Terrorismus:Razzia in Göttingen

Um sich nach dem Behörden-Versagen im Fall Amri nicht wieder Vorwürfen auszusetzen, schlägt die Polizei immer früher zu - diesmal in Göttingen. Zwei Männer werden festgenommen, Handfeuerwaffen und Munition sichergestellt.

Von Ronen Steinke

Mit einem Großaufgebot von 450 teils schwer bewaffneten Polizisten hat die niedersächsische Polizei am frühen Donnerstagmorgen zwölf Orte im Raum Göttingen durchsucht und zwei mutmaßliche islamistische Terrorplaner festgenommen. Die beiden Männer, die zuvor als sogenannte Gefährder unter Beobachtung standen, sind nach Angaben der niedersächsischen Behörden ein 27-jähriger algerischer und ein 23-jähriger nigerianischer Staatsangehöriger. Beide wurden in Deutschland geboren und lebten mit ihren Familien in Göttingen. Einer arbeitete als Schneider, einer in einem Callcenter.

Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge vorbereitet zu haben, "wie es sie in den vergangenen Monaten in Deutschland gegeben hat", sagte der Chef der Göttinger Kriminalpolizei, Volker Warnecke. Weder die Art des Angriffs noch der Ort seien schon konkret gewesen, Sprengstoff wurde an den durchsuchten Orten nicht gefunden, jedoch zwei scharf gemachte Handfeuerwaffen, scharfe Munition, Flaggen der Terror-Organisation IS, eine Machete, eine Softair-Maschinenpistole sowie einige andere frei verkäufliche Waffen. In den vergangenen Tagen hätten sich Erkenntnisse über einen möglicherweise bevorstehenden Anschlag verdichtet. Deshalb habe die Polizei vor einer Woche begonnen, diesen Einsatz zu planen.

Die Region gilt als Schwerpunkt der salafistischen Szene

Ähnliche Einsätze häufen sich derzeit. Vor jeder Razzia im salafistischen Milieu steht eine Abwägungsentscheidung der Behörden, und diese fällt zunehmend anders aus als noch vor einem Jahr. Die Polizei dringt üblicherweise auf ein schnelles Eingreifen, um keine Risiken einzugehen, der Verfassungsschutz dagegen ist meist eher daran interessiert abzuwarten, um noch möglichst viele Informationen zu sammeln. Seit den islamistischen Anschlägen in Würzburg und Ansbach im vergangenen Sommer und besonders seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember setzt sich stärker die Polizei durch. Die Eingriffsschwelle ist gesunken. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Donnerstag an, die beiden Göttinger Terrorverdächtigen sollten möglichst schnell abgeschoben werden. Vorerst seien sie in sogenannten Langzeitgewahrsam genommen worden.

Die Region zwischen Hildesheim und Göttingen gilt seit Jahren als ein Schwerpunkt der salafistischen Szene. Zwar ist die Größe der Szene nicht vergleichbar mit Berlin oder nordrhein-westfälischen Ballungsgebieten. Bei etwa 9000 Salafisten bundesweit zählen Verfassungsschützer in Niedersachsen etwa 680, in Göttingen etwa 50. Eine Minderheit neigt zur Gewalt. Aber von Niedersachsen aus wurden zuletzt besonders viele Ausreisen in das Bürgerkriegsgebiet in Syrien und dem Irak zur Terrormiliz IS organisiert. In Hildesheim, bei dem als Abu Walaa auftretenden salafistischen Prediger Ahmad Abdelazziz A., hob der Verfassungsschutz im November ein regelrechtes Reisebüro für Dschihad-Touristen aus. Den niedersächsischen Ermittlern war dort etwas Seltenes gelungen: Ein früherer Schüler aus dem engen Umfeld Abu Walaas hatte sich als V-Mann zur Verfügung gestellt. Die an diesem Donnerstag in Göttingen gefassten zwei Terrorverdächtigen sollen indes keine eigenen Erfahrungen im IS-Gebiet haben. Wie eng ihr Kontakt zur IS-Miliz oder zu Abu Walaa war, der laut dem V-Mann als "oberster Repräsentant des IS in Deutschland" gewirkt haben soll, blieb zunächst offen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: