Terrorismus:Recht und Rabatt

Ein Mitglied der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK ist in Hamburg zu einer Haftstrafe verurteilt worden - ein Urteil, das auch Außenpolitik ist.

Von Ronen Steinke

Schon oft hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beklagt, die deutsche Justiz sei zu nachsichtig im Umgang mit kurdischen Terroristen. Wieder scheint nun ein deutsches Gericht, dieses Mal das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg, diese Wahrnehmung zu bestätigen. "Wir können sicher sein, dass der türkische Staat sich über dieses Urteil beschweren und das Gericht als Terrorhelfer kritisieren wird", schickte der Richter vorweg, bevor er am Freitag einen Kader der sogenannten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) schuldig sprach. Nur zwei Jahre und neun Monate Haft verhängte er als Strafe für den 37-Jährigen, der die Spendensammlung der PKK in Darmstadt, Berlin und München geleitet haben soll. Man hätte natürlich weiter gehen können, erklärte Richter Norbert Sakuth. Doch sei zu bedenken, dass "die Türkei die Rechte der Kurden missachtet" und der Angeklagte die "Vertreibung aus seiner Heimat erleben musste". Der letzte PKK-Funktionär, der vor demselben Senat angeklagt worden war, hatte sogar nur eine Bewährungsstrafe erhalten. Das hatte Verstimmungen in der Türkei ausgelöst. Zwei Jahre und neun Monate also, das liegt derzeit an der Obergrenze bei Strafurteilen gegen PKK-Funktionäre hierzulande.

Großrazzia gegen mutmaßliche PKK-Anhänger

Seit März steht das Zeigen des Porträts des seit 1999 inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan in Deutschland unter Strafe.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Ist das zu lasch? Es ist jedenfalls milder als in früheren Zeiten, was zum einen daran liegt, dass sich die Gewalt der PKK in den 1990er-Jahren auch gegen Ziele in Deutschland richtete. 1997 zum Beispiel verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt drei Kader, die für eine Serie von Anschlägen auf türkische Unternehmen und Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet mitverantwortlich gewesen sein sollen: Elf, sechseinhalb und zweieinviertel Jahre Haft lauteten die Strafen. In Wiesbaden waren bei einem Brandanschlag ein Mensch getötet und drei schwer verletzt worden. Oder 1998, auf dem Höhepunkt einer bundesweiten Prozesswelle gegen die PKK - damals verurteilte das Oberlandesgericht Celle den früheren Europasprecher der PKK-Massenorganisation ERNK, weil er zwei Anschlagsserien auf türkische Banken und Reisebüros in Deutschland im Juni und November 1993 geleitet habe: siebeneinhalb Jahre Haft.

Erst seit 2002 darf die Justiz auch Terror verfolgen, der sich gegen ausländische Ziele richtet

Diese Zeiten sind vorbei. 1996 hatte die deutsche PKK-Führung öffentlich erklärt, keine Anschläge mehr in Deutschland verüben zu wollen. Es war Teil eines Deals mit der Bundesanwaltschaft, und der hat seither gehalten. Heute notiert das Bundesamt für Verfassungsschutz, das die PKK als "größte Vereinigung des Ausländerextremismus" in Deutschland führt, zwar noch immer Gewalttaten. Aber die Brisanz zumindest im Inland ist eine andere. Der größte Zwischenfall hierzulande war in den Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei, am 13. August 2016 - damals sollen sich drei Teilnehmer einer Kurdendemonstration von einer türkischstämmigen Person provoziert haben lassen. Der türkische Provokateur trug eine Stichverletzung im Rücken davon. Infolge ihrer Abrüstung 1996 war die PKK mehrere Jahre sogar von einer terroristischen zu einer kriminellen Vereinigung herabgestuft worden. Erst seit 2002 darf die deutsche Justiz auch solchen Terror verfolgen, der allein im Ausland stattfindet. Dabei geht es nicht mehr um die Verteidigung deutscher Rechtsgüter, sondern immer um Außenpolitik. So kommt die entscheidende Passage in jedem Urteil gegen PKK-Funktionäre - die Begründung, weshalb sie eine Terrorgruppe sei - seither aus den politischen Lagebildern zur Türkei, zusammengetragen vom Auswärtigen Amt und dem Bundesnachrichtendienst. Seitdem sich der Fokus der PKK-Strafverfolger derart ins Ausland verlagert hat, ist die deutsche Justiz auch offener für Abwägungen. Noch einmal der Verfassungsschutz: Seitdem die Terrormiliz IS im Nahen Osten um sich greift, gewinne die PKK hierzulande an Reputation, "denn sie wird oft als Verteidigerin von Leib und Leben der in der Region lebenden Kurden wahrgenommen (wobei häufig übersehen wird, dass neben der PKK auch andere kurdische Milizen an den Kämpfen beteiligt sind)." Ähnlich erklärte nun der Hamburger Richter: Der Senat habe "bezüglich des Verhaltens des türkischen Staates sehr genau hingesehen", da eine terroristische Vereinigung nur beurteilt werden könne, "wenn man auch das Umfeld beleuchtet"

Verfahrensbilanz

Etwa 14 000 Anhänger der sogenannten Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK, zählt der deutsche Verfassungsschutz unter den 500 000 bis 800 000 Einwohnern kurdischer Herkunft. Nimmt man dies zum Maßstab, ist die Zahl der Strafverfahren nicht überwältigend. Seit 2004 haben die Bundesländer "etwa 4500 strafrechtliche Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang" eingeleitet, betont das Bundesinnenministerium zwar. Im Gros der Fälle ging es aber nicht um Terror, sondern um leichtere Delikte, vor allem Verstöße gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot.

Nur "mehr als 90 führende PKK-Funktionäre" sind laut der Bundesregierung als Mitglieder oder Unterstützer der zeitweise als kriminell, zeitweise als terroristisch eingestuften Gruppe verurteilt worden - seit 1992, also in 25 Jahren. Aktuell sind beim Generalbundesanwalt noch 24 Ermittlungen dieser Art anhängig. Ronen Steinke

. Solche Gedanken zum politischen Kontext dürften zwar nie ein Grund sein, mit weniger Nachdruck zu ermitteln, sagt ein erfahrener Strafverfolger. Aber sie könnten sich beim Strafmaß durchaus bemerkbar machen, eben zu Rabatten führen.

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