Technik:Der Weg zur "grünen Wiese"

Der gefährlichste Teil kommt erst zum Schluss: Wie aufwendig es ist, Atomkraftwerke abzubauen.

Von Marlene Weiss

Wenn es nur ums Abschalten ginge, dann wäre das schnell erledigt. Das Atomkraftwerk wird heruntergefahren, danach beginnt die "Nachbetriebsphase": Die Brennelemente müssen noch einige Wochen gekühlt werden, bevor sie ins Abklingbecken transportiert werden können, wo sie weitere Jahre verbringen. Erst danach kommen sie in ein Zwischenlager. Ohne Brennelemente ist der Reaktor dann sozusagen entkernt. Doch damit geht es erst richtig los.

Denn Geräte und Bauteile sind radioaktiv belastet, deshalb kann man sie nicht sich selbst überlassen. Das Gebäude würde Risse bekommen oder Löcher, Strahlung könnte entweichen. Die Internationale Atomenergie-Organisation nennt drei Optionen für solche nuklearen Altlasten: Man kann gleich zurückbauen, bis auf den letzten Stein, wobei der radioaktive Müll abgetrennt und gelagert wird. Das Ziel: die "grüne Wiese". Oder man wartet einige Jahrzehnte, bis die Radioaktivität zurückgegangen ist, und baut dann ab. Das ist der "sichere Einschluss". Oder aber man schließt alles mit einer Betonhülle ab und lässt das Kraftwerk stehen. Diese letzte Variante namens Entombment, Begräbnis, wurde in den USA schon für Forschungsanlagen verwendet, ist in Deutschland aber nicht vorgesehen. Im Atomgesetz sind nur die ersten beiden Varianten aufgeführt.

Der sichere Einschluss kam schon vor, zum Beispiel beim 1977 abgeschalteten Kernkraftwerk Lingen. Nachdem die Brennelemente entfernt waren, wurde das Reaktorgebäude 1988 verschlossen. Nach 27 Jahren Dornröschenschlaf wurde Ende 2015 eine erste Teilgenehmigung für den Rückbau erteilt, bis 2030 will RWE fertig werden. Der Nachteil: Über all die Jahre musste die Lüftung laufen, die Temperatur geregelt und die Luft entfeuchtet werden. Die Strahlung musste kontrolliert und das Gebäude bewacht werden, schließlich besteht immer die Gefahr, dass jemand dumm genug ist, dort einzubrechen. All das kostet Geld. "Gegen den sicheren Einschluss spricht auch, dass die Betriebsmannschaft und deren Know-how verloren geht", sagt der Ingenieur Stefan Thierfeldt, der eine Übersicht des Bundesforschungsministeriums über die Stilllegung von AKWs erstellt hat.

Politisch klar bevorzugt ist daher der direkte Rückbau. Auch der beginnt mit einem Genehmigungsverfahren. Selbst bei einer geplanten Abschaltung kann es ein paar Jahre dauern, bis die ersten Arbeiten bewilligt sind. Dann kann der Betreiber anfangen, die nicht verstrahlten Teile der Anlage abzubauen, etwa Maschinenhäuser. Parallel dazu laufen die nächsten Schritte des Genehmigungsverfahrens, die es erlauben, die leicht radioaktiven Teile zu zerlegen. Sind diese "freigemessen", die Strahlung also unter den gesetzlichen Grenzwerten, können sie wiederverwertet oder auf Deponien gebracht werden.

Zum Schluss ist der Reaktordruckbehälter an der Reihe, wegen der starken Strahlung der heikelste Teil des Rückbaus; dabei fällt der Großteil des radioaktiven Abfalls an. "Für die Zerlegung der hochradioaktiven Teile holen sich die Betreiber meist Spezialfirmen ins Haus", sagt Thierfeldt. Viele Arbeiten müssen ferngesteuert oder unter Wasser erledigt werden. Bis Gebäude und Flächen endlich ausgeräumt und nachweislich frei von schädlicher Strahlung sind, dauert es meist zwanzig Jahre oder mehr. Immerhin: Dann werden sie aus dem Atomgesetz entlassen und können unter Umständen auch wieder genutzt werden. In der alten Maschinenhalle des Atomkraftwerks Greifswald etwa werden heute Kräne gebaut.

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