armeeeinheiten und Geheimdiensten. Das gibt dem Text Glaubwürdigkeit. Langeweile bei der Lektüre kommt nicht auf. Ärgerliches beschränkt sich auf Technisches, wie etwa ein eigenartiges, nach Kapiteln geordnetes System der "Anmerkungen". Der Leser, will er das alles nachvollziehen, ist ständig am Blättern und Suchen.

Vorhandene Auffassungen zu US-Kriegseinsätzen verfestigen sich

Nach Lektüre dieser "Schwarzen Flaggen" hat sich im Rezensenten eine Auffassung, die er während einiger Jahrzehnte beruflichen Wirkens in Ländern wie Tunesien, Ägypten, Israel und "Palästina" im Wesentlichen bereits erwerben konnte, weiter verfestigt. Wo immer die USA zwischen Nordafrika und dem Nahen Osten irgendwie eingreifen, um bestehende Ordnungen auszuhebeln, beziehungsweise neue zu begründen, geht es schief, und das neu Geschaffene ist in der Regel noch fragwürdiger als das alte. Moderne Kriege konnten die USA stets dort siegreich beenden, wo der Feind ihrem eigenen Kulturkreis in etwa nahe gestanden hatte, sprich: in den europäischen Auseinandersetzungen der beiden Weltkriege.

Mit Kulturen, die "anders" denken, beten und sozial handeln, sind die Amerikaner überfordert

Selbst Japan konnte nur durch den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki besiegt werden, "konventionell" hatten die amerikanischen GIs es nicht geschafft, und alles Nachfolgende ging für sie, um es salopp zu sagen, in die Hose: Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, Syrien. Mit Völkern und Kulturen, die "anders" denken, beten und sozial handeln, sind diese Amerikaner überfordert. Sie passen nicht in deren Kleiderordnung. Oder um es "idealtypisch" auszumeißeln: US-Amerikaner mit WASP-Migrationshintergrund (WASP steht für White-Anglo-Saxon-Protestant) können nicht "drittweltlich" denken. Sie konnten das bereits vor mehr als 200 Jahren nicht, als sie daran gegangen waren, eine nordamerikanische Urbevölkerung, nämlich die wenig protestantisch-christlich vorprogrammierten Indianer, systematisch auszurotten. Un génocide avant la lettre. Auch die Bill of Rights vom 15. Dezember 1791 galt nur für die eigenen Belange, nicht für die bereits angetroffenen und in den Tiefen des nordamerikanischen Kontinents heute noch als ethnische Rarität, sprich: touristische Sehenswürdigkeiten vorkommenden Rothäute.

Ein aktuelles Phänomen, das seine ganze Sprengkraft behält und Joby Warricks Buch wie einen heimlichen roten Faden durchzieht: Ohne die Mittelalterlichkeit der saudi-arabischen Kollektivmoral und Gesellschaftsordnung wäre der "Islamische Staat" undenkbar. Alle Vordenker auf diesem Gebiet sind entweder Saudis oder zumindest saudisch akkulturierte Sympathisanten. Kurioserweise sind eben diese merkwürdigen Saudis die besten Freunde der USA geblieben. Nicht nur Geld, sondern auch Öl stinkt offenbar nicht.

Als Barack Obama im Sommer 2015, zusammen mit seinen europäischen Verbündeten, das Nuklearabkommen mit Iran unterzeichnet hatte, konnte man der Hoffnung verfallen, es würden sich zwischen Mittelmeer-Ostküste und arabisch-persischem Golf in wechselseitiger, transkontinentaler Zusammenarbeit neue geopolitische Gewichtungen herausbilden und für den Irak sowie Syrien tragende Friedensinitiativen ermöglichen. Ein Flop.

Die "Heilige Allianz" zwischen Saudi-Arabien und den USA blieb in vollem Umfang erhalten und schreibt sich weiter. Donald Trump wird sich hüten, solche ölkolorierten "Familienfotos" von den Wänden der Boudoirs des Weißen Hauses abzuhängen.

Joby Warrick: Schwarze Flaggen. Der Aufstieg des IS und die USA. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz. Theiss-Verlag/WGB. Darmstadt 2017. 392 Seiten. 22,95 Euro. E-Book: ab 13,99 Euro.

Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt "Mittelmeerkulturen"). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Er lebt heute in Südfrankreich.

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