Terrorangriff in Nairobi:"Tor zur Hölle"

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Terror in Nairobi: Eine Kenianerin bricht in Tränen aus, nachdem sie die Leiche ihres Sohnes identifiziert hat. (Foto: dpa)

Das Geiseldrama in Nairobi ist offiziell beendet. Der Kampf gegen die Islamisten und die Schilderungen der Überlebenden schockieren Kenia. Doch gerade in dieser schweren Stunde zeigt das gespaltene Land Solidarität.

Fast 80 Stunden lang bangten sie um ihre Freunde und Verwandten im Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi. Solange es keine Gewissheit gab, klammerten sie sich an ihre Zuversicht. Doch jetzt, nach dem Ende des blutigen Terrorangriffs, bringen Helfer immer mehr leblose Körper in die Leichenhallen der kenianischen Hauptstadt. Weitere Tote liegen unter den Trümmern des teilweise eingestürzten, noch immer rauchenden Gebäudes begraben.

Eine, die vergeblich um ihren Partner gebangt hat, ist die Kenianerin Mercy. Vier Tage lang wartete sie auf Nachrichten von ihrem Mann, der gerade in Westgate zu Mittag aß, als die Islamisten das Feuer eröffneten. Nun bekam sie den schrecklichen Anruf: Ihr Mann wurde im städtischen Leichenhaus identifiziert.

Manche haben das Bedürfnis, über das Erlebte zu reden. Andere sind zu geschockt, um zu sprechen. So wie Kalpa Padia, die zwei Stunden nach Beginn des Überfalls gerettet wurde. Ihren Sohn hatte sie im Chaos aus den Augen verloren. Er blieb in Westgate zurück. Erst vier Stunden später wurde auch er lebend aus dem Gebäude gebracht. Die Panik, die grenzenlose Angst um ihr Kind, die kann sie noch nicht in Worte fassen.

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Ngugi Mwangi, ein Anwalt, der gerade in einer Bank im Einkaufszentrum war, als die Attacke losging, fasst den ersten Tag des Schreckens so zusammen: "Es war, als würde man durch das Tor zur Hölle gehen."

Diese Hölle hat die Familie von Dan Prior überlebt. Der Brite und seine Familie wurden von den Attentätern verschont. Wie der Sydney Morning Herald berichtet, sagte Priors vierjähriger Sohn zu einem der Angreifer "Du bist ein sehr böser Mann". Daraufhin habe der Attentäter um Vergebung gebeten, ihm Schokoriegel gegeben und die ganze Familie aus der Westgate-Mall geschickt.

Kenia zwischen Schock und Wut

Um völlig verstörten Überlebenden wie dieser Familie zu helfen, sind in Nairobi zahllose Helfer im Einsatz. Gleichzeitig hat die grausame Attacke vor allem eins bewirkt: Kenia ist wieder enger zusammengerückt. Das Land war seit Jahren von ethnischen Konflikten geprägt, vor der Wahl 2007 gab es eine Serie von Anschlägen und Gewalttaten, 1200 Menschen starben, Hunderttausende wurden vertrieben.

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Angesichts des islamischen Terrors auf heimischem Territorium scheint es nun plötzlich egal, ob jemand ein Kikuyu, ein Kalenjin oder ein Luo ist: "Ich bin stolz, Kenianer zu sein!", twitterten Tausende Menschen der verschiedensten Volksgruppen in den vergangenen Tagen.

Präsident Uhuru Kenyatta sprach in einer emotionalen Rede an sein Volk von einem "neuen Kenia" und fügte hinzu: "Wir wurden schwer verwundet, aber wir waren mutig, vereint und stark." Tatsächlich war die Solidarität in allen Landesteilen riesig. Unzählige Menschen meldeten sich zum Blutspenden, andere spendeten Geld, wieder andere waren unermüdlich in sozialen Netzwerken aktiv, um ihr Mitgefühl zu zeigen und ihre Wut über die grauenvolle Tat auszudrücken. Wut ist ein Gefühl, das derzeit viele Betroffene eint.

Einerseits ist da die Wut auf den religiös motivierten Extremismus und die internationale Gemeinschaft, die gleichgültig zuschaut. Andererseits ist da eine sehr konkrete Wut auf die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen. Denn die somalische Al-Schabaab-Miliz war schon lange ein Problem in Kenia. Sie verübte bereits zahlreiche Anschläge und drohte offen mit weiteren Terrorakten. "Ja, ich bin wütend", sagt eine Kenianerin, die die Attacke überlebt hat. "Wieso hatten wir keine Sicherheitssysteme, um so ein großes Einkaufszentrum zu schützen?"

Fraglich bleibt, ob mehr Sicherheitskräfte die somalischen Angreifer hätten aufhalten können. Wie aus US-Sicherheitskreisen bekannt wurde, sollen die Attentäter schon Tage vor dem Angriff Maschinengewehre in dem Einkaufszentrum deponiert haben.

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