Terrorismus:Kampf gegen den IS: Ein Gegner, viele Interessen

Lesezeit: 5 min

Eine Spezialeinheit der Armee bereitet sich auf die Rückeroberung Mossuls vor. (Foto: dpa)

In Paris trifft sich ein Teil der Anti-IS-Koalition. Doch wer gehört überhaupt zu der Allianz, und warum ist der Kampf gegen den IS so kompliziert?

Von Markus C. Schulte von Drach

Wenn sich in Paris heute die Verteidigungsminister der USA, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und neun weiterer westlicher Länder treffen, kommt nur ein kleiner Teil der sogenannten Anti-IS-Koalition zusammen. Die Minister wollen vor dem Hintergrund der Offensive der irakischen Armee und ihrer Verbündeten auf die Stadt Mossul ihr weiteres Vorgehen diskutieren. Ausgerechnet der Irak selbst und die Türkei mit ihrer besonderen Rolle in dem Konflikt kommen nicht. Beide Länder streiten derzeit über eine Beteiligung der Türken an der Offensive.

Die Zusammensetzung der Konferenz belegt, wie kompliziert und schwierig die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den IS ist. Insgesamt bilden etwa 60 Staaten die Anti-IS-Koalition, allerdings arbeiten sie unterschiedlich eng zusammen, leisten verschiedene Formen von Unterstützung - und helfen aus unterschiedlichen Motiven.

Wer gehört zur Anti-IS-Koalition?

Wird von der Anti-IS-Koalition gesprochen, sind gemeinhin alle Staaten gemeint, die mehr oder weniger stark im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" zusammenarbeiten - bis auf Russland und Iran.

Die erste als Anti-IS-Koalition bezeichnete Allianz entstand im September 2014 auf dem Nato-Gipfel in Wales unter Führung der USA. Die an der Koalition beteiligten westlichen Länder und die Türkei beschlossen, den Kampf gegen den IS mit militärischen Einsätzen direkt zu unterstützen oder die IS-Gegner - verschiedene Rebellengruppen und kurdische Milizen sowie die irakische Armee - finanziell und logistisch zu helfen. Zuvor hatten Kampfflugzeuge aus den USA, aber auch aus arabischen Ländern wie Saudi-Arabien, bereits Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak geflogen.

Einige Tage nach dem Nato-Gipfel in Wales bildete sich auf einer Irak-Konferenz in Paris eine weitere Koalition mit dem Ziel, die irakische Regierung im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Die Mitglieder der Allianz waren teils identisch mit den Partnern der ersten Koalition, unter ihnen waren aber auch Länder wie China, Russland und afrikanische Staaten. Russland hat inzwischen eine Sonderrolle im Bürgerkrieg in Syrien übernommen und gilt nicht mehr als Mitglied der Anti-IS-Koalition.

Im saudischen Dschidda fanden sich ebenfalls im September zehn arabische Staaten zu einer Koalition zusammen, die gegen den IS vorgehen wollen - darunter Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Kuwait und Katar.

Diese etwa 60 erklärten IS-Gegner bilden alle zusammen die überwölbende Anti-IS-Koalition. Ihre Motive unterscheiden sich aber deutlich. So wird der Einsatz einerseits mit dem Terror gerechtfertigt, den der IS verbreitet, außerdem hat der Irak ausdrücklich um militärische Unterstützung gebeten. Andererseits halten viele Länder die Etablierung eines von der Terrororganisation Islamischer Staat ausgerufenen Kalifats aus geopolitischen Gründe für untragbar.

Die Beiträge der Koalitionsmitglieder unterscheiden sich erheblich. Etliche Länder helfen den Rebellen und kurdischen Milizen in Syrien sowie der Armee und den schiitischen Milizen im Irak durch Luftangriffe. Andere bieten finanzielle und logistische Unterstützung, liefern Waffen und Munition oder schicken Ausbilder und Berater. So hat Deutschland etwa kurdische Kämpfer im Nordirak mit Sturmgewehren und Panzerabwehrwaffen ausgerüstet und deutsche Fallschirmjäger geschickt, die kurdische Peschmerga ausbilden.

Die Erfolge der Anti-IS-Allianz und die Wirkung der russischen Luftangriffe

2014 überrannten Kämpfer der Terrororganisation ISIS große Teile Syriens und des Iraks, im Juni übernahmen sie die Kontrolle über die irakische Großstadt Mossul. Die Organisation nannte sich daraufhin um in "Islamischer Staat" und rief ein Kalifat aus. Unter dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi versuchte der IS in den eroberten Gebieten staatsähnliche Strukturen aufzubauen.

Auch dank der Einsätze der Anti-IS-Koalition, der Russen und des Iran konnten die irakische und die syrische Armee und ihre Verbündeten sowie insbesondere kurdische Kämpfer etliche Erfolge melden. Seit 2014 soll der IS etwa 50 Prozent seines Territoriums im Irak verloren haben, im Syrien seien es 20 Prozent, berichtete etwa die New York Times.

Bereits im März 2015 konnten Soldaten und Milizen im Irak die Stadt Tikrit zurückgewinnen. Kurdischen Kämpfern gelang es im selben Jahr, Kirkuk gegen den IS zu halten, im November konnten sie die Terroristen aus Sindschar vertreiben. Im Dezember 2015 besiegten die irakische Armee und ihre Verbündeten den IS in Ramadi, im Juni 2016 eroberten sie Falludscha zurück. Gegenwärtig versuchen irakische Soldaten und Milizen die Stadt Mossul vom IS zu befreien.

Die Bodentruppen wurden und werden bei diesen Kämpfen durch Luftangriffe der Anti-IS-Koalition unterstützt. In Syrien gelang es kurdischen Kämpfern Anfang 2015, unterstützt durch Luftangriffe der Allianz, die Stadt Kobanê zurückzuerobern. Bei einer durch russische Luftangriffe unterstützten Offensive der syrische Armee konnten im März 2016 die IS-Kämpfer aus Palmyra vertrieben werden. Im August konnten kurdische Kämpfer die Stadt Manbidsch vom IS befreien.

Große Teile der syrischen Armee kämpfen jedoch nicht gegen den IS, sondern gegen die Aufständischen insbesondere in den Städten Aleppo und Idlib. An den Kämpfen sind auch russische Kampfflugzeuge intensiv beteiligt.

Die besondere Rolle Russlands und des Iran

Russland gilt nicht mehr als Mitglied der Anti-IS-Allianz, da die militärischen Einsätze in Syrien vor allem gegen Rebellen gerichtet sind, die Baschar al-Assad bedrohen. Moskau will den Diktator, der schon lange ein Verbündeter ist, an der Macht halten. Russland will so bei der Gestaltung der Zukunft des Landes mitreden und großen Einfluss in der Region ausüben können. Vermutlich spielt hier das Bedürfnis Russlands eine wichtige Rolle, als Großmacht aufzutreten, die von anderen Staaten wie den USA nicht übergangen werden kann.

Der schiitisch geprägte Iran unterstützt die ebenfalls schiitisch dominierte irakische Regierung im Kampf gegen den sunnitischen Islamischen Staat. Die iranische Luftwaffe hat Angriffe auf IS-Stellungen im Irak geflogen, auch vom Iran kontrollierte Kämpfer sind dort im Einsatz. Teheran will den Glaubensbrüdern und -schwestern beistehen und verhindern, dass der Einfluss der Sunniten in der Region wächst.

Die überwiegende Mehrheit der Muslime weltweit gehört dem sunnitischen Glauben an, im Irak sind die Sunniten jedoch in der Minderheit. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 wurden sie von der Regierung in Bagdad vernachlässigt und teils unterdrückt, so dass viele von ihnen im sunnitischen Islamischen Staat ein kleineres Übel gesehen haben.

In Syrien stehen vom Iran kontrollierte Kämpfer auf der Seite des Diktators Baschar al-Assad - aus ähnlichen Gründen warum Teheran die Regierung in Bagdad unterstützt. Das Ziel ist es, zu verhindern, dass sunnitische Kämpfer - seien es Rebellen oder IS-Terroristen - die Kontrolle über Syrien übernehmen.

Da sunnitisch dominierte Länder wie Saudi-Arabien die Rolle Irans kritisch betrachten, wurde das Land aus der Anti-IS-Koalition herausgehalten. Auf wichtige Konferenzen der Bündnispartner wurde Iran nicht eingeladen.

Irak
:Der Feind meines Feindes ist mein Feind

Ein Erfolg in Mossul könnte den zersplitterten Irak einen. Doch der Militärbund gegen den IS ist brüchig - ob die Regierung im Amt bleiben kann, ist selbst im Falle eines Sieges ungewiss.

Von Paul-Anton Krüger

Welche besondere Rolle spielt die Türkei?

Als die USA und weitere Länder auf dem Nato-Gipfel in Wales im September 2014 die Bildung der Anti-IS-Koalition verkündeten, war auch die Türkei unter den insgesamt zehn Ländern, die sich beteiligen wollten. Allerdings hielten sich die Türken anfänglich sowohl mit eigenen Aktionen als auch mit der Unterstützung anderer Staaten zurück. So durften die USA den Nato-Stützpunkt Incirlik nur als Basis für humanitäre und logistische, nicht aber für militärische Einsätze nutzen.

Der Türkei wurde zudem vorgeworfen, die Grenze nach Syrien nicht ausreichend zu sichern und zuzulassen, dass syrische Rebellengruppen, aber auch der IS selbst in der Türkei Kämpfer rekrutieren konnten. Hinter dieser Politik steckte offenbar das Interesse Ankaras am Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad. Erst nach Anschlägen des IS auf türkischem Gebiet änderte Ankara seine Politik. Nun wurde den USA gestattet, von Incirlik aus zu Luftangriffen zu starten. Auch hat die Türkei selbst begonnen, Stellungen des IS in Syrien zu bombardieren. Seit Anfang 2016 sind in Incirlik auch Tornado-Aufklärungsflugzeuge und Tankflugzeuge der Bundeswehr stationiert.

Derzeit beteiligt sich die Türkei mit Artillerie und Panzern an der Offensive auf die irakische Stadt Mossul - angeblich auf Bitten irakischer Kurden, während die irakische Regierung die Unterstützung offiziell ablehnt und leugnet. Das Interesse der Türken an Mossul lässt sich mit der Sorge erklären, die Großstadt könnte nach der Befreiung vom IS von schiitischen Milizen oder irakischen Kurden kontrolliert werden. Die Türkei ist sunnitisch geprägt und hat kein Interesse daran, dass die Kurden ihre Einflussgebiete ausweiten können.

In Syrien geht die Türkei deshalb auch nicht nur gegen den IS vor, sondern bombardiert auch kurdische Kämpfer der Partei der Demokratischen Union (YPG), die von Ankara als Arm der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) betrachtet wird. Diese gilt als Terrororganisation. Zwar kämpfen die syrischen und irakischen Kurden mit Erfolg gegen den IS, die Türkei befürchtet jedoch, dass ihre militärischen Erfolge den Anspruch auf ein eigenes Kurdistan anfeuern und die Spannungen zwischen Türken und Kurden in der Türkei noch weiter verstärken könnten.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Islamischer Staat
:Das IS-Kalifat schrumpft

Die Terrormiliz hat seit 2015 fast 30 Prozent ihres Territoriums verloren. Deshalb ändert der IS jetzt seine Strategie.

Von Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: