Terrorbekämpfung in Deutschland:Logistisches Hinterland

Nach Ansicht von Fachleuten werden in der Bundesrepublik Nachschub und Zuflucht für Attentäter organisiert.

Von Annette Ramelsberger

Es ist das Horrorszenario jedes Innenministers: Tausende fröhliche junge Menschen, die den Papst beim Weltjugendtag in Köln sehen wollen, die sich mit Rucksack, Zelt und Matte auf den Weg zu den Rheinwiesen machen - und einer von ihnen hat eine Bombe dabei.

Es ist ein Szenario, das die Sicherheitsverantwortlichen in Deutschland endlos fortspinnen können: Tausende jubelnde Menschen vor den Großleinwänden bei der Fußball-Weltmeisterschaft nächstes Jahr - und unter ihnen sprengt sich einer in die Luft. Tausende bei Rockkonzerten, Tausende im Bahnhof, wenn die Fan-Züge zum Fußballspiel einfahren. "Wenn jemand so etwas vorhat, dann werden wir es nicht verhindern können", sagte ein hochrangiger Verfassungsschützer am Freitag der Süddeutschen Zeitung.

Noch ist nicht klar, ob bei den Anschlägen von London Selbstmordattentäter beteiligt waren. Wenn sie es waren, hätte es gegen sie keinen Schutz gegeben - selbst wenn alle Polizisten Londons an diesem Tag nur auf sie geachtet hätten.

So hoffnungslos das klingt, die Fahnder in Deutschland wissen: Anschläge sind nur zu verhindern, wenn sie von Gruppen begangen werden, die miteinander kommunizieren, die auffallen. Entschließt sich einer allein zum heiligen Krieg, ist nichts zu machen.

Die islamistischen Gruppen haben die Ermittler relativ gut im Blick, in den vergangenen Jahren ist es ihnen gelungen, näher an die islamistischen Milieus heranzukommen. Auch solche Leute seien für Geld empfänglich und gäben dann Informationen, sagt ein Verfassungsschützer. Doch wenn sich ganz kleine Gruppen in die Hinterzimmer von Moscheen zurückziehen, sind die Chancen gering. Bis in den innersten Kreis dringen die V-Leute nicht vor.

Sicherheitsexperten sehen in Deutschland eher das logistische Hinterland von Attentätern, wie sie in London zugeschlagen haben. "Die bereiten vor, machen Kontakte, besorgen Unterkünfte und helfen den Leuten, wieder zu verschwinden", sagt ein Ermittler. Gerade werden die Verbindungen der 300 so genannten Gefährder nach Großbritannien überprüft. Es sind nicht sehr viele. "Wir beobachten Leute, die Kontakt zu Leuten haben, die vielleicht etwas planen", sagt ein Fahnder.

Seit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh durch einen lang im Land lebenden radikalen Muslim nimmt die Polizei auch andere Leute ins Visier: nicht nur gerade erst Eingewanderte, auch Menschen, die hier aufgewachsen sind und unauffällig leben und die dann plötzlich fanatisiert werden. "Die Jungs, die wir kennen, die dürften wir im Griff haben", sagt eine Fahnderin. "Aber was ist mit den anderen, die wir nicht kennen?"

Die Polizei schlägt schon beim leisesten Verdacht zu. In Berlin wurde ein Islamist verhaftet, der möglicherweise Glaubensbrüder für einen Anschlag geworben hat. In Stuttgart wurde einer festgenommen, der am Telefon davon sprach, der irakische Ministerpräsident - auf Staatsbesuch in Berlin - solle "essen bis zum Verrecken". Generalbundesanwalt Kay Nehm arbeitet gerade an einer Anklage gegen ihn. In Mainz steht demnächst ein Mann vor Gericht, der einen Autounfall vortäuschen und die Versicherungssumme in den Heiligen Krieg stecken wollte.

Genau 106 Verfahren führt Nehm gegen Islamisten. Sie stehen in Düsseldorf vor Gericht, in München und in Hamburg. Die Gruppe Al Tawhid in Düsseldorf soll Anschläge auf jüdische und US- Einrichtungen geplant haben, ein Täter wurde bereits verurteilt - zu vier Jahren Haft. In Berlin bekam ein Tunesier drei Jahre und neun Monate - allerdings nicht wegen versuchter Planung eines Attentats, sondern wegen Steuerhinterziehung und Passfälschung. Die höchsten Strafen gab es gegen die Meliani-Gruppe aus Frankfurt, die auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt eine Bombe hochgehen lassen wollte. Vier Angeklagte wurden zu zehn bis zwölf Jahren Haft verurteilt.

Doch meist ist die Strafverfolgung der Terrorverdächtigen ein mühseliges Geschäft. Nehm hatte im kleinen Kreis einmal gesagt, selbst betrunkene Autofahrer, die den Autoschlüssel ins Schloss stecken, könnten schneller festgenommen werden.

Michael Rosenthal, Verteidiger des in Hamburg angeklagten und dann freigesprochenen Marokkaners Abdelghani Mzoudi führt den Autovergleich weiter: "Der Zugriff der Polizei erfolgt, weil man weiß, dass der Mann einen Zündschlüssel in der Tasche und ein Auto hat. Aber man weiß nicht, wo das Auto steht und wann er losfahren will. Man muss aber befürchten, daß er jeden Moment irgendein Auto aufschließt, und das war's dann." Rosenthal hat jetzt schon den zweiten Mandanten herausgepaukt, der wegen Terrorverdachts vor Gericht stand.

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