Taliban-Angriff in Pakistan:Schwer bewacht, schlecht geschützt

Mit ihrem Angriff auf einen Militär-Stützpunkt in Karatschi treffen die Taliban den pakistanischen Staat erneut genau dort, wo er eigentlich am besten geschützt sein sollte: in einer schwer bewachten militärischen Einrichtung. Die pakistanische Marine braucht 15 Stunden, um die Attacke zurückzuschlagen.

Tobias Matern, Delhi

Es dauerte 15 quälend lange Stunden, bis die Attacke abgewehrt war. Ein Sprecher der pakistanischen Marine sagte am Montagnachmittag, zwar durchsuchten Einheiten noch immer das Gelände, aber "offenbar leisten die Militanten keine Gegenwehr mehr". Einmal mehr hatten die Taliban den pakistanischen Staat genau dort getroffen, wo er eigentlich am besten geschützt sein sollte: in einer schwer bewachten militärischen Einrichtung.

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Der Taliban-Anschlag auf den Marineflieger-Stützpunkt in Karatschi (hier einer der Eingänge) wird das Vertrauen der Bevölkerung in die pakistanischen Sicherheitskräfte weiter erschüttern. Die Menschen sind demoralisiert.

(Foto: Reuters)

Am späten Sonntagabend waren die Extremisten in der Hafenstadt Karatschi in den weitläufigen Stützpunkt Mehran der Marineflieger eingedrungen. Anwohner berichteten von zahlreichen Explosionen. Gewaltige Flammen waren zu sehen, Rauchschwaden stiegen über dem Gelände auf. Laut offiziellen Angaben stürmten bis zu 15 Angreifer den Stützpunkt von drei Eingängen aus. Die Angreifer setzten Maschinengewehre ein und warfen mit Handgranaten um sich. Einem Teil der Gruppe gelang es, mindestens zwei Flugzeuge zu zerstören, darunter auch ein Überwachungsflugzeug aus amerikanischer Herstellung.

Stundenlang waren Schusswechsel und Detonationen zu hören. Helikopter kreisten über dem Gelände. Wie ein Sprecher der Marine mitteilte, kamen bei den Feuergefechten 14 Menschen ums Leben, darunter Vertreter der Marine, Soldaten und auch ein Feuerwehrmann. Mindestens genauso viele Menschen wurden verletzt. Ob und wie viele Angreifer starben, war nicht bekannt. Zunächst hieß es, die Taliban hätten Geiseln genommen, dies wurde später allerdings von offizieller Seite dementiert.

Bereits im Jahr 2009 hatten die Taliban das Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rawalpindi gestürmt. Damals waren 22 Menschen gestorben. Ein Taliban-Sprecher sagte am Montag, die Bewegung habe nach dem Tod Osama bin Ladens beweisen wollen, dass sie noch immer "geeint und mächtig" sei. Mit der Aktion von Karatschi setzen die Extremisten eine Reihe von Vergeltungsschlägen für den Al-Qaida-Chef fort, der von einer US-Spezialeinheit getötet worden war. Bei einem Selbstmordanschlag auf Rekruten im Nordwesten des Landes waren in der vorletzten Woche 80 Menschen gestorben. Zudem hatten die Taliban sich zu Angriffen auf zwei Autos des amerikanischen Konsulats in Peschawar bekannt. Dabei war ein Passant gestorben. Ein saudischer Diplomat war am Montag der vergangenen Woche erschossen worden.

Der pakistanische Ministerpräsident Jusaf Raza Gilani nannte die Taliban-Attacke auf den Marine-Stützpunkt "einen feigen Akt des Terrors". Die Entschlossenheit der Regierung und des Volkes, den Terror zu bekämpfen, werde dadurch nicht erschüttert. Solche Worte kommen bei den Menschen allerdings nicht mehr an: Sie sind demoralisiert. Anschläge auf Basaren, in Moscheen und Gebets-Schreinen gehören für sie zum Alltag. Sie trauen ihrer zivilen Führung nicht zu, den Terrorismus in den Griff zu bekommen und fühlen sich als Spielball der USA im Anti-Terror-Kampf. Das Ansehen des Militärs, lange Zeit als Hüter des pakistanischen Staates hoch angesehen, hat bereits nach der Tötung Bin Ladens schwer gelitten, nun wird das Vertrauen weiter erschüttert.

Die afghanischen Taliban dementierten unterdessen einen Bericht des Privatsenders Tolo TV, nach dem ihr Anführer Mullah Omar in Pakistan getötet worden sei. Omar halte sich derzeit in Afghanistan auf und führe den Kampf gegen die Besatzer an, sagte ein Sprecher der Extremisten. Der TV-Beitrag hatte als Quelle einen Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes genannt. Demnach habe Hamid Gul, der ehemalige Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Omar aus der Stadt Quetta ins Stammesgebiet Nord-Wasiristan begleitet.

"An der Geschichte ist nichts dran, sie ist absoluter Nonsens und eine einzige Lüge", sagte Gul der Süddeutschen Zeitung. Er bezichtigte die USA, solche Berichte gezielt zu streuen, um ihr Scheitern im Afghanistan-Krieg zu kaschieren. Ein aktiver, hochrangiger Vertreter des ISI wollte den Bericht über Omars Tod hingegen nicht dementieren. "Wir wissen nicht, ob die Geschichte stimmt", sagte er bloß. Die offizielle Version des afghanischen Geheimdienstes lautete am Montagnachmittag: Es gebe noch keine Bestätigung für den Tod Omars, aber seit einigen Tagen sei der afghanische Talibanchef aus seinem "Versteck" in Quetta verschwunden.

Westliche Geheimdienste vermuten schon seit längerer Zeit, dass sich der einäugige Anführer der afghanischen Taliban und eine Reihe seiner Vertrauten immer wieder im pakistanischen Quetta aufhalten. Nicht erst seit der Tötung Bin Ladens in Pakistan ist das Misstrauen der US-Regierung groß, wonach zumindest Teile des pakistanischen Sicherheitsapparats mit Extremisten gemeinsame Sache machten. Pakistans Militär hat dies stets dementiert, ist durch den mehrjährigen Aufenthalt des Al-Qaida-Anführers in der Garnisonsstadt Abbottabad aber desavouiert worden.

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