Frankreich unter Schock:Terror in Paris - mehr als 120 Tote

Angriffe während des Fußball-Länderspiels Frankreich gegen Deutschland, der IS bekennt sich zu den Anschlägen.

Von Joseph Hanimann, Paris

Die französische Hauptstadt ist erneut von einer schweren Anschlagswelle getroffen worden. Bei Explosionen und Schießereien wurden in Paris am Freitagabend mehr als hundert Menschen getötet. Präsident François Hollande verhängte den Ausnahmezustand und ließ die Grenzen schließen. Zudem wolle er zum Schutz der Bevölkerung auch das Militär einsetzen. In einem im Internet verbreiteten Schreiben in französischer Sprache übernahm der Islamische Staat am Samstag Vormittag die Verantwortung für die Anschläge.

Verschiedene Quellen berichteten, es habe mindestens 120 Tote gegeben. Mehr als 350 Menschen sollen bei den Angriffen verletzt worden sein, von ihnen schweben nach Behördenangaben mehr als 90 in Lebensgefahr. Acht Angreifer starben, von ihnen sollen sieben mit Sprengstoffgürteln umgekommen sein, ein weiterer wurde mutmaßlich von Sicherheitskräften erschossen.

Die Angriffe fanden an sechs verschiedenen Orten in Paris statt. Der schwerste Vorfall ereignete sich im Konzertsaal Bataclan im XI. Arrondissement. Mehrere Terroristen stürmten den Saal, in dem am Abend die Popband "Eagles of Death Metal" auftrat. Laut einem Augenzeugen schossen Terroristen minutenlang mit Kalaschnikows um sich. 89 Menschen sollen im Konzertsaal insgesamt umgekommen sein. Ein Radioreporter, der zufällig dort war, erzählte dem US-Sender CNN, die Angreifer seien schwarz gekleidet gewesen und hätten wahllos in die Menge geschossen. Nachdem die Polizei das Gebäude umstellt hatte, nahmen die Terroristen auch Geiseln. Nach Mitternacht stürmte die Polizei das Gebäude. Dabei sollen sich drei Attentäter selbst in die Luft gesprengt haben, ein weiterer wurde mutmaßlich von Polizisten erschossen.

Bereits zuvor ereigneten sich in der Nähe des Fußballstadions Stade de France im Norden von Paris zwei bis drei Explosionen, während dort Deutschland und Frankreich gegeneinander spielten. In der ersten Halbzeit waren Detonationen zu hören. Frankreichs Staatspräsident Hollande verließ zur Halbzeit das Stadion, er wurde zu einer Krisensitzung ins Innenministerium gefahren. Später sprachen Behörden von vier Toten in der Nähe des Stadions, unter ihnen sollen auch drei Attentäter sein. Es wird vermutet, dass es sich bei den Explosionen um Selbstmordanschläge handelte.

In einem Szene-Viertel am Canal Saint-Martin ereigneten sich ab 21.20 Uhr zudem Schießereien mit vielen Toten. Mindestens zwei Männer feuerten Medienberichten zufolge in der Bar "Le Carillon" und gegenüber in dem kambodschanischen Restaurant "Petit Cambodge" um sich, dabei starben mindestens zwölf Personen. In der Rue de Charonne, südlich des Kanals, kam es gegen 22 Uhr zu einer weiteren Schießerei. In der Nähe des Restaurants "La Belle Equipe" starben nach Schilderung von Le Figaro 18 Personen, Le Monde spricht von 19 Toten. Mehr als zehn Personen sollen dort verletzt worden sein. In der Rue de la Fontaine au Roi, einige hundert Meter vom Konzertsaal Bataclan entfernt, starben weitere fünf Personen durch Schüsse. Einer der Attentäter soll am Boulevard Voltaire ums Leben gekommen sein.

US-Sicherheitskreisen zufolge handelte es sich um koordinierte Taten. Ob es sich wie zu Beginn dieses Jahres tatsächlich um islamistische Terrorakte handelte, war zunächst nicht völlig klar. Im Januar 2015 war Paris von einem islamistisch motivierten Anschlag erschüttert worden, der sich unter anderem gegen die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo richtete. Allein beim Überfall auf die Redaktion wurden damals zwölf Menschen ermordet.

Nach den Explosionen wurde die Fußballarena abgeriegelt, Fans mussten nach dem Schlusspfiff zunächst im Stadion ausharren. Auch in der Innenstadt wurden Tatorte abgeriegelt. Herumirrende Passanten der Viertel, in denen es zahlreiche Bars und Cafés gibt, wurden von Kellnern zum Schutz in die Lokale geholt. Aus Sorge vor weiteren Anschlägen wurden fünf Linien der Untergrundbahn geschlossen. Die Polizei und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo forderten alle Bürger dazu auf, zu Hause zu bleiben.

Die Sicherheitslage in Paris ist seit den Anschlägen vom Januar angespannt. Verschärfte Vorsichtsmaßnahmen schreiben in öffentlichen Gebäuden Taschenkontrollen vor. Für viele Pariser waren sie eine Gewohnheit, die sie fast schon gleichgültig über sich ergehen ließen. Die Aufmerksamkeit für Attentate war dabei, abzuklingen. Die Regierung dürfte in den kommenden Tagen weitere Verschärfungen der Überwachung beschließen. Der Einsatz von Polizisten und Soldaten, die bisher schon in allen größeren Bahnhöfen patrouillierten, dürfte weiter verstärkt werden: In zwei Wochen findet in Paris die Weltklima-Konferenz statt, zu der Tausende hochrangige Teilnehmer erwartet werden. Schon seit Donnerstag waren deswegen wieder Grenzkontrollen durchgeführt worden. US-Präsident Barack Obama nannte die Anschläge einen "abscheulichen Versuch, unschuldige Zivilisten zu terrorisieren". Er sicherte Frankreich "jegliche Hilfe" zu. Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich entsetzt: "Ich bin tief erschüttert von den Nachrichten und Bildern, die uns aus Paris erreichen", sagte sie am frühen Samstagmorgen in Berlin.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) versicherte: "Wir stehen an der Seite Frankreichs." Am Freitagabend hatte er gemeinsam mit Hollande das Fußball-Länderspiel in Paris angesehen. Anschließend befand er sich auf dem Weg zur Syrien-Konferenz in Wien. Der Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, sprach von "großer Unsicherheit, großer Angst und großer Betroffenheit" auch in der deutschen Kabine. Bereits am Freitagvormittag hatte die DFB-Mannschaft ihr Teamhotel wegen einer Bombendrohung verlassen müssen. Es wurde aber kein Sprengsatz entdeckt.

Nach den grauenvollen Ereignissen am Freitagabend war die Mannschaft gar nicht mehr ins Hotel zurückgekehrt, sondert verharrte die Nacht auf Samstag im Stadion im Vorort Saint-Denis. Am Samstagmorgen, um kurz nach neun Uhr, startete eine Sondermaschine LH 343 mit der deutschen Delegation nach Frankfurt/Main.

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