Tempelhofer Feld:Warum Deutschlands größte Flüchtlingsunterkunft so umstritten ist

Sitzung Berliner Abgeordnetenhaus

Die Grünen protestierten im Abgeordnetenhaus gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes.

(Foto: dpa)
  • Das Berliner Abgeordnetenhaus hat heute mit den Stimmen von SPD und CDU Deutschlands größte Flüchtlingsunterkunft beschlossen.
  • 7000 Flüchtlinge sollen am Rand des Tempelhofer Felds leben - dabei hatten die Berliner die Bebauung des ehemaligen Flughafengeländes 2014 per Volksentscheid verhindert.
  • Gegner sprechen von menschenunwürdigen Massenlagern und einer Missachtung der direkten Demokratie.

Analyse von Hannah Beitzer

Worum geht's?

Der Berliner Senat möchte auf dem Tempelhofer Feld Deutschlands größte Flüchtlingsunterkunft errichten. Bis zu 7000 Menschen sollen auf dem befestigten Teil des ehemaligen Flughafens untergrebacht werden. Der Senat betont, dass die Unterkunft dort nur bis 2019 stehen soll. Die Flüchtlinge sollen außerdem jeweils nur für kurze Zeit dort bleiben, bevor sie dezentral untergebracht werden. Das Berliner Abgeordnetenhaus stimmte dafür heute einer Änderung des Tempelhof-Gesetzes zu, das eine Bebauung des Feldes eigentlich verbietet.

Das ist eine heikle Angelegenheit, denn das Gesetz hatten Berliner Bürgerinitiativen im Jahr 2014 über eine Volksinitiative eingebracht und damit Pläne des Senats durchkreuzt, auf dem Tempelhofer Feld Wohnungen und eine Bibliothek zu bauen. Etwa 700 000 Berliner stimmten damals gegen die Bebauung. Seitdem treffen sich auf der leeren Fläche Kite-Surfer, Radfahrer, Jogger, Spaziergänger, Gärtner und Picknicker.

Was spricht für das Bauvorhaben?

Knapp 80 000 Flüchtlinge kamen im Jahr 2015 nach Berlin, im neuen Jahr geht der Zuzug weiter. Die Menschen müssen irgendwo untergebracht werden. Im vergangenen Jahr hat die Stadt unter anderem Turnhallen zu Notunterkünften umfunktioniert. Nicht nur der Landessportbund wehrte sich dagegen, auch Politiker in den Bezirken und Anwohner protestierten. Im Herbst 2015 zogen deswegen Flüchtlinge in die Hangars am ehemaligen Flughafen Tempelhof ein. Die riesige Freifläche auch darüber hinaus für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen, ist erst einmal naheliegend.

Vorteilhaft ist auch die spezielle Beteiligungskultur auf dem Feld und in den benachbarten Stadtteilen. Die dort bereits aktiven Bürgerinitiativen könnten in die Integrationsarbeit eingebunden werden.

Was spricht dagegen?

Viele Gegner der Pläne befürchten, dass auf dem Tempelhofer Feld eine menschenunwürdige Massenunterkunft entstehen könnte, von einem "Flüchtlingsghetto" ist die Rede. Bereits jetzt seien die Zustände in den Hangars, in denen gerade ungefähr 2000 Flüchtlinge leben, katastrophal, sagt etwa der Berliner Flüchtlingsrat. Allgemein trauen viele Berliner dem Senat nicht mehr zu, Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Seit Monaten beklagen Helfer die Zustände am Landesamt für Gesundheit und Soziales, erst diese Woche schlugen Leiter von Flüchtlingsunterkünften Alarm, weil die Behörde den Bewohnern der Heime Sozialleistungen nicht auszahlte und diese deswegen hungern müssten.

Bebauungsgegner misstrauen dem Senat

Mindestens genauso schwer wiegt allerdings ein anderer Punkt. Berliner, die 2014 gegen die Bebauung des Feldes gestimmt haben, sehen die jetzigen Bebauungspläne als Retourkutsche. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller war Bausenator, als die Berliner die Senatspläne für Wohnungen auf dem Feld abschmetterten. Auf einer Bürgerversammlung in der vergangenen Woche beklagten die Zuschauer, dass mit den erneuten Bebauungsplänen direkte Demokratie ausgehöhlt und der Wille des Volkes unterlaufen werde. Andere Redner befürchteten, dass das Feld über die Hintertür doch noch für Investoren geöffnet werden soll. Die Diskussion geriet zeitweise sehr emotional - und offenbarte ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Senat.

Wem geht es dabei tatsächlich um die Flüchtlinge? Und wem in Wahrheit doch nur darum, weiter das Tempelhofer Feld für sich zu haben? Die Diskussion ist auch deswegen so heikel, weil am Tempelhofer Feld viele Interessen aufeinandertreffen, die schwer zu trennen sind.

Ist das Misstrauen berechtigt?

Fest steht: Die Koalition aus SPD und CDU geht kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst mit ihrem Plan ein großes Risiko ein. Das spricht gegen simple Rachegelüste. Kaum einer bezweifelt auch, dass es neue Unterkünfte für Flüchtlinge geben muss. Dennoch hat der Senat das Misstrauen auch selbst zu verantworten. Die Bebauungspläne für das Tempelhofer Feld hat er zumindest unglücklich kommuniziert. Erst Stück für Stück kamen die Pläne im Herbst 2015 an die Öffentlichkeit, der zuständige Staatssekretär gab zu, die Kommunikation sei nicht optimal verlaufen.

Dass sich Senatsvertreter und Politiker der Bezirke dem Unmut der Berliner auf einer Bürgerversammlung stellten, konnte diesen Eindruck nicht wiedergutmachen. Auch die Tatsache, dass dort wenig über die konkrete Ausgestaltung der Unterkunft gesprochen wurde, dürfte das Misstrauen verstärken. Den Beteuerungen der Politiker, dass die Unterkünfte dort nur bis 2019 stehen sollen und darüber hinaus keine Bebauungspläne bestünden, glaubte die Mehrheit der Gegner auf der Bürgerversammlung nicht.

Gibt es Alternativen?

Die Gegner der Bebauung des Tempelhofer Feldes nennen eine Reihe von Alternativen zur jetzt geplanten Unterkunft. Sie schlagen zum Beispiel vor, illegale Ferienwohnungen zu beschlagnahmen - oder Gebäude, die lange zu Spekulationszwecken leer stünden. In Berlin gilt ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum. Betreiber von Ferienwohnungen brauchen eine Genehmigung. Nach Schätzungen des Senats gibt es dennoch etwa 5000 illegale Ferienwohnungen in der Hauptstadt. Sie aufzuspüren kostet Personal - in der Berliner Verwaltung gerade nicht im Überfluss vorhanden. Auch empfinden viele Politiker die Beschlagnahmung privaten Eigentums als zu drastisch, wie etwa Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey auf der Bürgerversammlung zum Tempelhofer Feld betonte.

Auch leer stehende Bundesimmobilien wie zum Beispiel das Haus der Statistik sind in Berlin immer wieder als Flüchtlingsunterkünfte im Gespräch. Deren Umbau wäre, so argumentiert der Senat im Falle des Hauses der Statistik, allerdings recht teuer und langwierig. Entscheidender dürfte aber sein, was Christian Gaebler, Staatssekretär für Verkehr und Umwelt, auf der Versammlung sagte: "Wir brauchen im Moment alles. Es gibt kein Entweder-oder mehr."

Wie geht es jetzt weiter?

Das Abgeordnetenhaus hat den Entwurf des Senats mit den Stimmen von SPD und CDU angenommen. Nur ein Abgeordneter der CDU stimmte gegen die Pläne. Der Entwurf des Senats sieht vor, dass die Hallen und Container, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden sollen, seitlich an das alte Flughafengebäude angebaut werden - und zwar lediglich auf den befestigten Flächen. Die große grüne Freifläche in der Mitte des Feldes soll nicht angetastet werden.

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