Anschlag in Manchester:"In der Halle waren so viele Kinder"

Manchester Comes Together to Remember Victims Of Terror Attack

Trauernde in Manchester.

(Foto: Getty Images)

Der tödliche Anschlag auf das Ariana-Grande-Konzert in Manchester macht Teenager und Erwachsene fassungslos. Eindrücke aus einer widerstandsfähigen Stadt.

Von Matthias Kolb, Manchester

Schon am Bahnhof von Manchester treffen die Gegensätze aufeinander. Rund um die Piccadilly Station sind Polizisten mit Sturmgewehren, schusssicheren Westen und Gesichtsmasken postiert. Ihnen entgegen kommen Teenager, die stolz und trotzig die T-Shirts mit dem Gesicht von Ariana Grande tragen. Das gestrige Konzert in der Manchester Arena sollte ein Highlight ihres jungen Lebens sein, doch es endete mit einer Explosion und mindestens 22 Toten sowie Dutzenden Verletzten.

Inzwischen bestätigte die britische Polizei, dass es sich bei dem mutmaßlichen Attentäter um einen 22-jährigen Mann namens Salman A. handele. Er soll Medien zufolge 1994 in Manchester geboren worden sein.

Die meisten Teenager blicken zu Boden, sie haben zu viele Reporter gesehen und wollen nur nach Hause. Es sind mehrheitlich Mädchen, manche vielleicht erst zehn oder elf und an der Hand ihrer Mütter. Viele tragen die Hasenohren, das Symbol der "Arianatoren", also jener Fans, die die 23-jährige US-Amerikanerin nicht nur verehren, sondern hingebungsvoll lieben.

Auch Christopher Smith ist ein "Arianator", der Grande "seit dem ersten Tag" bewundert und ihre Musik liebt. Er studiert im schottischen Glasgow, wo er bereits ein Konzert seiner Heldin besucht hat, und ist mit seinem Freund Conor McCormick extra nach Manchester gereist. "Es ist die erste Reise, die wir allein und ohne unsere Familie machen", erzählt McCormick mit gefasster Stimme.

Nach einem Moment des Schocks rannten alle los

Um sein Handgelenk hängen drei Plastikbänder mit dem Schriftzug "Dangerous Woman" - so heißt das aktuelle Album und auch der letzte Song, den Ariana Grande beim Konzert in Manchester spielte. Plötzlich gab es einen lauten Knall, erinnert sich McCormick. "Es war totenstill, alle versuchten zu verstehen, was passiert war. Ich weiß nicht, wie lange wir da standen, aber plötzlich schrien alle und wir rannten nach draußen", sagt er. Die beiden hätten schreckliche Angst gehabt und schon während der Flucht gedacht: "In der Halle sind doch so viele Kinder."

Anschlag in Manchester: Die Freunde Christopher Smith und Conor McCormick

Die Freunde Christopher Smith und Conor McCormick

(Foto: Matthias Kolb)

Als die jungen Schotten am Dienstagmittag ihre Erlebnisse schildern, haben sie bereits ihre zweite Flucht hinter sich. Nach einem langen Fußmarsch konnten sie zurück ins Hotel und wollten vor der Abfahrt im "Arnsdale Shopping Center" frühstücken. "Wir waren bei den Essensständen, und plötzlich rannten wieder alle. Jemand rief 'Eine Bombe, eine Bombe' und wir liefen hinterher", sagt McCormick und blickt auf das 300 Meter entfernte Einkaufszentrum. Die Räumung erwies sich als Fehlalarm, ein Mann wurde verhaftet und mittlerweile ist die Mall wieder offen.

Doch für etwa eine Stunde stehen vor jedem Ausgang Dutzende Angestellte, und hier wird deutlich, was für eine bunte Stadt Manchester im Norden Englands ist. Mehr als 200 Sprachen werden hier gesprochen, die Bewohner kommen aus aller Welt und daher stehen tätowierte, bleiche Mancunians, so heißen die Menschen aus Manchester, neben Schwarzen und Einwanderern aus Pakistan, Vietnam oder Somalia. Fast alle murmeln "horrible", wenn sie angesprochen werden, der Schreck sitzt ihnen in den Knochen.

"Ich kann es nicht fassen, dass es hier passiert ist", sagt ein Mann mit dunkler Hautfarbe. Mehr will er nicht sagen, sondern ruft eine Kollegin zu sich. Jessica Kay arbeitet am Fischstand und sie sagt über die Räumung des Einkaufszentrums: "Ich hatte noch nie so viel Angst." Die 26-Jährige selbst hat einen neunjährigen Sohn, weshalb sie die Nachrichten über den Anschlag auf die Manchester Arena besonders schockiert: "Da waren doch vor allem Kinder, wer macht denn so etwas?" Wenig später wird bekannt, dass eines der Todesopfer erst acht Jahre alt war.

Die Frage nach dem Täter und dem terroristischen Hintergrund (die Terrormiliz IS beansprucht die Tat für sich) taucht in den Gesprächen mit den Passanten nicht auf. Männer und Frauen tragen Blumen, wer nicht mit den von überallher angereisten Journalisten reden will, weicht aus. Natürlich ist die Stimmung gedrückter und die Straßen leerer, aber es ist zu spüren, dass sich Manchester nicht unterkriegen lassen will. Die Stadt zeichnet sich durch eine große Toleranz aus und heute auch durch einen Widerstandsgeist. Aus den Gruppen der wartenden Angestellten vor dem Arnsdale-Einkaufzentrums ist immer wieder ein Lachen zu hören und auf Schildern vor Cafés steht: "We love MCR."

"Hier in Manchester halten wir zusammen, wenn es drauf ankommt"

Die Bereitschaft der Bevölkerung, Blut für die Opfer zu spenden, ist so groß, dass die Behörden via Twitter darum bitten, nicht zu den Stellen des Roten Kreuzes zu kommen. Taxifahrer AJ Singh, der kostenlos Konzertbesucher durch die Stadt fuhr, wird kurzzeitig zum Helden bei Social Media. Er sei nicht im Dienst gewesen, aber als Sikh sei ihm sofort klar gewesen, dass er helfen müsse. Es sei egal, woher die Menschen kommen würden: "Hier in Manchester halten wir zusammen, wenn es drauf ankommt."

Eine Diskussion hat in den britischen Medien schon begonnen und wird sicher in den nächsten Tagen weitergehen: Viele Konzertbesucher kritisieren, dass sie beim Betreten der Manchester Arena nur unzureichend kontrolliert worden seien. Mehrere schildern laut Daily Mail, dass ihre Taschen gar nicht kontrolliert worden seien oder dass die Security-Leute nicht unter die Jacken geschaut hätten.

Diesen Eindruck hatten auch Christopher Smith und Conor McCormick. "Ich will niemanden anschwärzen, aber bei uns in Glasgow wird strenger kontrolliert", sagt McCormick. In Manchester habe es weder Metalldetektoren gegeben, noch seien sie abgeklopft worden. Die beiden hätten keine Taschen dabei gehabt, aber die Kontrollen von Rucksäcken kam ihnen oberflächlich vor.

Die jungen Schotten wollen nun möglichst schnell nach Hause. Beide glauben, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sie verarbeitet haben, was an diesem Montagabend geschehen ist. Eines weiß Conor McCormick aber schon jetzt: "So schnell gehe ich auf kein Konzert mehr. Es ist so schrecklich, man möchte doch nur Spaß haben und dann geschieht so etwas." Und dann murmelt er ein weiteres Mal, was viele in Großbritannien denken: "In der Halle waren so viele Kinder."

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