Terrorismus:Steinmeier: Opfer vom Breitscheidplatz hätten mehr Beistand gebraucht

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Vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gedenken die Spitzen des Staates und der Stadt Berlin der Opfer des Terroranschlags vom vergangenen Jahr. (Foto: AFP)
  • Bundespräsident Steinmeier gedenkt der Opfer des Terroranschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vor einem Jahr.
  • Er sieht Versäumnisse im Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen - viele hätten sich nach der Tat im Stich gelassen gefühlt.
  • Der Trotz dürfe nicht dazu führen, "dass wir den Schmerz und das Leid verdrängen", sagt er laut Redemanuskript.
  • Angela Merkel verspricht am Rande der Gedenkveranstaltung, Lehren aus den Erfahrungen im Umgang mit den Betroffenen ziehen zu wollen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht im Umgang mit den Opfern des Terroranschlags vom Breitscheidplatz vor einem Jahr Versäumnisse bei Staat und Gesellschaft. "Zur Wahrheit gehört auch, dass manche Unterstützung spät kam und unbefriedigend blieb", sagte Steinmeier dem Rede-Manuskript zufolge bei der nicht öffentlichen Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt.

"Viele Hinterbliebene und Verletzte - viele von Ihnen - haben sich nach dem Anschlag vom Staat im Stich gelassen gefühlt." Es stelle sich die Frage, wie die gesamte Gesellschaft mit dem Attentat umgegangen sei. Direkt nach dem Anschlag habe sich die Einstellung verbreitet, man wolle sich nicht einschüchtern lassen und weiterleben wie bisher. Diese Sätze seien stark und richtig. "Aber so kurz nach dem Anschlag, als die unfassbare Gewalt gerade in unseren Alltag eingebrochen war, klangen sie nicht mehr nur trotzig und selbstbewusst, sondern auch seltsam kühl und abgeklärt", sagte das Staatsoberhaupt. Für viele Angehörige habe das gewirkt "wie ein Abwehrreflex, wie der allzu routinierte Versuch, den Schock zu unterdrücken". Das habe bei ihnen Unverständnis hervorgerufen.

Die Gesellschaft dürfe dem Terror nicht nachgeben. "Aber das darf nicht dazu führen, dass wir den Schmerz und das Leid verdrängen." Die Gesellschaft trete dem Terror auch dadurch entgegen, dass sie gemeinsam der Opfer gedenke und den Hinterbliebenen zur Seite stehe. "Dass wir miteinander traurig, miteinander wütend, miteinander fassungslos sind - auch das gehört zum Zusammenhalt, den wir brauchen, um gemeinsam unsere Freiheit zu verteidigen."

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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sagte über das Denkmal, das einen großen Riss darstellt, es symbolisiere "die Wunden, die der Anschlag geschlagen hat" - dürfe zugleich aber nicht als Symbol dafür gesehen werden, dass sich die Gesellschaft "durch Terror und Hass spalten" lasse.

Angela Merkel versprach am Rande der Gedenkveranstaltung, Lehren aus den Erfahrungen im Umgang mit den Betroffenen ziehen zu wollen. "Heute ist ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, besser zu machen", betonte die Kanzlerin. Sie hat sich gestern mit Hinterbliebenen getroffen. Diese hatten sich öffentlich beschwert, dass nach dem Anschlag die Betreuung schlecht war, lange Unklarheit über die Toten herrschte und Merkel ihnen nie kondolierte.

Am Montag hatte Merkel etwa 80 Opfer und Hinterbliebene im Kanzleramt empfangen. In einigen Monaten sei ein weiteres Treffen geplant, kündigte Merkel nun an.

Maas: Justizministerium war nicht ausreichend vorbereitet

Bereits zuvor hatte sich Justizminister Heiko Maas (SPD) entschuldigt. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel schrieb er: "Wir waren nicht ausreichend auf die Folgen eines solchen Terroranschlags für die Betroffenen vorbereitet. Dafür können wir uns bei den Opfern und Hinterbliebenen nur entschuldigen."

Der SPD-Politiker folgte zudem den Vorschlägen des Opferbeauftragen der Bundesregierung, Kurt Beck. Dieser hatte in seinem Abschlussbericht eine bessere Betreuung der Opfer, eine bessere finanzielle Unterstützung für Verletzte und Hinterbliebene sowie eine einheitliche Entschädigung unabhängig von Nationalität und Tatwaffe gefordert.

Der Opferbeauftragte nutzte den Jahrestag, um seine Forderungen bei einer Gedenkstunde im Berliner Abgeordnetenhaus zu wiederholen. Auch Beck sagte, die Bundesregierung sei auf einen solchen Anschlag "nicht ausreichend vorbereitet" gewesen und habe deshalb unzureichend reagiert.

Die Sicherheitsbehörden haben nach den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Konsequenzen aus dem Terroranschlag gezogen. Man habe aus dem Fall gelernt, und in den vergangenen 365 Tagen sei viel dafür getan worden, "damit so etwas nicht noch einmal passiert", twitterte der CDU-Politiker anlässlich des ersten Jahrestages des Anschlags. "So bitter es auch ist: Es gibt keine absolute Garantie gegen Terroranschläge", räumte der Minister zugleich ein. "Heute ist ein trauriger Jahrestag", fügte er hinzu. "Ich werde den Abend des 19. Dezember 2016 nie vergessen."

Genau vor einem Jahr war ein Attentäter mit einem gestohlenen Laster in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gefahren. Elf Menschen starben, den polnischen Lastwagenfahrer hatte der Attentäter zuvor erschossen. Annähernd 100 Menschen wurden verletzt.

© Süddeutsche.de/dpa/kna/dayk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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