Terroranschläge in Indien:Der Zorn auf den Nachbarn wächst

Mehr als 140 ermordete Menschen in Mumbai, und noch am dritten Tag Gefechte: Die Wut der Inder richtet sich gegen den Erzrivalen, die Atommacht Pakistan. Währenddessen wird in israelischen Medien Kritik am Vorgehen der indischen Einsatzkräfte laut.

Nach der beispiellosen Terrorserie in Mumbai hat Indien schwere Vorwürfe gegen Pakistan erhoben. Die Regierung in Islamabad verteidigte sich am Freitag mit dem Hinweis, "nicht-staatliche Akteure" seien für die Angriffe verantwortlich. Pakistan werde mit Indien bei der Verfolgung der Drahtzieher zusammenarbeiten.

Terroranschläge in Indien: "Stop Import Terrorism": Demonstranten der All India Anti Terrorist Front (AIATF) protestieren gegen die Terroranschläge von Mumbai. Viele Inder sehen die Drahtzieher in Pakistan.

"Stop Import Terrorism": Demonstranten der All India Anti Terrorist Front (AIATF) protestieren gegen die Terroranschläge von Mumbai. Viele Inder sehen die Drahtzieher in Pakistan.

(Foto: Foto: dpa)

Die Regierung in Islamabad willigte in einem bislang einmaligen Schritt ein, den Chef des berüchtigten Geheimdienstes ISI, Ahmed Shuja Pasha, zum Austausch von Informationen nach Neu-Delhi zu schicken. Indien hat dem ISI in der Vergangenheit vorgeworfen, an Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.

Warnungen aus Pakistan

Der indische Außenminister Pranab Mukherjee machte am Freitag nach Angaben der Nachrichtenagentur PTI "Elemente in Pakistan" für die Anschläge verantwortlich. Sein pakistanischer Kollege Shah Mehmood Qureshi sagte dagegen, beide Staaten stünden einem gemeinsamen Feind gegenüber. Der pakistanische Verteidigungsminister Ahmed Mukhtar sagte in Islamabad, Pakistan sollte "nicht wie in der Vergangenheit" für Anschläge in Indien verantwortlich gemacht werden. "Dies wird den nach Jahren der Bitterkeit aufgebauten guten Willen zerstören", sagte Mukhtar. "Ich werde in sehr entschiedenen Worten sagen, dass Pakistan nichts mit diesen Zwischenfällen zu tun hat." Pakistan hatte zuvor vor Schuldzuweisungen gewarnt und die Anschläge scharf verurteilt. "Bringen Sie nicht die Politik mit ins Spiel", warnte Außenminister Qureshi am Freitag während eines Indien-Besuchs.

In einer Mitteilung des pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari nach einem Telefonat mit Indiens Premierminister Manmohan Singh hieß es: "Nicht-staatliche Akteure wollen den Regierungen ihre eigene Agenda aufzwingen, aber es darf ihnen nicht erlaubt werden, damit Erfolg zu haben." Man dürfe den Extremisten nicht in die Falle gehen.

Geheimdienstchef wird aussagen

Ein Sprecher des pakistanischen Premierministers Yousaf Raza Gilani sagte, Neu Delhi habe die Entsendung des Chefs des berüchtigten pakistanischen Geheimdienstes ISI angefordert, um "Informationen bezüglich der Ermittlungen bei den Angriffen von Mumbai" zu teilen. Gilani und Zardari hätten der Bitte entsprochen, Pasha bald nach Indien zu schicken.

Nach indischen Medienberichten richtet sich der Verdacht nach den Angriffen von Mumbai auf die muslimische Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba (Armee der Reinen). Nach Überzeugung der indischen Sicherheitskräfte operiert Lashkar-e-Toiba von Pakistan aus. Die in Mumbai von der indischen Polizei festgenommenen mutmaßlichen Terroristen sollen der Rebellengruppe angehören. Lashkar-e-Toiba kämpft gegen die indische Herrschaft im südlichen Teil Kaschmirs und soll in der Vergangenheit zahlreiche Anschläge in anderen Regionen Indiens verübt haben. Indische Behörden machen die Gruppe auch für die Terroranschläge im Juni 2006 in Mumbai verantwortlich, bei denen 186 Menschen getötet wurden. Lashkar-e-Toiba wurden in der Vergangenheit Verbindungen zumindest zu Teilen des ISI nachgesagt.

Der indische Premierminister hatte am Donnerstagabend in einer Ansprache an die Nation die Nachbarländer der Atommacht gewarnt, man werde es nicht dulden, wenn von ihrem Territorium aus Anschläge auf Indien verübt würden. "Wenn keine angemessenen Maßnahmen von ihnen ergriffen werden, wird das seinen Preis haben", sagte Singh. Die verantwortliche Terrorgruppe habe ihre Basis im Ausland. Singh hatte Pakistan nicht ausdrücklich genannt, die Aussagen wurden aber als Warnung an die Adresse Islamabads verstanden.

Israel unzufrieden mit indischem Einsatz

Eine Verschlechterung der Beziehungen der beiden Atommächte, die seit ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 wegen des Streits um die Himalaya-Region Kaschmir drei Kriege führten, würde die vom gewählten US-Präsidenten Barack Obama geplante amerikanische Südasienpolitik erschweren. Obama setzt auf eine Normalisierung des indisch-pakistanischen Verhältnisses als Grundlage für seine Initiative zur Stabilisierung Afghanistans.

Israel zeigte sich nach Medienberichten unzufrieden mit dem Antiterroreinsatz indischer Spezialkräfte. Die Sondereinheiten hätten beispielsweise vorzeitig die von Terroristen besetzten Gebäude gestürmt, schreibt die Jerusalem Post am Freitag unter Berufung auf Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. Es wäre besser gewesen, zuvor mehr Informationen zu sammeln. Nach Medienberichten hat Indien außerdem den Einsatz von israelischen Einsatzkommandos zur Geiselbefreiung sowie eine Beratung und Unterstützung im Antiterroreinsatz von Mumbai abgelehnt.

"Sie wussten, was sie taten"

Außenamtssprecher Jigal Palmor sagte zu den Vorwürfen: "Ich glaube, dass es irgendwo in Israel ein paar gescheite Leute gibt, für die sich eine gute Gelegenheit bietet zu sagen, was man besser machen kann. Aber ich kann Ihnen versichern, dass das nicht die offizielle Position und definitiv nicht die Haltung des Außenministeriums ist". Palmor bestätigte, dass Außenministerin Tzipi Livni Hilfe angeboten, aber Indien diese "höflich" zurückgewiesen habe. Das Angebot liege weiter auf dem Tisch.

Das Außenministerium geht nach den Worten von Palmor davon aus, dass sich noch zwischen zehn und 20 Personen in dem Haus der ultra-orthodoxen Chabad-Bewegung aufhalten. Das seien Israelis, aber auch jüdische Touristen. Israel geht nach den Worten von Palmor auch fest davon aus, dass der Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum kein Zufall ist. "Das Haus findet man nicht einfach durch Zufall. Sie (die Attentäter) wussten, was sie taten."

Israel will nach Medienberichten nun nicht von sich aus eine Spezialeinheit nach Mumbai fliegen, um die Geiseln im Chabad-Haus zu befreien. Nach Angaben der Haaretz sind aber mehrere Geheimdienstoffiziere nach Mumbai geflogen, um dem indischen Einsatzkommando bei der Analyse zu helfen. Darüber hinaus seien israelische Ärzte vor Ort.

Experten sehen Handschrift von al-Qaida

An der Börse in Mumbai blieb es am ersten Handelstag nach den Terroranschlägen dagegen ruhig. Panikreaktion blieben aus, die meisten Werte notierten am Freitag in der Finanzmetropole trotz der Attacken leicht im Plus.

Mit den Anschlägen hat der Terrorismus in Indien eine neue Dimension erreicht. Von einem "noch nie dagewesenen Ausmaß" spricht Paul Wilkinson, Professor für internationale Beziehungen an der schottischen Saint-Andrews-Universität. "Indien hat in den vergangenen Jahren eine Eskalation des islamistischen Terrorismus erlebt. Dies ist sicher der schlimmste Ausdruck davon", sagt Wilkinson.

Mindestens 140 Menschen starben bei den Anschlägen auf zwei berühmte Luxushotels, den Bahnhof, ein bei Touristen beliebtes Restaurant und weitere Orte der Wirtschaftsmetropole. "Die Tatsache, dass die Terroristen bedeutende Ziele angreifen, bedeutet, dass sie entsprechend große Aufmerksamkeit bekommen", sagt der Terrorexperte George Kassimeris von der britischen Universität Wolverhampton. "Das ist der Grund, warum sie solche Ziele auswählten, statt einfach eine Bombe in einem abgelegenen Vorort von Mumbai zu zünden."

Weiche Ziele wie Luxushotels

Eine bislang unbekannte Gruppierung, die sich selbst als Deccan Mudschaheddin bezeichnet, bekannte sich zu den Anschlägen. Der indische Premierminister Manmohan Singh machte in seiner Rede an die Nation sofort Täter "außerhalb des Landes" verantwortlich, ohne dafür Beweise anzuführen. Ein ranghoher Vertreter des indischen Militärs sagte, die Angreifer kämen aus Pakistan, wo sie unter den Druck der USA geraten seien, die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Jagd auf Aufständische machen.

Der militärwissenschaftliche Informationsdienst Jane's vermutet, dass es Verbindungen zu den Indian Mujahideen geben könnte, die sich zu vier Anschlägen zwischen November 2007 und September 2008 bekannt hatten. "Aber die Strategie und Taktik dieser neuen Gruppe lässt erhebliche Unterschiede zu der terroristischen Gewalt erkennen, mit der Indien in den vergangenen 15 Jahren und besonders im letzten Jahr konfrontiert war", heißt es in der Einschätzung des Dienstes. "Internationale Luxushotels und andere sogenannte weiche Ziele anzugreifen ist zwar kein neues Phänomen in der Region. Aber ganz offensichtlich den Schwerpunkt darauf zu setzen, ausländische und besonders britische und US-Geschäftsleute zu töten oder als Geiseln zu nehmen - das hat es noch nie zuvor gegeben." Ein solches Vorgehen lasse Motive vermuten, die sich auf breiter Basis und weltweit gegen den Westen richteten.

Die Anschläge wecken Erinnerungen an den Bombenanschlag auf das Marriott Hotel im pakistanischen Islamabad, bei dem im September mindestens 60 Menschen getötet worden waren. Richard Bonney, Autor des Buches "Dschihad: Vom Koran zu Bin Laden", sieht jedoch deutliche Unterschiede zu dem Anschlag in Islamabad: Die Angriffe in Mumbai hätten koordiniert stattgefunden, und es seien Geiseln genommen worden. "Diese Anschläge scheinen gefährlicher und besser vorbereitet, obwohl sie sich nicht gegen die Regierung richteten, sondern gegen wirtschaftliche Ziele und natürlich gegen die westlichen Verbündeten."

"Charakteristisch für al-Qaida"

Der Politikwissenschaftler Wilkinson hält die Anschläge von Mumbai für "charakteristisch für die Al-Qaida-Bewegung". Auch russische Geheimdienstler stellen die Verbindung zum Terrornetzwerk al-Qaida her. "Die russischen Geheimdienste haben Informationen, dass gewisse Gruppen, welche die Anschläge in Mumbai ausgeführt haben, in Kontakt mit al-Qaida stehen", sagte ein ranghoher Vertreter des russischen Geheimdienstes der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Dass sich die Anschläge und Geiselnahmen über mehr als 24 Stunden hinzogen, ist nach Auffassung des politischen Beobachters Crispin Black wahrscheinlich Teil der Strategie. "Das ist eine völlig andere Art von terroristischer Operation, als die, die wir kennen", sagte Black dem britischen Fernsehsender Sky News. Die Anschläge glichen einem Putsch, bei dem die Angreifer ganze Stadtteile in ihre Gewalt bringen. "Das ist eine sehr gewagte Propaganda der Terroristen. Jede Stunde, die diese Leute die Oberhand behalten, vervielfacht die propagandistische Wirkung."

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