Terrorismus:"Die Gefahr des Islamischen Staates ist hier real"

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Der US-Bundesstaat Minnesota gilt als Brutstätte für IS-Terroristen. Viele Somalier, die hier leben, misstrauen den Behörden. Das FBI will das ändern - und setzt auf eine bestimmten Gruppe.

Von Hakan Tanriverdi, Minneapolis

In das Weiße Haus hineingelassen zu werden, ist für Mohamed Farah kein Problem. Schließlich hat ihn US-Präsident Barack Obama explizit eingeladen. Aber auf dem Rückweg nach Minneapolis ein Flugzeug zu betreten, ohne vorher zur Seite genommen und besonders gründlich durchleuchtet zu werden, scheint unmöglich zu sein. "Jedes Mal, wenn ich in einen Flieger steigen will, gibt es dieses Problem", sagt Farah. Er ist schwarz und hat einen somalischen Migrationshintergrund.

Farah ist Teil der somalischen Community im Bundesstaat Minnesota. Seit Anfang des Bürgerkrieges 1991 sind mehr als 84 000 Menschen aus Somalia in die USA geflüchtet, 40 Prozent davon sollen in Minnesota leben. Seit Jahren schaut das ganze Land auf diesen Bundesstaat. Der Staat an der Grenze zu Kanada mit seinen langen, schneereichen Wintern ist das Zentrum der Somali-Diaspora. Von hier aus haben die meisten jungen Männer die USA verlassen, um sich Terrorgruppen anzuschließen. 2007 hieß das Ziel noch al-Shabab, die in Somalia ansässige islamistische Terrororganisation, in diesen Tagen ist es die IS-Miliz. Erst im April verhaftete das FBI sechs junge Menschen und hinderte sie somit an der Ausreise.

Verglichen mit der Zahl an Menschen, die Deutschland verlassen, um nach Syrien auszureisen, sind diese Zahlen gering. Doch der Kampf gegen den Islamischen Staat spielt für die US-Politik eine herausragende Rolle. Präsident Obama gab im September 2014 zu, den Aufstieg der Terroristen des IS unterschätzt zu haben. Im Zuge dessen hat die US-Regierung Anfang 2015 ein Programm mit dem Namen "Countering Violent Extremism" (CVE) ausgerufen. Mit Geld und durch Unterstützung von lokalen Gruppen sollen junge Menschen erreicht werden, noch bevor sich diese radikalisieren. Farah leitet eine dieser Organisationen. Sie heißt Ka Joog (Somali für: "Bleib fern").

Seit 9/11 werden muslimische Gemeinden gezielt ausgehorcht

Doch am Flughafen spielt sein Engagement keine Rolle. Die Beschwerden innerhalb der somalischen Gemeinde über Diskriminierungen am Flughafen sind so alltäglich geworden, dass FBI-Agenten nur noch mit den Schultern zucken können. Die Behörde wisse Bescheid über das Problem, sei dafür aber nicht zuständig. Das FBI hat genug eigene Probleme mit der somalischen Community, da will man sich nicht noch weitere aufhalsen.

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Die Terroranschläge des 11. September haben zu einem Wandel innerhalb der US-Behörden geführt. CIA, FBI, NSA und auch die Polizei der Stadt New York (NYPD) bauten mitunter Einheiten auf, deren Ziel es gewesen ist, muslimische Gemeinden gezielt auszuhorchen. Im Falle des NYPD wurden Gesetze so angepasst, dass auch ohne konkreten Tatverdacht ermittelt werden durfte - mit verdeckt arbeitenden Polizisten (die Einheit wurde mittlerweile aufgelöst).

Keine Polizeiarbeit, dafür gutes Essen

Dutzende Beamte saßen also in arabischen Lokalen herum und notierten den Kleidungsstil der Kundschaft, ob im Fernsehen das Programm des Senders Al Jazeera lief und worüber sich die Menschen unterhielten. Einsatzleiter hatten zeitweise den Eindruck, dass die Polizisten auffällig oft in denselben Lokalen aßen - der Verdacht: die Beamte waren nicht wegen der Polizeiarbeit zu Besuch, sondern wegen des gutes Essens.

Auf diese Art und Weise wurde eine massive Datenbank über die muslimischen Gemeinden in New York erstellt. Die Informationen erwiesen sich als nutzlos, wie die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Journalisten Matt Apuzzo und Adam Goldstein in ihrem Buch " Enemies Within" festhalten. Die Informationen wurden gezielt gesammelt, um über Anschlagsplanungen Bescheid zu wissen. Dennoch konnte zum Beispiel Najibullah Zazi 2009 mit dem Auto nach New York fahren, samt explosivem Gemisch für eine Bombe im Kofferraum seines Autos. Die Behörden wussten zwar, dass Zazi kommt, aber nicht im Ansatz, was er plant. "Nach jahrelanger Recherche wusste das NYPD, wo die Muslime New Yorks lebten. Es wusste nicht, wo die Terroristen sind", so fassen es die Journalisten zusammen.

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Muslimische Gemeinden sprechen spätestens seit Bekanntwerden der verdeckten Aktivitäten über ein tiefes Misstrauen, das gegenüber der Polizei herrsche. Ein Gericht muss derzeit entscheiden, ob die Überwachung der Gemeinde als Diskriminierung zu werten ist.

Es ist jene Distanz, die auch in Minneapolis zu spüren ist. Viele Muslime hier misstrauen dem FBI, sie sprechen von einem Gefühl der Unsicherheit, man fühle sich überwacht. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass FBI-Mitarbeiter mit der Aufgabe betraut werden sollten, Kontakte zu der Gemeinde aufzubauen und gleichzeitig herauszufinden, wer ein potenzieller Terrorist sein könnte. Aufgefasst wurde das als schlecht getarnter Versuch, die Gemeinde zu infiltrieren. Kein echtes Interesse, sondern Unterstellungen. Die Überwachung schien nun amtlich dokumentiert.

Auf das Programm angesprochen sagt Kyle Loven, dass es nie umgesetzt wurde. Loven arbeitet seit 25 Jahren für die Bundespolizei und kümmert sich dort vor allem um rechtliche Fragen, was also legal ist und was nicht. "Wir haben uns die Anweisung durchgelesen und gesagt: 'Das wird all das Vertrauen zerstören, das wir aufgebaut haben.' Also haben wir uns dagegen gewehrt." Loven sagt, dass das FBI seit Jahren daran arbeite, die Beziehung zur somalischen Gemeinde zu normalisieren. "Wir haben festgestellt, dass jedes Treffen zwischen uns und der Community eine negative Erfahrung für die Beteiligten gewesen ist", sagt er. Für Loven gibt es erste Erfolge: "Wir lieben uns zwar noch nicht, aber wir mögen uns". Ka Joog nennt er "fantastische Partner".

Ältere Somalis haben eine "Flughafen-Mentalität"

Farah und seine Organisation versuchen, junge Somalis zu erreichen. "Was al-Shabab anbietet, hört sich natürlich super an für diese Jungs: Eine Truppe, die man leiten darf. Vier Frauen. Das klingt verlockender, als hier diskriminiert zu werden, weil man Somali ist", sagt ein Ka-Joog-Kollege von Farah. Es gebe in Minneapolis keinen einzigen Imam, der hip sei und verstehen könne, was die Jugendlichen interessiere. Es gebe viele Moscheen, doch in keiner passiere etwas "Aufregendes". Für junge Menschen, oft in finanzieller Not, seien die Aussichten nicht vielversprechend.

Ka Joog setzt an diesem Punkt an. Ein Mentoring-Programm soll Jugendliche davon überzeugen, von Gewalt und Extremismus fernzubleiben. Das kann passieren, in dem man sie dazu bringt, sich für Musik zu begeistern oder ihnen andere Somalis zeigt, die den Weg von unten nach oben geschafft haben. Dass Farah seit 2015 sagen kann, dass er bis ins Weiße Haus gekommen ist, dürfte motivierend wirken.

"Die Gefahr ist real"

In der Gemeinde selbst, das erzählen mehrere junge Menschen in Minneapolis, gebe es eine Hürde zwischen Alt und Jung. Die jungen Männer und Frauen sprechen von einer "Flughafen-Mentalität" der Eltern-Generation: "Die sind hier einfach nicht angekommen und verhalten sich so, als ob sie morgen wieder zurückfliegen werden." Bei Fragen der Kinder gebe es keine Antworten - also suchen diese selbst. Ähnlich wie in Deutschland landen sie dabei sehr oft auf Seiten, die den Islam radikal auslegen. Organisationen wie Ka Joog sollen deswegen ein Ort sein, an dem junge Menschen über al-Shabab, den IS und Gang-Mitgliedschaften reden können. Die Themen auszublenden, bringe nichts. "Die Gefahr, die vom Islamischen Staat ausgeht, ist hier real", sagt Farah. "Es betrifft Menschen, die wir kennen."

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Das CVE-Programm der US-Regierung wird von vielen Seiten kritisiert. Hina Shamsi von der Bürgerrechtsorganisation ACLU zeigt sich irritiert über die Ausrichtung des Programms: "Bis dato haben sich CVE-Programme fast ausschließlich gegen Muslime gerichtet", sagt sie. Es ist ein Punkt, der auch von anderen Kritikern schnell angeführt wird. Diese verweisen auf Statistiken, denen zufolge Neonazis in den USA mehr Menschen getötet haben als Islamisten. Es gebe aber keine Programme, um in vergleichbarer Art dieses Problem zu lösen. 53 Gruppen haben Mitte Juni ihre Kritik in einem gemeinsamen offenen Brief formuliert ( hier das PDF): "Es gibt keine auf Beweisen beruhende Grundlage, die den Schluss zulassen, dass diese Programme dazu beitragen, Terrorismus zu reduzieren."

Der Politikwissenschaftler Kamran Bokhari hat ein Buch über den politischen Islam im Zeitalter der Demokratisierung geschrieben; er hat analysiert, wie muslimische Organisationen in den USA auf das CVE-Programm reagiert haben. Er hält drei Punkte fest ( seine umfassende Analyse gibt es als PDF-Version)

  • Das Misstrauen vor Polizeibehörden ist so groß, dass viele Organisationen, die mitmachen wollen, Angst haben, als Verräter zu gelten.
  • Eine kleine Gruppe mache dennoch mit, da die Situation ihrer Meinung nach kein Zögern zulasse.
  • Selbst diese Gruppen bekommen keine Unterstützung von der Gemeinde, wenn in dieser das Gefühl vorherrsche, von der Regierung gezielt schikaniert zu werden.

Ka Joog fällt in die Gruppe derer, die mitmachen wollen. Als Begründung sagt ein Mitglied: "Wenn du nicht mit am Verhandlungstisch sitzt, vertritt niemand deine Position." Um das Misstrauen zu lindern, habe man sich dazu entschieden, den Namen des Programms zu ändern. Statt "countering violent extremism" (gewaltbereiten Extremisten etwas entgegenzusetzen) spricht man hier von "building community resilience". Von einer Gemeinde also, die unverwüstlich sein soll.

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