Terrorismus:Reifeprüfung

Safia S. ist mit einem Messer auf einen Polizisten losgegangen. Im Prozess geht es nun darum, ob die heute 16-Jährige zur Tatzeit überhaupt strafmündig war.

Von Wiebke Ramm, Celle

"Soll ich Safia und du sagen? Oder Frau S.?" Richter Frank Rosenow lächelt. Der Verteidiger beugt sich zu Safia S., flüstert ihr etwas zu. Sie ist 16 Jahre alt, trägt Brille, hellbraunes Kopftuch, grauen Wollmantel und schwarze Hose. "Ja, Safia und du reicht." Der Ton im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle ist freundlich, der Vorsitzende Richter zeigt sich zugewandt. Als Richter am Landgericht Hannover hat er den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff freigesprochen. In Celle nun hat er es erneut mit einem sehr speziellen Fall zu tun.

Safia S. mag Justin Bieber und Katzen. Das zeigen Fotos auf der Facebook-Seite der Gymnasiastin aus Hannover. Auf die Idee, dass sie im Auftrag der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Deutschland töten wollte, muss man erst mal kommen. Die Ermittler haben es lange nicht für möglich gehalten - bis Safia S. am 26. Februar im Hauptbahnhof Hannover mit einem Gemüsemesser auf einen Bundespolizisten einstach. Seit Donnerstag muss sie sich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung der terroristischen Vereinigung IS vor Gericht verantworten. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hat sie den ersten, direkt vom IS in Auftrag gegebenen Angriff in Deutschland verübt. Um das Gerichtsgebäude herum patrouillieren zu Prozessbeginn schwer bewaffnete Polizisten.

Der Verteidiger gibt sich überzeugt, "dass das Verfahren mit einem Freispruch endet"

Wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten findet der Prozess hinter verschlossenen Türen statt. Schon nach 20 Minuten schickt der Richter alle Zuschauer und Journalisten aus dem Saal. Der Schutz der Angeklagten überwiege das Interesse der Öffentlichkeit. "Es gilt, die Angeklagten vor weiteren Bloßstellungen und Stigmatisierung zu beschützen", sagt Rosenow. Bereits die Anklage wird ohne Öffentlichkeit vorgetragen. Hinterher sagt ihr Verteidiger: "Ich gehe fest davon aus, dass das Verfahren mit einem Freispruch endet." Dass Safia S. einen Auftrag vom IS bekommen habe, könne die Bundesanwaltschaft nicht belegen, zudem hege er "ganz erhebliche Zweifel", dass Safia S. Einsicht in das Unrecht ihrer Tat hatte. Ihre Reife entspreche nicht der einer 16-, sondern eher der einer 13-Jährigen. Da dieser Prozess nach Jugendstrafrecht geführt wird, ist dies relevant: Dann wäre Safia S. strafunmündig. Das Gericht hat eine Psychiaterin beauftragt, ein Gutachten zu erstellen.

Am 22. Januar ist Safia S. nach Istanbul geflogen. In der Türkei soll sie von IS-Mitgliedern den Auftrag für eine "Märtyrertat" bekommen haben. In der Anklage heißt es, sie habe den Polizisten "als Repräsentanten der von ihr verhassten Bundesrepublik" töten wollen. Mit auf der Anklagebank sitzt Hasan K. Der 20-Jährige hat seine Jeans bis über die Knöchel hochgekrempelt, wie es sich für einen Salafisten gehört. Der Deutsch-Syrer soll gewusst haben, was Safia S. plante. Weil er nicht zur Polizei ging, muss er sich mit ihr vor Gericht verantworten.

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