Taiwan und China:Angst vor der Anziehung

Es ist einer der gefährlichsten Konfliktherde in Ostasien: Bis heute erkennen Taiwan und China einander nicht an. Seit 65 Jahren, als der Bürgerkrieg endete. Nun führen die beiden Länder erstmals Gespräche auf Regierungsebene.

Von Kai Strittmatter, Peking

Taiwan und China. Die herrschenden Parteien beider Seiten - die Kuomintang (KMT) und die Kommunistische Partei (KP) - haben einst Bürgerkrieg gegeneinander geführt. Bis heute, 65 Jahre nach Ende dieses Bürgerkriegs, gibt es keinen Friedensvertrag. Die beiden Regierungen erkennen einander nicht an, halten offiziell bis heute den jeweils eigenen Staat für das legitime China, die ungelöste Wiedervereinigungsfrage ist einer der gefährlichsten Konfliktherde in Ostasien. Seit einigen Jahren jedoch nähern sich beide Seiten an, der Austausch von Gütern, Investitionen, Touristen und Studenten nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Am Dienstag nun findet diese Entspannung Ausdruck in dem bisher höchstrangigen politischen Treffen beider Seiten seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949: Der Direktor des Pekinger Amtes für Taiwan-Angelegenheiten, Zhang Zhijun, trifft in Nanjing seinen taiwanischen Kollegen Wang Yu-chi, den Chef des dortigen Rates für Festlandsangelegenheiten.

Dem Treffen wird symbolische Bedeutung beigemessen, Taiwans Wang Yu-chi hatte schon im Vorfeld verkündet, "sensible politische Dinge" stünden nicht auf der Agenda. Das war vor allem eine Erklärung an die skeptische Öffentlichkeit zu Hause in Taiwan, wo jede weitere Annäherung an China misstrauisch begleitet wird. Zu groß ist die Angst auf der 23-Millionen-Einwohner-Insel, erdrückt zu werden von dem auf Wiedervereinigung dringenden Giganten China.

Pekings Kalkül

Taiwan hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer lebendigen Demokratie entwickelt, man schätzt die wirtschaftlichen Vorteile, doch allzu enge Bande mit der Einparteien-Diktatur in Peking sind auch deshalb unpopulär. Vielen in Taiwan gehen schon die Entwicklungen der vergangenen Jahre zu schnell. 670 Direktflüge gibt es mittlerweile pro Woche zwischen dem Festland und Taiwan. 2,8 Millionen Touristen aus China besuchen die Insel im Jahr. Tausende chinesische Studenten sind an den Universitäten Taiwans immatrikuliert. Alles Dinge, die noch vor 2008 undenkbar gewesen waren.

2008 ist das Jahr, in dem die KMT sich das Präsidentenamt zurückeroberte von der Demokratischen Fortschrittspartei (DFP), in dem Ma Ying-jeou Präsident wurde. Ma war bis dahin Bürgermeister von Taipeh. Anders als die DFP, die seit ihrer Gründung für ein unabhängiges Taiwan wirbt, steht die KMT seit jeher für ein einiges Großchina - und ist deshalb für Pekings KP trotz der historischen Feindschaft heute der akzeptablere Partner.

Präsident Ma Ying-jeou begann sofort, Schritte der Annäherung vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet einzuleiten, 2009 unterzeichneten beide Seiten das Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit ECFA. Heute leben zwei Millionen Taiwaner auf dem Festland, fast jeder zehnte, die meisten als Geschäftsleute - und wie Pekings Kalkül das vorsah, sind sie heute eine der stärksten Kräfte für mehr Annäherung zwischen beiden Seiten.

80 Prozent gegen eine Wiedervereinigung

Mas Gegenpart auf chinesischer Seite war der einstige Parteichef und Staatspräsident Hu Jintao. Es heißt, Hu Jintao habe sich in der KP vor ein paar Jahren mit dem Argument durchgesetzt, dass es einfacher und billiger sei, Taiwan "zu kaufen", als die Insel, wie in der Vergangenheit regelmäßig geschehen, ständig militärisch zu bedrohen. Chinas wachsende wirtschaftliche Macht und Anziehungskraft helfen da.

Zwar sind noch immer mehr als 1000 chinesische Raketen auf Taiwan gerichtet. Dennoch sei die Angst vor einem Angriff des chinesischen Militärs längst "der Angst vor einem Angriff der chinesischen Renminbi gewichen", sagt der Soziologe Wu Jieh-min, Mitglied von Taiwans Academica Sinica, der über die Aktivitäten von Taiwans Geschäftsleuten in China forscht: "China ist so groß und so stark. Und sein Einfluss bei uns wächst. In den Medien, in der Politik. Das macht vielen Angst", sagt er.

Nicht im Sinne Pekings

Tatsächlich verhalten sich einflussreiche Taiwaner Medien wie jene der WantWant-Lebensmittelgruppe, die in China viele Fabriken betreibt, manchmal wie Sprachrohre Chinas. Mehr als 40 Prozent der Exporte gingen im vergangenen Jahr nach China. Die oppositionelle DFP warnt, Taiwan sei schon längst "wirtschaftlich abhängig von China". Präsident Ma hat politische Gespräche mit Peking bisher ausgeschlossen, aber Chinas neuer Partei- und Staatschef Xi Jinping zeigt sich ungeduldig: Die Frage der Wiedervereinigung müsse "Schritt für Schritt vorangehen" und dürfe "nicht von Generation zu Generation weitergegeben werden".

Das aber ist für die Mehrheit der Taiwaner im Moment ausgeschlossen. In Umfragen sind regelmäßig 80 bis 90 Prozent gegen eine Wiedervereinigung. Die Annäherung hat diese Werte nicht im Sinne Pekings verbessert, im Gegenteil: Je mehr die Taiwaner China kennenlernen, umso fester scheinen sie an ihrer Eigenständigkeit festhalten zu wollen.

Und der von Peking als Partner geschätzte Ma Ying-jeou wurde 2012 nur um Haaresbreite wiedergewählt, und hat seither einen beispiellosen Absturz in der Wählergunst hingelegt. Im vergangenen November sagten in einer Umfrage nur mehr neun Prozent, sie fänden seine Politik gut, so tief sank so schnell noch keiner in Taiwan. Das liegt an miserablen Wirtschaftszahlen, das liegt aber auch an Mas Chinapolitik, die selbst vielen KMT-Wählern zu weit geht.

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