Terror:Die Franchise-Dschihadisten

Terror: Der Bombenterror des IS trifft regelmäßig Zivilisten im Irak, wie hier in einem schiitischen Stadtteil Bagdads.

Der Bombenterror des IS trifft regelmäßig Zivilisten im Irak, wie hier in einem schiitischen Stadtteil Bagdads.

(Foto: Karim Kadim/AP)

Trotz Gebietsverlusten ist die Miliz Islamischer Staat noch lange nicht besiegt - sie ändert einfach ihre Strategie.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Das Kalifat bröckelt, kein Zweifel. Am Mittwoch schmiedete in Washington die westliche Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) Pläne, Mossul zurückzuerobern, die verbliebene Hochburg der Terrormiliz im Irak. Doch scheint der IS mit einer Serie von Terrorattacken darauf zu reagieren, dass er in seinen Kerngebieten im Irak und in Syrien militärisch immer stärker unter Druck gerät: Istanbul, Bagdad, Dhaka, Nizza und jetzt auch noch Würzburg - zumindest nimmt der IS diese Anschläge für sich in Anspruch.

Schon seit den Attacken von Paris in November mit 130 Toten ist von einem Strategiewechsel die Rede. Westliche Geheimdienstler sehen jedoch eher eine "Anpassung", eine Hybrid-Strategie, die nun sichtbar werde. Der IS als konventionelle militärische Organisation gilt ihnen zwar als deutlich geschwächt, sie warnen aber davor, ihn bereits abzuschreiben. Ähnlich wie einst das konkurrierende Terrornetzwerk al-Qaida wird der IS zunehmend zum Franchise-Unternehmen des internationalen dschihadistischen Terrorismus, zur Inspiration und Projektionsfläche für Attentäter, die nicht in engem organisatorischen Zusammenhang mit der Führung des Kalifats stehen müssen. Schon 2014 hatte IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani Anhänger weltweit dazu eingeladen, Anschläge im Namen der Organisation zu begehen, "im ungläubigen Europa oder wo immer ihr die Kreuzfahrer treffen könnt".

Um zwölf Prozent ist seit Jahresbeginn die Fläche geschrumpft, die der IS im Irak und in Syrien kontrolliert, so jüngste Zahlen des Conflict Monitor von IHS, einer Beratungsfirma, die Ausbreitung und Aktivitäten der Gruppe beobachtet. Schon 2015 hatte der IS 14 Prozent seines Gebietes eingebüßt. Im Irak haben Regierungstruppen (und schiitische Milizen) mit entscheidender Luftunterstützung durch die USA eine Reihe von Städten zurückerobert. Den Anfang machte Tikrit im März 2015, zuletzt waren es Falludscha, Ramadi, Hit und Rutba in der Provinz Anbar. In Syrien rücken die Syrischen Demokratischen Kräfte, ein Bündnis von mehreren Tausend arabischen Stammeskämpfern und etwa 20 000 kurdischen Milizionären, gegen den IS vor, auch sie mit Luftunterstützung der Anti-IS-Koalition. Jüngst haben sie die strategisch wichtige Stadt Manbij eingenommen.

Das Regime von Präsident Baschar al-Assad und die russischen Truppen in Syrien attackieren den IS stellenweise, etwa bei der spektakulär inszenierten Befreiung von Palmyra. Ihre Priorität liegt nach Einschätzung westlicher Geheimdienste aber weiter in der Rückgewinnung von Gebieten, die von Rebellen kontrolliert werden.

In Libyen, lange wichtigstes Standbein des IS außerhalb der Kerngebiete, haben Milizen mit einer Großoffensive zur Rückeroberung von Sirte begonnen. Dort seien nur noch "einige Hundert Kämpfer übrig", sagte US-Stabschef Joseph Dunford. Zugleich warnte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in einem Bericht an den Sicherheitsrat, die Offensive könne dazu führen, dass sich IS-Kämpfer "in kleineren und geografisch verstreuteren Zellen in Libyen und angrenzenden Ländern umgruppieren".

Die Gebietsverluste haben Konsequenzen für das Kalifat: Es verliert Einnahmen, die sich maßgeblich aus Ölverkäufen und Steuern speisen. Sie sind laut IHS von etwa 80 Millionen Dollar pro Monat Mitte 2015 auf 56 Millionen im März 2016 zurückgegangen und seither noch einmal um 35 Prozent geschrumpft. Geheimdienstler halten Berichte über reduzierte Gehaltszahlungen an Kämpfer für plausibel, sehen aber noch keine existenzielle Finanzkrise des IS.

Wichtiger noch: Die militärischen Niederlagen schmälern die Anziehungskraft des IS. Tausende ausländische Kämpfer reisten nach Syrien und Irak, um sich einem siegreichen Feldzug anzuschließen - der IS hatte dort 2014 große Gebiete im Sturm erobert und schien durch nichts aufzuhalten zu sein. Nun steht der vom Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi formulierte Machtanspruch zunehmend infrage, über die gesamte muslimische Welt zu herrschen.

Auf die Rekrutierung wirkt sich das bereits aus: Laut dem US-Militär ist der Zustrom an ausländischen Kämpfern im Vergleich zu 2015 um 90 Prozent zurückgegangen. Das liegt allerdings auch maßgeblich daran, dass die bevorzugte Reiseroute der Dschihadisten weitgehend gekappt ist, seit die Türkei ihre Grenze nach Syrien großteils dichtgemacht hat. Die Stärke des IS in seinen Kerngebieten schätzte die US-Regierung im Juni noch auf 19 000 bis 25 000 Kämpfer, Anfang 2015 waren es laut CIA noch bis zu 32 000. Insgesamt sind nach US-Angaben seit 2012 mehr als 35 000 ausländische Kämpfer nach Irak und Syrien gereist, um sich dschihadistischen Gruppen anzuschließen, davon 6600 aus westlichen Ländern. Viele von ihnen sind inzwischen nicht mehr am Leben.

Westliche Geheimdienstler warnen allerdings weiter vor dem IS. Die Terrormiliz habe ihr territoriales Projekt keinesfalls aufgegeben; laut IHS umfasst das Kalifat nach wie vor 68 000 Quadratkilometer, eine Fläche doppelt so groß wie Nordrhein-Westfalen. Der IS zieht in Mossul und Raqqa Kämpfer zusammen, legt mit Minenfeldern, Sprengfallen, Tunneln und Gräben Verteidigungsringe an. Nicht einmal hohe irakische Offiziere zeigen sich sonderlich optimistisch, dass noch in diesem Jahr die Befreiung von Mossul gelingen kann, zumal sich in der Stadt noch bis zu 800 000 Zivilisten aufhalten sollen.

Zugleich hat IS-Sprecher al-Adnani weiteren Gebietsverlusten ideologisch vorgebaut und IS-Anhänger zu Anschlägen aufgerufen. Allein im Irak, in Syrien und Libyen will der IS laut von der Propaganda-Agentur Amaq verbreiteten Zahlen im Juni 100 Selbstmordanschläge verübt haben, seit Jahresbeginn fast 600. Das scheint hoch gegriffen zu sein, aber selbst der US-Sondergesandte Brett McGurk sprach von "annähernd 60 Selbstmordanschlägen pro Monat". Auch das wäre noch Rekordniveau.

In dieses Muster passen auch Attacken außerhalb Syriens und des Irak: Der IS nimmt sie für sich in Anspruch, um Angst zu verbreiten und Gesellschaften zu polarisieren. Dabei macht seine Propaganda keinen großen Unterschied mehr zwischen Rückkehrern aus dem Kalifat und radikalisierten Einzeltätern, die sich ohne erkennbaren organisatorischen Zusammenhang auf den IS berufen. Den Geheimdiensten galten lange die Rückkehrer als größere Gefahr, sie waren etwa für die Anschläge von Paris und Brüssel verantwortlich. Inzwischen zeigt sich die perfide Effektivität des Aufrufs der Terrormiliz an Trittbrettfahrer und Einzeltäter: Der IS demonstriert seine vermeintliche Macht, jederzeit und überall zuschlagen zu können, dem Attentäter verspricht das Bekenntnis zum Kalifat weltweite Aufmerksamkeit. In der Ideologie des IS aber fügen sich die Kämpfe in seinen Kerngebieten und die Attacken im Westen ein in die Erwartung einer apokalyptischen Schlacht um die Weltherrschaft. Um diese herbeizuführen, ist den Dschihadisten jedes Mittel recht.

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